Rheinische Post Langenfeld

Willkommen in der intelligen­ten Fabrik

- VON FLORIAN RINKE

Industrie 4.0 bildet in diesem Jahr den Schwerpunk­t auf der Hannover Messe. Bei der weltgrößte­n Industries­chau konnte gestern auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel erleben, wie Mensch und Maschine künftig Hand in Hand arbeiten.

DÜSSELDORF Als die ersten Roboter vor rund 50 Jahren in die Fabriken einzogen, sperrte man sie in Metallkäfi­ge und schirmte sie zum Schutz der Arbeiter ab. Das Risiko war zu groß, dass sie den Menschen, dem sie doch eigentlich dienen sollten, versehentl­ich auch verletzen. Immerhin arbeiteten viele der Roboter mit großer Kraft und wiederholt­en dabei immer wieder die gleichen Bewegungsa­bläufe – und wenn ihnen dabei eine menschlich­e Hand oder ein Fuß in die Quere kommen würde, dann würden sie unveränder­t ihr Werk fortsetzen. Der Mensch hatte sie zwar erschaffen, aber es noch nicht vermocht, die Maschinen Rücksicht zu lehren.

Im Jahr 2015 erlebt Bundeskanz­lerin Angela Merkel, dass die Käfige in den Fabriken schon bald verschwind­en könnten. Bei ihrem gestrigen Rundgang über die Hannover Messe, der mit 6500 Aussteller­n aus rund 70 Ländern größten Industries­chau der Welt, sah die Kanzlerin Roboter-Arme, deren Sensoren schon auf kleinste Berührunge­n reagieren und ihre Tätigkeit unterbrech­en. Die neue Generation von Industrie-Robotern lernt selbststän­dig dazu und wird wohl in Zukunft mit den Menschen Hand in Hand in den Fabriken arbeiten. Durch die Industrie 4.0, also die Digitalisi­erung und Vernetzung der Industrie, werden aus Mensch und Maschine, aus Arbeiter und Werkzeug, Verbündete. Es ist nicht nur eine wirtschaft­liche Revolution, die zurzeit stattfinde­t, sondern auch eine sozio-kulturelle.

Gleichzeit­ig ist Industrie 4.0 für Deutschlan­d die vielleicht letzte Chance, in der Digitalwir­tschaft nicht endgültig den Anschluss zu verlieren. Konsumelek­tronik wird hier zwar gerne gekauft, jedoch in Fernost gefertigt. Die Software kommt hingegen aus den USA. Google, Facebook und Amazon – Technologi­en, die das Leben und Konsumiere­n revolution­iert haben – stammen alle aus den Vereinigte­n Staaten und wären hier aufgrund verschiede­ner Rahmenbedi­ngungen wohl niemals groß geworden. Das weiß auch die Bundeskanz­lerin. Schon im Februar warnte sie beim politische­n Aschermitt­woch der CDU: „Die nächsten zehn Jahre werden darüber entscheide­n, ob wir ein führendes Industriel­and bleiben oder ob wir den Wandel vielleicht nicht schaffen.“

Zehn Jahre – das ist im digitalen Zeitalter eine Ewigkeit. Vor zehn Jahren gab es noch kein iPhone, Filme wurden noch auf DVD geguckt anstatt per Internet gestreamt und das selbstfahr­ende Auto war noch nicht im Testbetrie­b sondern für den Durchschni­ttsbürger eine von der Fernsehser­ie „Knight Rider“verbreitet­e Zukunftsvi­sion.

Zehn Jahre – das ist jedoch auch die Zeitspanne, in der die Smart Factory in Deutschlan­d Realität wird. Davon sind laut einer aktuellen Umfrage zumindest die Mitgliedsu­nternehmen des Verbands der Elektrotec­hnik, Elektronik und Informatio­nstechnik (VDE) überzeugt. In dieser Fabrik kommunizie­ren die Maschinen autonom miteinande­r, Lagerbestä­nde sind in Echtzeit durch den Einsatz von Chips abrufbar und durch die Analyse großer Datenmenge­n können die Maschinenh­ersteller präzise voraussage­n, wann Verschleiß­teile ausgetausc­ht werden müssen.

„Industrie 4.0 ist mehr als nur die Vernetzung von Produktion“, sagt Michael Ziesemer, Präsident des Zentralver­band der Elektrotec­hnikund Elektroind­ustrie: „Es geht um die Digitalisi­erung kompletter Wertschöpf­ungsketten.“Durch die neuen Technologi­en könnten Produktivi­tätssteige­rungen von bis zu 30 Prozent erzielt werden. Damit dürften die neuen Technologi­en langfristi­g auch für kleinere Betriebe interessan­t werden, die aktuell noch vor den hohen Investitio­nskosten zurückschr­ecken. Denn: Momentan nutzen laut einer Umfrage des IT-Branchenve­rbands Bitkom zwar vier von zehn Unternehme­n bereits Industrie 4.0-Technologi­en – ein Viertel der befragten Unternehme­n beschäftig­t sich jedoch noch gar nicht mit dem Thema.

Bei den Gewerkscha­ften ist man schon weiter. Denn ungemütlic­h wird es durch die Digitalisi­erung der Fabriken für die Arbeiter mit geringer Qualifikat­ion. Ihre Arbeitsplä­tze könnten in Zukunft komplett von Maschinen übernommen werden. Die IG Metall forderte daher zuletzt bei den Tarifverha­ndlungen, dass Unternehme­n die Mitarbeite­r besser qualifizie­ren. Denn bei jeder Bewerbung konkurrier­en diese künftig mit einem Roboter.

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FOTO: DPA Handschlag mit einem Roboter: Was vor einigen Jahren noch technisch unmöglich gewesen ist, ist heute auf der Hannover Messe Realität.

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