Herr Yamashiro
Wichtig ist, dass man sich an das hält, was der Meister einem sagt. Nur so kann man sicher sein, dass die eigene Arbeit gut gelingt. Wenn man die Gelegenheit bekommt, bei einem Meister wie Herrn Takahashi zu lernen, darf man sich sehr glücklich schätzen, denn der Ofenbau ist eine gute und wichtige Arbeit. Viel besser als die Landwirtschaft oder wenn man in der Fabrik am Fließband stehen muss. Er hat seinem Meister fast vierzig Jahre gedient, bevor er selbst Meister geworden ist.“
„Ich hatte die Frage eher konkreter spirituell gemeint . . .“
„In den alten japanischen Künsten lässt sich das nur schwer vom konkreten Tun abkoppeln“, sagte Ernst, ohne die Nachfrage zu übersetzen.
„Verstehe . . . – Und macht er immer noch alles ganz genau so, wie er es gelernt hat oder bringt er inzwischen auch seine eigene Kreativität stärker mit ein?“
„Jeder Ofen ist ein neuer Ofen und erfordert eigene Entscheidungen.“
Herr Yamashiro lachte gackernd und anhaltend, während Frau Wissmann-Scheurich versuchte, das, was sie bisher gehört hatte, zu einem sinnvollen Bild zusammenzufügen.
„Eine Frage vielleicht noch, die das Ganze abrundet, dann hätten wir es auch schon – es wird ja nur ein mittelgroßer Artikel: Was war denn eigentlich der ausschlaggebende Grund, dass er . . . also, dass Sie sich, Herr Yamashiro-Sensei, in einem Alter, wo andere sich längst zur Ruhe setzen, auf die weite Reise gemacht haben, um hier im Norden Deutschlands für Ernst Liesgang einen solchen Ofen zu bauen?“
Herr Yamashiros Gesicht nahm erneut Haltung an, und nach mehreren Knurrlauten, die signalisierten, dass er die Übersetzung der Frage verstanden hatte, begann er mit tiefen Stirnfalten, wobei seine Stimme einen noch entschlosseneren Klang annahm: „Nakata Seiji, für den er auch schon einen Ofen gebaut hat, genau wie für den großen Meister Ito Hidetoshi, kam vor anderthalb Jahren auf ihn zu und hat ihn gefragt, ob er sich imstande sehe, eine Aufgabe dieser Tragweite zu übernehmen? Er hat sich gedacht, die Deutschen und die Japaner . . .“
Ernst brach ab und drehte seine Augen Richtung Himmel, als suchte er nach den richtigen Worten, denn Herr Yamashiro hatte unvermittelt seine Zeit als Soldat während des Zweiten Weltkriegs ins Spiel gebracht und erklärt, er habe sich das unverbrüchliche Bündnis des japanischen Kaisers mit dem deutschen Volk in Erinnerung gerufen und sich daraufhin entschlossen, im Geist der alten Waffenbruderschaft diesen Ofen zu bauen.
„Entschuldigen Sie bitte“, sagte Ernst, „da waren jetzt einige Wendungen, die sich nur schwer übersetzen lassen: Herr Yamashiro hat noch einmal auf die bis zum Beginn des Jahrhunderts zurückreichende Freundschaft zwischen Japanern und Deutschen verwiesen und gesagt . . . also wenn man es ganz wörtlich auffasst: Die Deutschen und die Japaner – im Innern sind sie einander gut.“
Frau Wissmann-Scheurichs Gesicht nahm einen versonnenen Ausdruck an, während sie die Formulierung notierte und sagte: „Das ist doch ein schönes Schlusswort. Damit kann ich etwas anfangen.“
Während Herr Yamashiro, Herr Böhm und Hiromitsu den Bau des Schornsteins fortsetzten, sollte Ernst Nakata Seiji beim Legen des Ofenbodens zur Hand gehen. Der Boden galt als vergleichsweise unkompliziert und eines Meisters eigentlich unwürdig, so dass er traditionell zu den Aufgaben des Töpfers gehörte. Da aber Ernst noch nie beim Bau eines Ofens dabei gewesen war, hatte Nakata Seiji, der die Gesamtverantwortung trug, sie selbstverständlich übernommen.
Schon beim Frühstück war er in einer verschlossenen, geheimnisschweren Stimmung gewesen, die sich, als Hiromitsu wiederum die Köstlichkeit von Himbeermarmelade auf gegrilltem Lachs anpries, zu einer explosiven Verfinsterung verdichtete, so dass Yoshi und Akira vorsichtshalber schwiegen und sich auch ohne Ermahnungen tadellos benahmen.
Nachdem er gegessen hatte, war Nakata Seiji noch einmal im Zimmer verschwunden. Masami hatte den Eindruck vermittelt, dass sie zwar wisse, was ihn umtrieb, sich aber nicht äußern könne – nicht einmal andeutungsweise. Während die beiden Meister und ihr Gehilfe die Arbeiten am Schornstein wieder aufnahmen, war Nakata Seiji einmal um den gesamten Werkstattkomplex herumgegangen, hatte hier und dort innegehalten und den Horizont betrachtet, als erhoffte er sich von dort eine Antwort auf was auch immer. Dann hatte er eine Weile unschlüssig beim Schornstein gestanden, die Sonnenbrille auf und wieder abgesetzt, seine Söhne angeknurrt, sie sollten sich zum Nacharbeiten des Schulstoffs bei ihrer Mutter melden. Erst als er sicher war, dass jeder seine Aufgabe hatte und niemand auf die Idee käme, Fragen zu stellen oder sonst etwas von ihm zu wollen, löste wie auf ein unsichtbares Zeichen fahrige Betriebsamkeit die Düsternis ab. Er murmelte vor sich hin, bewegte sich Richtung Werkstatttür, wobei die Finger seiner Rechten eine Klaviermelodie zu spielen schienen, drehte auf halber Strecke um, trat auf Ernst zu, zog ihn beiseite und sagte halblaut, er brauche eine Schippe. Ernst schaute ihn fragend an. So etwas, wie man es zum Einpflanzen von Stecklingen im Gemüsebeet benutze.
Ernst schüttelte den Kopf und fragte, ob er zum Baumarkt fahren solle. Dann fiel ihm ein, dass in den hinteren Werkstatträumen noch Kisten mit Gartengerät von einem der Vorbesitzer standen. Nakata Seiji, der normalerweise entschlossen voranschritt, wenn er etwas brauchte oder wollte, trottete ungewöhnlich verzagt hinterher, wartete in zwei Metern Abstand, während Ernst im Halbdunkel eine Blechgießkanne, rostige Hecken- und Rosenscheren, mehrere Stücke Schlauch einschließlich der dazugehörigen Düsen, Regler, Verteiler zutage förderte, und schließlich zwar keine Schippe, aber immerhin eine alte Unkrauthacke in der Hand hielt. Auf einer Seite hatte sie einen wuchtigen Dreizack zum Lockern des Bodens, auf der anderen ein Flacheisen, mit dem man Wurzeln durchtrennen oder Erde entfernen konnte.
Ernst hielt sie ins Licht und fragte, ob ihm damit geholfen sei, etwas anderes habe er nicht auf die Schnelle.
Nakata Seiji nickte: Jetzt brauche er noch eine Taschenlampe.
(Fortsetzung folgt)