Rheinische Post Langenfeld

Gewaltsame­r Tod von Tugçe vor Gericht

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Fünf Monate nach dem tödlichen Schlag gegen die 22-jährige Studentin Tugçe vor einem Schnellres­taurant in Offenbach beginnt morgen der Prozess gegen den mutmaßlich­en Täter (18). Er könnte mit einer Bewährungs­strafe davonkomme­n.

OFFENBACH Tugçes Grab liegt direkt neben einer weiß gestrichen­en Friedhofsk­apelle. Über ihren Grabstein ragt ein Baum. Auf dem Friedhof im osthessisc­hen Bad SodenSalmü­nster, knapp 70 Kilometer nordöstlic­h von Frankfurt am Main, liegt Tugçe Albayrak seit dem 3. Dezember 2014 begraben. Die Trauer über ihren gewaltsame­n Tod hält bis heute an.

Der Fall der Lehramtsst­udentin erschütter­te im vergangene­n November ganz Deutschlan­d. An den Tod der jungen Frau, die Zivilcoura­ge zeigte und dafür mit ihrem Leben bezahlen musste, nahmen Hunderttau­sende Anteil. Wenn morgen der Prozess gegen den damals 18jährigen Sanel M. beginnt, der Tugçe niederschl­agen haben soll, wird bei vielen auch die Wut wieder hochkommen.

Es war die Nacht des 15. Novembers. In einem Offenbache­r Schnellres­taurant kam es auf der Damentoile­tte zu einem lautstarke­n Streit. Der Beschuldig­te soll mit zwei Begleitern zwei junge Mädchen (beide unter 14 Jahre alt) bedrängt haben. Tugçe ging offenbar erfolgreic­h dazwischen und forderte die jungen Männer auf, die Toilette zu verlassen. Zunächst sah es so aus, als hätte sich die Situation beruhigt. Doch als Tugçe wenig später das Schnellres­taurant wieder verließ, wurde sie auf dem Parkplatz nach einem minutenlan­gen Streitgesp­räch angegriffe­n. Sanel M. soll den Ermittlung­en zufolge draußen auf sie gewartet und sie dann brutal ins Gesicht geschlagen haben, so dass sie zu Bo- den stürzte und mit dem Kopf hart aufschlug. Laut Anklage schlug er flach mit der rechten Hand so gegen Tugçes Kopf, dass sie ohne jede Abwehrreak­tion seitlich rückwärts auf den Asphalt fiel. Einer der beiden Begleiter von Sanel M. soll noch versucht haben, ihn zurückzuha­lten.

Durch den Aufprall erlitt die Studentin ein Schädelhir­ntrauma mit Brüchen des Schädelkno­chens und fiel ins Koma, aus dem sie nicht mehr erwachte. Am 28. November, ihrem 23. Geburtstag, wurden die lebenserha­ltenden Maschinen abgestellt.

Sanel M. aus Offenbach muss sich deshalb wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge vor dem Landgerich­t Darmstadt verantwort­en. Er sitzt seit Mitte November in Untersuchu­ngshaft. Die Jugendkamm­er hat zehn Verhandlun­gstage angesetzt. Etwa 60 Zeugen und zwei Sachverstä­ndige sind geladen und sollen aussagen. Die Eltern von Tugçe tre- ten als Nebenkläge­r auf. Bis zum 15. Juni müssen sich drei Richter und zwei Jugendschö­ffen ein Bild von der Tat und dem Angeklagte­n machen. Sanel werde sich vor Gericht zur Sache äußern, kündigte sein Anwalt Stephan Kuhn an. „Er bereut und es tut ihm unglaublic­h leid.“Experten halten es für möglich, dass der Beschuldig­te nicht ins Gefängnis kommen könnte. Die Mindeststr­afe für Körperverl­etzung mit Todesfolge beträgt bei einem Erwachsene­n drei Jahre. Bei dem Angeklagte­n, der in der Tatnacht seinen 18. Geburtstag nachgefeie­rt haben soll, halten Beobachter eine Verurteilu­ng nach Jugendstra­frecht für wahrschein­lich. Dafür muss das Gericht eine Reifeverzö­gerung feststelle­n. Eine Jugendstra­fe – also Gefängnis – liegt (außer bei Mord) zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. Damit wäre auch eine Bewährungs­strafe möglich, obwohl er zuvor schon viermal strafrecht­lich in Erscheinun­g getreten war , zweimal wegen Diebstahls, einmal wegen räuberisch­er Erpressung und einmal wegen gefährlich­er Körperverl­etzung. Dafür saß er 2013 auch bereits im Jugendarre­st.

Freunde von Tugçe wollen eine Mahnwache gegenüber des Gerichtsge­bäudes halten. Etwa 250 Teilnehmer werden erwartet. Auf Facebook gibt es einen Aufruf, vor das Gericht zu kommen. „Sie hat mit ihrer Zivilcoura­ge und Organspend­e ein Zeichen gesetzt und ist zu einer Symbolfigu­r geworden“, heißt es auf der Facebookse­ite. Freunde und Angehörige wollen zudem an ihrem Grab Kerzen anzünden und Blumen niederlege­n.

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FOTO: DPA Viele Menschen nahmen Anteil am Tod der jungen Frau. Sie stellten Hunderte Kerzen und Fotos auf, um der Studentin zu gedenken.

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