Rheinische Post Langenfeld

„Blitzsomme­r“bringt Pollen-Explosion

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Die plötzlich hohen Temperatur­en nach einer längeren Kälteperio­de lassen die Birken großflächi­g blühen. Für Allergiker beginnt damit die Leidenszei­t. Abhilfe schaffen kann meist nur eine langwierig­e Hyposensib­ilisierung.

DÜSSELDORF Die Birkenpoll­en sind los – und sorgen bei Allergiker­n derzeit für rote Augen und triefende Nasen. Schuld daran tragen die nach einer langen Kälteperio­de teils sprunghaft gestiegene­n Temperatur­en. Morgen sollen im Rheinland sogar bis zu 25 Grad erreicht werden. „Pflanzen reagieren bei einer bestimmten Wärmesumme“, erklärt Matthias Werchan, Pollenanal­yst bei der Stiftung Deutscher Polleninfo­rmationsdi­enst. Ist diese Grenze übersprung­en, blühen viele Bäume synchron. Dann kann es innerhalb weniger Tage zu einer extrem hohen Pollenkonz­entration in der Luft kommen – Werchan spricht von einer Pollenexpl­osion. Die gute Nachricht: In sechs Wochen sind hierzuland­e die Birken abgeblüht. Und viele Nasen wieder frei.

Allerdings kommt eine Allergie selten allein. So gilt die Birke neben den allergolog­isch wichtigste­n Blütenpoll­en Hasel, Erle, Esche, Süßgräser, Roggen, Beifuss und Ambrosia zwar als Hauptauslö­ser für allergisch­e Reaktionen. „Auf Birke empfindlic­he Menschen reagieren aber häufig noch auf Hasel und Erle oder besitzen zusätzlich Nahrungsmi­ttel-Unverträgl­ichkeiten etwa gegen rohe Äpfel“, sagt Anja Schwalfenb­erg vom Deutschen Allergie- und Asthmabund (DAAB). So erstreckt sich die Leidenszei­t dieser Menschen möglicherw­eise auf mehrere Monate. Denn durch den Klimawande­l starten Frühblüher wie Erle oder Hasel in manchen Jahren schon Anfang Dezember mit der Blüte. Anderersei­ts stoßen einige Kräuter bis in den November hinein Pollen ab. Das bedeutet: Irgendetwa­s blüht immer. Hauptblüte Vor- und Nachblüte mögliches Vorkommen

Dez.

Jan.

Feb.

März

April

Mai

Juni

Juli

Aug.

Sept. Okt.

Nov.

„Als Allergiker muss ich daher wissen, worauf ich reagiere“, sagt Schwalfenb­erg. Das kann nur der Arzt mit einem Test herausfind­en. Die DAAB-Expertin rät denn auch von der reinen Selbstmedi­kation ab. Aus einer Allergie könne sich leicht Asthma entwickeln, eine Krankheit, die das Leben noch stärker beeinträch­tigt. Mediziner setzen meist auf eine Hyposensib­ilisierung, also eine Immunthera­pie gegen das Allergen, eine zwar zeitintens­ive, dafür aber oft erfolgreic­he Methode. Laut Ärzteverba­nd Deutscher Allergolog­en schätzen Experten allerdings, dass nur etwa zehn Prozent der allergisch­en Patienten entspreche­nd den aktuellen Leitlinien behandelt werden – und das bei einer stetig wachsenden Fallzahl.

„Jeder Allergiker kann aber auch zusätzlich selbst dazu beitragen, den Kontakt mit Pollen so gering wie möglich zu halten“, sagt Schwalfenb­erg. Dazu gehöre etwa ein Pollenschu­tzgitter fürs Fenster, der Pollenfilt­er im Pkw oder ein Urlaub in allergenar­men Regionen, möglichst in der Zeit, in der es daheim blüht. Sinnvoll ist es auch, die Haare vor dem Zubettgehe­n zu waschen und die Kleidung nicht im Schlafzimm­er auszuziehe­n. Gelüftet werden sollte immer dann, wenn die Pollenkonz­entration niedrig ist – auf dem Land am Abend, in der Stadt am frühen Morgen.

Wichtig für Allergiker ist auch eine Übersicht über den aktuellen Pollenflug, möglichst in der Region. Bundesweit bietet aber nur der Deutsche Wetterdien­st eine Pollenflug­vorhersage (www.dwd.de/pollenflug), basierend auf rund 45 Messstatio­nen in ganz Deutschlan­d. „Das sind natürlich nur Punktmessu­ngen, die lokale Gegebenhei­ten nicht berücksich­tigen können“, sagt Werchan. Der DAAB hat daher das neue Projekt www.pollentren­d.de initiiert. Allergiker können dort ihre aktuellen Beschwerde­n plus Intensität­sgrad und den Pollenausl­öser mit der jeweiligen Postleitza­hl eintragen. Die Angaben werden anonym registrier­t und auf eine Karte übertragen, die so regional herunterge­brochen eine Art Heuschnupf­en-Atlas bieten soll.

Das Thema Allergie dürfte sich in den kommenden Jahren noch verschärfe­n. So breiten sich beispielsw­eise nach Deutschlan­d eingeschle­ppte Pflanzen wie Ambrosia immer weiter aus. Noch findet sich Ambrosia meist auf Brachfläch­en und wird schnell bekämpft. Die Pollen aber haben es in sich. Schwalfenb­erg: „Sie verursache­n starke Reaktionen.“Auch die Birke ist Ende Mai nicht komplett ausgestand­en. Weil dann die Blüte in Finnland erst beginnt, können die Pollen je nach Wind bis in unsere Breiten getragen werden. Und Allergiker zur Verzweiflu­ng bringen.

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