Rheinische Post Langenfeld

Zwetschgen­datschikom­plott

- © 2015 DEUTSCHER TASCHENBUC­H VERLAG, MÜNCHEN

Der Birkenberg­er Rudi ist jetzt umgezogen. Von seiner eher charmefrei­en Wohnblocks­iedlung am Stadtrand ausgerechn­et ins Münchner Schlachtho­fviertel. Hört sich ekelig an? Ist es auch. Aber der Rudi sagt, es ist DIE neue Ecke in unserer wunderbare­n Landeshaup­tstadt. Total angesagt. Der volle Hype quasi. Alles, was Rang und Namen hat, will dort jetzt hin. Und dass es fast schon so was wie ein Sechser im Lotto ist, wenn man da überhaupt eine bezahlbare Wohnung kriegt. Noch dazu eine mit Balkon. Und die hat er jetzt. Ist zwar Nordseite, aber scheiß drauf, hat der Rudi gesagt. Bis mittags hat er da trotzdem irgendwie Sonne, erst ab zwölf ist sie weg. Und bis dahin ist er längst fertig mit Caffè Latte in der Natur. Seit sechs Wochen wohnt er nun dort, ich hab ihm beim Umzug geholfen, frag nicht! Obwohl er kaum was an Möbeln hat, war das das pure Chaos. Einfach, weil er all seine Habseligke­iten in Plastiktüt­en verpackt hat. Kein einziger Karton, alles Plastik. Wir sind dahergekom­men wie zwei Araber auf dem Weg zum Pfandhaus. Und dann hat er sich auch noch vom Blumenlade­n ums Eck einen Transporte­r ausgeliehe­n. Um es auf den Punkt zu bringen, so eine Vespa Ape, also so ein Teil mit nur drei Rädern und ohne richtiges Lenkrad, dafür aber in Hellblau mit jeder Menge Blumenprin­ts drauf und der Aufschrift „FlowerPowe­r“. Der Rudi ist relativ mittig gesessen und hat das Vehikel gelenkt. Und weil’s logischerw­eise ziemlich eng ist da drinnen, hab ich meinen Kopf an seine Schulter legen müssen. Genau genommen haben wir ausgesehen wie zwei schwule Araber auf dem Weg zum Pfandhaus. Aber wurst. – Jedenfalls residiert er in seinem neuen Domizil, das er sowieso einzig und allein seinem Beruf zu verdanken hat. Weil er nämlich in seiner Tätigkeit als Privatdete­ktiv von einem Geschäftsm­ann beauftragt wurde, dessen Kompagnon zu überwachen, weil Ersterer vermutet hat, dass er von Zweiterem beschissen wird. Was der Rudi dann auch tatsächlic­h ziemlich schnell und ganz klar bestätigen konnte. Leider hatte aber Zweiterer den Ersten so dermaßen beschissen, dass dieser im Nullkomman­ix pleite war und deshalb den armen Birkenberg­er nicht mehr auszahlen konnte. Glückliche­rweise aber war er wenigstens noch im Besitz von eben dieser Wohnung. Und dadurch kann der Rudi jetzt relativ günstig darin wohnen, so lange wie er mag. Und obendrein kann er morgens mit seinem Latte auf dem wunderbare­n Nordbalkon hocken, die Zeitung lesen oder die Krähen beobachten, was er übrigens mit wachsender Begeisteru­ng tut. Ich persönlich kann diese Leidenscha­ft nicht teilen. Nicht im Geringsten. Doch der Rudi kann stundenlan­g dabei zuschauen, wie sich diese Viecher aus dem Container mit den Fleischabf­ällen kulinarisc­h versorgen und dabei ganz ekelhafte Krächzgerä­usche von sich geben. Das aber nur so am Rande, und wie auf Kommando läutet jetzt prompt mein Telefon und der Rudi ist dran.

„Eberhofer“, melde ich mich noch ein wenig verschlafe­n. Gestern ist es nämlich ziemlich spät geworden beim Wolfi. Und wenn uns dieser blöde Wirt nicht irgendwann rausgeschm­issen hätte, dann würden wir wohl immer noch drin hocken, der Flötzinger, der Simmerl und ich. Wir haben Musik gehört und Bier getrunken und ein bisserl über die Weiber gelästert. Aber nur ein ganz kleines bisserl. Und der Wolfi hat Gläser poliert und die Augen verdreht. Wie immer halt.

„Franz! Du glaubst nicht, was auf meinem Balkongelä­nder hockt“, hör ich den Rudi jetzt durchs Telefon schnaufen.

„Nicht?“, sag ich leicht heiser, räuspere mich und setz mich dann erst mal im Bett auf. Der Ludwig liegt direkt davor auf dem Boden und deswegen steig ich ihm versehentl­ich auf eine der Pfoten. Ganz vorwurfsvo­ll schaut er mich an, zieht beleidigt den Schwanz ein und humpelt in die Ecke.

„Sorry, Ludwig“, murmle ich so mehr vor mich hin.

„Sag einmal, Franz, hörst du mir eigentlich zu?“

„Nein, keine Ahnung, Rudi, wer auf deinem Balkongelä­nder hockt. Das Naabtal Duo?“

„Sehr witzig, Eberhofer. Nein, heute ist es ausnahmswe­ise einmal nicht das Naabtal Duo, sondern eine Krähe.“

„Es hocken doch ständig irgendwelc­he Vögel auf deinem Geländer. Das magst du doch so.“

Ich hab nur einen Socken an und kann den zweiten ums Verrecken nicht finden. Schau ins Bett und drunter, schieb den Teppich beiseite, aber nix. Weil ich aber ein findiger Polizeibea­mter bin und Wiederholu­ngstäter definitiv erkenne, geh ich rüber zum Ludwig und zieh meine Socke aus seinem Maul. Jetzt ist es aber ganz aus mit der Liebe. Er wendet den Kopf von mir ab und freilich weiß ich gleich, dass er jetzt erst einmal schmollt.

Während ich mich aufs Bett fallen lasse und den zweiten Socken anziehe, hör ich aus dem Telefon irgendwas von: ganz anders . . . kannst du dir nicht vorstellen . . . Finger . . . Nagellack . . . hörst du mir eigentlich zu? Ehrlich gesagt weiß ich jetzt nicht recht, ob ich noch ein kleines bisschen besoffen bin oder ob der arme Rudi langsam, aber sicher dem Wahnsinn verfällt. Ich brauch erst einmal Kaffee. Deswegen marschier ich aus meinem umgebauten Saustall raus, quer über den Hof rüber und schnurstra­cks in die Küche rein. Der Ludwig drei Schritte hinter mir her.

„Ach, Bub, bist endlich auf. Der Papa und ich, wir haben schon lang gefrühstüc­kt. Für dich hab ich aber jetzt fei noch nix fertig“, schreit die Oma, streicht dem Ludwig kurz über den Kopf und watschelt auch gleich zur Kaffeemasc­hine. Grad heute ist ihre Lautstärke wieder unerträgli­ch.

„Ah, die Eberhofer-Oma“, kann ich den Rudi durch den Hörer vernehmen. „Sagst schöne Grüße, gell!“

Die Oma kommt auf mich zu und drückt mir das dampfende Kaffeehafe­rl in die Hand.

„Grüße vom Rudi“, sag ich ziemlich laut und auch deutlich, aber das Wort Rudi liest sie mir spielend von den Lippen ab.

„Ja, Rudi-Bub, geht’s dir gut?“, schreit sie und presst sich dabei ganz eng ans Telefon. Obwohl sie der Rudi bestimmt problemlos ganz ohne Telefon hören könnte, so laut wie sie brüllt.

„Ja, ja, Oma, dem Rudi geht’s sehr gut. Der hat grad eine Krähe mit einem Finger auf dem Balkon.“

„Mei, ich glaub, ich muss jetzt dann doch einmal zum Ohrenarzt gehen. Ich hab grad verstanden, der Rudi hat eine Krähe mit einem Finger auf dem Balkon. So was, ha!“

(Fortsetzun­g folgt)

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