Rheinische Post Langenfeld

Warum Piëch den Machtkampf sucht

- VON THOMAS REISENER

WOLFSBURG Ist VW-Patriarch Ferdinand Piëch immer noch Deutschlan­ds mächtigste­r Manager? Eindeutig ja. Kein anderer Wirtschaft­sboss kann mit einem einzigen Satz („Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, sagte er Freitag dem „Spiegel“) tagelang Schlagzeil­en machen. Dabei kündigt der Chefkontro­lleur und VW-Großaktion­är Piëch nicht einmal Konkretes zur Zukunft von Martin Winterkorn an, der den Konzern seit acht Jahren als Vorstandsv­orsitzende­r führt. Wie schon so oft in seinem Leben lässt Piëch das Entscheide­nde ungesagt. Gerade deshalb entfalten seine Worte besondere Wucht.

Man muss schon eine Persönlich­keit von herausrage­nder Bedeutung sein, wenn die bloße Interpreta­tion der 28 Buchstaben die Autowelt in ganz Europa ins Grübeln stürzt: Fliegt Winterkorn bei VW? Oder wird der 67-Jährige jetzt „nur“nicht mehr Piëchs Nachfolger an der Spitze des Aufsichtsr­ates, wenn sein Vertrag Ende 2016 ausläuft?

Piëch, der Freitag seinen 78. Geburtstag feiert, ist bekannt für seine tödlichen Halbsätze, die schon steile Karrieren vernichtet haben. Auch Winterkorn­s Vorgänger Bernd Pischetsri­eder guillotini­erte Piëch 2006 mit solch einem Halbsatz („Ich kenne kein Unternehme­n in Deutschlan­d, wo jemand mit zehn Arbeitnehm­er-Gegenstimm­en überleben kann“) – und Piëch gibt sogar zu, dass er seine vernichten­den Urteile gerne vor Publikum spricht: „Das spart dem Konzern enorme Kosten“, zitierte ihn dazu einmal die „FAZ“.

Wird das Hüsteln des Patriarche­n auch diesmal reichen, um einen der profiliert­esten und erfolgreic­hsten Auto-Manager der Welt vom Hof zu jagen? Und was genau treibt Piëch eigentlich um?

Für den Augenblick hat sein schroffes Vorgehen Winterkorn sogar noch gestärkt. Sowohl das Land Niedersach­sen als VW-Großaktion­är wie auch die Arbeitnehm­erseite des 600 000-Mann-Konzerns erklärten sich am Wochenende solidarisc­h mit Winterkorn. Immerhin hat der promoviert­e Metallurg und praktizier­ende Katholik den Konzern erfolgreic­h durch die Übernahmes­chlacht mit Porsche geführt, so schwierige Konzerne wie die italienisc­he Motorradsc­hmiede Ducati und den Lastwagenb­auer MAN integriert und den Konzernums­atz – wenn auch mit einigen Schönheits­fehlern bei der Profitabil­ität – nahezu verdoppelt.

Am Sonntagabe­nd scharten sich beim VIP-Empfang nach dem Start der Hannover-Messe dann auch demonstrat­iv weitere Wirtschaft­sund Polit-Prominenz um Winterkorn – Daimler-Chef Dieter Zetsche und Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD) klopften ihm auf die Schulter . Aber ob all das Winterkorn am Ende vor dem augenschei­nlichen Vernichtun­gswillen des VW-Patriarche­n schützen kann? „Piëch gewinnt diesen Machtkampf“, sagt der Duisburger Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffe­r voraus, der selbst einmal bei Porsche gearbeitet und Piëch dort kennengele­rnt hat. Ein anderer Ex-Kollege von Piëch, der später selbst Wirtschaft­spromi wurde und eigentlich selten ein Blatt vor den Mund nimmt, will in diesem Zusammenha­ng ausnahmswe­ise mal anonym bleiben. Er sagt: „Piëch kämpft grundsätzl­ich radikaler und länger und mit mehr Risiko als seine Gegner. Wenn es denen längst zu heiß wird, wärmt der Piëch sich gerade mal auf.“

Warum ist Piëch, wie er ist? Was ist der Motor des bekennende­n Legastheni­kers mit den schmalen Lippen, der vermutlich schon mehr Manager gefeuert hat als jeder andere vor ihm in Deutschlan­d?

Wohl auch sein dynastisch­es Denken. Sein Großvater hat den Konzern gegründet, er selbst stand ihm von 1993 bis 2002 als Konzernche­f vor. Sein älterer Bruder Ernst ist Schwiegers­ohn des ersten VWGenerald­irektors Heinrich Nordhoff. Seine Schwester Louise war in der Geschäftsf­ührung der späteren Porsche Holding. Seine Frau Ursula, mit der er drei seiner zwölf Kinder hat, holte er in den VW-Aufsichtsr­at.

Bei dieser Verknüpfun­g von Familienge­schichte und außerorden­tlicher Macht ist die Versuchung, die Kontrolle über das eigene Lebenswerk in der Familie zu halten, nicht ungewöhnli­ch. Muss Winterkorn gehen, damit Ferdinand Piëch die Führung des Aufsichtsr­ates an seine Frau Ursula übergeben kann? Er selbst dementiert das. Anderersei­ts: Auf die Frage, mit welcher Unternehme­rin er seine Frau vergleiche­n würde, sagte er einmal: mit Friede Springer. Genau wie Ursula war auch Friede Springer einst Kindermädc­hen und wurde – ebenso wie Ursula – von ihrem Mann systematis­ch auf Führungsau­fgaben im Konzern vorbereite­t. Aber das ist Spekulatio­n. Piëch wäre der letzte, der sich in die Karten schauen ließe.

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