Warum Piëch den Machtkampf sucht
WOLFSBURG Ist VW-Patriarch Ferdinand Piëch immer noch Deutschlands mächtigster Manager? Eindeutig ja. Kein anderer Wirtschaftsboss kann mit einem einzigen Satz („Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, sagte er Freitag dem „Spiegel“) tagelang Schlagzeilen machen. Dabei kündigt der Chefkontrolleur und VW-Großaktionär Piëch nicht einmal Konkretes zur Zukunft von Martin Winterkorn an, der den Konzern seit acht Jahren als Vorstandsvorsitzender führt. Wie schon so oft in seinem Leben lässt Piëch das Entscheidende ungesagt. Gerade deshalb entfalten seine Worte besondere Wucht.
Man muss schon eine Persönlichkeit von herausragender Bedeutung sein, wenn die bloße Interpretation der 28 Buchstaben die Autowelt in ganz Europa ins Grübeln stürzt: Fliegt Winterkorn bei VW? Oder wird der 67-Jährige jetzt „nur“nicht mehr Piëchs Nachfolger an der Spitze des Aufsichtsrates, wenn sein Vertrag Ende 2016 ausläuft?
Piëch, der Freitag seinen 78. Geburtstag feiert, ist bekannt für seine tödlichen Halbsätze, die schon steile Karrieren vernichtet haben. Auch Winterkorns Vorgänger Bernd Pischetsrieder guillotinierte Piëch 2006 mit solch einem Halbsatz („Ich kenne kein Unternehmen in Deutschland, wo jemand mit zehn Arbeitnehmer-Gegenstimmen überleben kann“) – und Piëch gibt sogar zu, dass er seine vernichtenden Urteile gerne vor Publikum spricht: „Das spart dem Konzern enorme Kosten“, zitierte ihn dazu einmal die „FAZ“.
Wird das Hüsteln des Patriarchen auch diesmal reichen, um einen der profiliertesten und erfolgreichsten Auto-Manager der Welt vom Hof zu jagen? Und was genau treibt Piëch eigentlich um?
Für den Augenblick hat sein schroffes Vorgehen Winterkorn sogar noch gestärkt. Sowohl das Land Niedersachsen als VW-Großaktionär wie auch die Arbeitnehmerseite des 600 000-Mann-Konzerns erklärten sich am Wochenende solidarisch mit Winterkorn. Immerhin hat der promovierte Metallurg und praktizierende Katholik den Konzern erfolgreich durch die Übernahmeschlacht mit Porsche geführt, so schwierige Konzerne wie die italienische Motorradschmiede Ducati und den Lastwagenbauer MAN integriert und den Konzernumsatz – wenn auch mit einigen Schönheitsfehlern bei der Profitabilität – nahezu verdoppelt.
Am Sonntagabend scharten sich beim VIP-Empfang nach dem Start der Hannover-Messe dann auch demonstrativ weitere Wirtschaftsund Polit-Prominenz um Winterkorn – Daimler-Chef Dieter Zetsche und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) klopften ihm auf die Schulter . Aber ob all das Winterkorn am Ende vor dem augenscheinlichen Vernichtungswillen des VW-Patriarchen schützen kann? „Piëch gewinnt diesen Machtkampf“, sagt der Duisburger Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer voraus, der selbst einmal bei Porsche gearbeitet und Piëch dort kennengelernt hat. Ein anderer Ex-Kollege von Piëch, der später selbst Wirtschaftspromi wurde und eigentlich selten ein Blatt vor den Mund nimmt, will in diesem Zusammenhang ausnahmsweise mal anonym bleiben. Er sagt: „Piëch kämpft grundsätzlich radikaler und länger und mit mehr Risiko als seine Gegner. Wenn es denen längst zu heiß wird, wärmt der Piëch sich gerade mal auf.“
Warum ist Piëch, wie er ist? Was ist der Motor des bekennenden Legasthenikers mit den schmalen Lippen, der vermutlich schon mehr Manager gefeuert hat als jeder andere vor ihm in Deutschland?
Wohl auch sein dynastisches Denken. Sein Großvater hat den Konzern gegründet, er selbst stand ihm von 1993 bis 2002 als Konzernchef vor. Sein älterer Bruder Ernst ist Schwiegersohn des ersten VWGeneraldirektors Heinrich Nordhoff. Seine Schwester Louise war in der Geschäftsführung der späteren Porsche Holding. Seine Frau Ursula, mit der er drei seiner zwölf Kinder hat, holte er in den VW-Aufsichtsrat.
Bei dieser Verknüpfung von Familiengeschichte und außerordentlicher Macht ist die Versuchung, die Kontrolle über das eigene Lebenswerk in der Familie zu halten, nicht ungewöhnlich. Muss Winterkorn gehen, damit Ferdinand Piëch die Führung des Aufsichtsrates an seine Frau Ursula übergeben kann? Er selbst dementiert das. Andererseits: Auf die Frage, mit welcher Unternehmerin er seine Frau vergleichen würde, sagte er einmal: mit Friede Springer. Genau wie Ursula war auch Friede Springer einst Kindermädchen und wurde – ebenso wie Ursula – von ihrem Mann systematisch auf Führungsaufgaben im Konzern vorbereitet. Aber das ist Spekulation. Piëch wäre der letzte, der sich in die Karten schauen ließe.