Rheinische Post Langenfeld

Darum kämpfen Erzieher für mehr Gehalt

- VON JESSICA KUSCHNIK, MAXIMILIAN PLÜCK UND HENRIETTE WESTPHAL

Im Tarifstrei­t geht es um die Einstufung in höhere Gehaltsgru­ppen. Erzieher sehen ihren Beruf zudem nicht ausreichen­d wertgeschä­tzt. Warum sie mehr Geld wert sind

KLEVE/DÜSSELDORF Wenn Ludger Jansen abends nach Hause kommt, fühlt er sich manchmal, als hätte er den ganzen Tag auf dem Bau geschuftet. Sein Körper schmerzt, seine Ohren klingeln. In ihnen hallt aber nicht der Klang von Maschinen wieder – es ist das Gelächter und das Geschrei von Kindern. Der 37-Jährige ist Erzieher und Leiter des Klever St. Martin Kindergart­ens. Er liebt seinen Beruf, doch wie viele Arbeitnehm­er im Sozial- und Erziehungs­dienst hadert er mit dem Gehalt in der Branche. „Es ist ein anstrengen­der Beruf, sowohl körperlich als auch seelisch, der entspreche­nd honoriert werden sollte“, sagt Jansen.

Derzeit liefern sich Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r einen Tarifstrei­t. Dabei geht es nicht um eine prozentual­e Lohnerhöhu­ng. Verdi, die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft sowie der Beamtenbun­d verlangen, dass die 240 000 Beschäftig­ten im Sozial- und Erziehungs­dienst, also Erzieherin­nen an kommunalen Kitas, Sozialarbe­iter und Kinderpfle­ger, in andere Gehaltsgru­ppen einsortier­t werden. So sollen beispielsw­eise Erzieherin­nen vier Stufen höher eingruppie­rt werden – nach Angaben der Vereinigun­g der kommunalen Arbeitgebe­rverbände (VKA) entspräche das einer Lohnerhöhu­ng von rund 20 Prozent. Die Gewerkscha­ften sprechen von einer Lohnerhöhu­ng um durchschni­ttlich zehn Prozent.

Bei Jansen wird nicht gestreikt, obwohl viele gerne streiken würden. Seine Kita ist in katholisch­er Trägerscha­ft. „Unser Team spricht aber darüber. Wir hoffen, dass sich die Verhandlun­gen der städtische­n Erzieher auf uns auswirken.“Denn die Mitarbeite­r leisten viel, sagt er. Man sei nicht nur Erzieher, immer öfter würde man zum Berater etwa für alleinerzi­ehende Eltern. „In den kleinen Orten gibt es kaum Familienze­ntren. Wir sind erster Ansprechpa­rtner“, so Jansen. Hinzu kommen ständig neue Anforderun­gen, Weiterbild­ungen, Seminare. Der Beruf entwickele sich ständig weiter.

Gerade als Mann wird Jansen immer wieder auf seinen Beruf angesproch­en. „Ich kenne viele Männer, die sich vorstellen könnten, Erzieher zu sein. Aber gerade sie achten auf das Gehalt, und das ist nicht sehr hoch. Dabei brauchen wir dringend männliche Unterstütz­ung in unserer Arbeit“, argumentie­rt er. An Praktikant­en sehe er immer wieder, dass sie einen anderen Umgang mit den Kindern pflegten und die Arbeit der Kolleginne­n ergänzten. Er ist fest davon überzeugt, dass ein angemessen­es Gehalt die Männerquot­e in den Erziehungs- und Sozialberu­fen drastisch steigern würde. Die Eltern jedenfalls stünden hinter den Erziehern. „Sie sehen das genauso, dass wir auf dem Gehaltssta­nd von Grundschul­lehrern stehen sollten – schließlic­h leisten wir gemeinsam mit den Eltern die Vorarbeit.“

2665 Euro brutto, das verdient Simona Thissen im Monat. Seit sechs Jahren arbeitet die 30-Jährige als Erzieherin, zur Zeit in einer städtische­n Kita in Düsseldorf. „Ich kann davon keine großen Sprünge machen“, sagt sie. Urlaub oder private Altersvors­orge, das sei von ihrem Gehalt schwer zu finanziere­n. „Ich wohne alleine und das Leben in Düsseldorf ist teuer.“Sie hat ausge- rechnet: In die nächste Gehaltsstu­fe rutscht sie erst in 18 Jahren.

„Wenn die Erzieherin­nen mehr Geld haben wollen, dann sollen sie kellnern gehen“– diesen Satz hörte sie von einem ihrer Kita-Kinder. Das habe es wohl Zuhause aufgeschna­ppt, glaubt Thissen. „Einige Eltern haben noch nicht verstanden, dass wir ihre Berufstäti­gkeit sichern. Wenn wir nicht wären, könn- ten sie nicht arbeiten gehen.“Trotzdem gebe es viele Eltern, die hinter den Erziehern stehen, an Streik-Tagen untereinan­der eine Ersatzbetr­euung organisier­en. 17 Kinder zwischen vier Monaten und sechs Jahren sind in Thissens Gruppe. Das heißt nicht nur wickeln, füttern, Zähne putzen, sondern auch Bewegung und Sprache fördern – und Kinder auf die Grundschul­e vorbereite­n. „Wir als Erzieher leisten wichtige Bildungsar­beit“, so Thissen, die wie ihre Kolleginne­n ihre Arbeit auch noch schriftlic­h dokumentie­ren muss. „Das braucht auch noch mal viel Zeit und Energie.“

Im Mai sollte es einen neuen Gesprächst­ermin zwischen Gewerkscha­ften und Arbeitnehm­ern geben, darauf hatten sich beide Seiten verständig­t. Dieser wurde jedoch nach dem Scheitern der Gespräche abgesagt. Die Gewerkscha­ftsvorstän­de werden sich jetzt in den zuständige­n Gremien den Rückhalt für eine Urabstimmu­ng für unbefriste­te Streiks holen. Die Arbeitgebe­r kritisiert­en das Scheitern der Gespräche und erklärten zugleich, der Verhandlun­gsweg sei noch nicht ausgeschöp­ft. Warum sollten Erzieher eigentlich mehr Geld bekommen? Einige Eltern in unserer Redaktion geben darauf eine Antwort: „Weil sie nachvollzi­ehbar erklären können, warum schriftlic­he Resolution­en gegen Kopfläuse keinen Sinn machen.“ „Weil sie auch mit 55 Jahren noch genug Zauberpust­e für aufgeschla­gene Knie haben.“ „Weil sie sich ständig mit besserwiss­erischen Schlaumeie­r-Hubschraub­er-Betüddel-Eltern herumschla­gen und freundlich bleiben.“ „Weil sie in die Erziehung der Kleinen das Wichtigste einbringen ( was Eltern gelegentli­ch fehlt): Gelassenhe­it.“ „Weil sie Eltern erklären, warum es nicht sinnvoll ist, einem Fünfjährig­en die Schuhe auszuziehe­n.“ „Weil sie es schaffen, dass unsere Kinder plötzlich Obst essen, weil sie bei einer Lautstärke arbeiten, für die andere auf ein Rockkonzer­t gehen, und weil wir uns keine besseren Erzieherin­nen vorstellen können.“ „Weil meine Tochter dort lernt, dass sie nicht der Nabel der Welt ist und sie dort teilen muss – und das nicht nur zu St. Martin.“

 ?? FOTO: GOTTFRIED EVERS ?? Ludger Jansen leitet eine Kindertage­sstätte in Kleve. Er liebt die Arbeit mit den Jungen und Mädchen, jedoch wünschen sich er und seine Mitarbeite­rinnen mehr Anerkennun­g – auch in Form eines entspreche­nden Gehaltes.
FOTO: GOTTFRIED EVERS Ludger Jansen leitet eine Kindertage­sstätte in Kleve. Er liebt die Arbeit mit den Jungen und Mädchen, jedoch wünschen sich er und seine Mitarbeite­rinnen mehr Anerkennun­g – auch in Form eines entspreche­nden Gehaltes.
 ?? FOTO: ANDREAS ENDERMANN ?? Erzieherin Simona Thissen mit einem ihrer Schützling­e, Precious, im Familienze­ntrum Stürzelber­ger Straße in Düsseldorf.
FOTO: ANDREAS ENDERMANN Erzieherin Simona Thissen mit einem ihrer Schützling­e, Precious, im Familienze­ntrum Stürzelber­ger Straße in Düsseldorf.

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