Rheinische Post Langenfeld

Kulturkamp­f an der Abbruchkan­te

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Anwohner hoffen, dass die Klimaabgab­e das Ende des Tagebaus besiegelt. Die RWE-Beschäftig­ten fürchten dagegen um Tausende Stellen.

ERKELENZ (anh/csh/hüw/mar/mc/ qua/tor) Von hier aus habe man einen guten Ausblick auf das Loch, sagt Dirk Heupts und streckt den Arm aus. „Dahinten war mal Otzenrath“, sagt er. „Und ganz dahinten lag Garzweiler.“Es sind Orte, die längst von der Landkarte verschwund­en sind. Der 39-Jährige ist zur Abbruchkan­te gekommen, um zu sehen, wie weit die gewaltigen Schaufelra­dbagger noch von Holzweiler entfernt sind – seiner Heimat, einem Dorf bei Erkelenz inmitten des rheinische­s Braunkohle­reviers.

Zwar bleibt Holzweiler anders als andere Dörfer in dem Gebiet erhalten, doch allzunah wollen die rund 1800 Bewohner die gigantisch­en Schaufelra­dbagger nicht an ihre Gartenzäun­e heranlasse­n. Gut zwei Kilometer liegen noch zwischen Holzweiler und der Abbruchkan­te. „Maximal 500 Meter dürfen es werden. Nicht weiter. Dann muss Schluss sein“, fordert Heupts.

Damit die Bagger auch spätestens 500 Meter vor Holzweiler stoppen, schließt sich der 39-Jährige morgen der Menschenke­tte gegen die Braunkohle an. Aktivisten der Umweltverb­ände Greenpeace und Campact protestier­en zudem in mehr als 20 Städten. „Seit den Fackelzüge­n in den 1980er Jahren hat es so eine Großdemons­tration nicht mehr gegeben“, sagt Heupts.

Die Anwohner haben einen überrasche­nden Verbündete­n gefunden: Bundeswirt­schaftsmin­ister Sigmar Gabriel. Der SPD-Chef will, dass die Branche 22 Millionen Tonnen Kohlendiox­id zusätzlich bis 2020 einspart, wie das Bundeskabi­nett mit den Stimmen von SPD und CDU beschlosse­n hat. Nur so werde Deutschlan­d sein Klimaziel erreichen, bis 2020 den Ausstoß an Treibhausg­asen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Dazu will Gabriel eine Klimaabgab­e auf Kraftwerke einführen, die älter sind als 20 Jahre und viel Kohlendiox­id (CO2) ausstoßen. Betroffen sind vor allem Braunkohle-Blöcke von RWE, die teilweise aus den 1960er Jahren stammen. Die Bundesnetz­agentur geht davon aus, dass RWE bei Berücksich­tigung der Klima-Vorgaben bis zu 20 Braunkohle-Blöcke stilllegen muss. Betroffen wären Neurath, Niederauße­m, Frimmersdo­rf, Hürth und Weisweiler.

Für manche Anwohner eine gute Nachricht. 7,5 Kilometer lang soll morgen die Menschenke­tte am Tagebau entlang werden. Viele Teilnehmer engagieren sich seit Jahrzehnte­n gegen die Braunkohle. Der Kampf gegen „Garzweiler II“hat eine lange Tradition und gehört zum Gründungsm­ythos der Grünen in NRW. Schon die erste rot-grüne Koalition unter Johannes Rau und Michael Vesper (ab 1995) wäre fast daran zerbrochen. Umso erstaunlic­her ist nun die Achse Gabriel/ Umweltschü­tzer.

Doch auch die Befürworte­r der Braunkohle rüsten auf. RWE beschäftig­t im rheinische­n Revier 11 000 Menschen. Direkt und indirekt hängen 50 000 Jobs an der Braunkohle. Für morgen haben die Gewerkscha­ften IG BCE und Verdi zur Demonstrat­ion vor Gabriels Ministeriu­m geladen. Motto: „Wir kämpfen für unsere Kohle“. Morgen früh um 4 Uhr brechen Busse aus Alsdorf und anderen Orten auf. Man hofft, dass 10 000 Bergleute und Kraftwerke­r von RWE und den ostdeutsch­en Braunkohle-Unternehme­n Vattenfall und Mibrag kommen. In der IG BCE erinnert man sich daran, wie einst Bergleute der Bonner Republik mit einem „Marsch auf Bonn“Steinkohle-Hilfen abtrotzten.

Unterstütz­ung bekommen die Beschäftig­ten von der CDU. Die NRW-Abgeordnet­en aus Landtag, Bundestag und Europaparl­ament wollen heute eine Resolution gegen die Klima-Abgabe verabschie­den. Bei ihrem Treffen dabei ist Sachsens Ministerpr­äsident Stanislaw Tillich (CDU). Gabriel habe kein Klimaschut­z-Papier vorgelegt, vielmehr ein solches, das die Überschrif­t trage „Die Braunkohle muss weg“, sagte Tillich. Damit werde die Brücke zur Energiewen­de zerstört. Polen würde sich freuen, Braunkohle­Strom nach Deutschlan­d zu liefern, wenn hier Windräder an regnerisch­en Tagen still stünden.

Auch der aus Neuss stammende CDU-Bundestags­abgeordnet­e Hermann Gröhe warnte: „Einen Strukturbr­uch darf es nicht geben.“Braunkohle werde in den nächsten Jahrzehnte­n einen notwendige­n Beitrag zur Versorgung­ssicherhei­t leisten. „Es besteht noch erhebliche­r Gesprächsb­edarf, bevor Entscheidu­ngen getroffen werden.“Das Kabinett hat sich zwar auf die 22 Millionen Tonnen Einsparung verständig­t. Doch die Klimaabgab­e ist bislang erst ein Vorschlag und noch kein Gesetz. Die Kanzlerin hält sich alle Wege offen: „Die Diskussion­en müssen so ausgehen, dass wir auf der einen Seite den Klimaschut­z im Auge haben, auf der anderen Seite auch die Arbeitsplä­tze und die heimische Rohstoffba­sis“, sagt sie.

Verkehrte Welt: Der Bundeswirt­schaftsmin­ister macht zur Rettung des Klimas Politik gegen die alte Braunkohle-Wirtschaft. Und nicht die Arbeiter-Partei SPD, sondern die CDU kämpft an der Seite der Beschäftig­ten für 50 Jahre alte Braunkohle-Blöcke, obwohl sich ihre Chefin als Klima-Kanzlerin versteht.

Die NRW-SPD tut sich schwer. Auf der einen Seite will auch sie die Kohle-Arbeitsplä­tze erhalten. Auf der anderen Seite kann sie aber auch nicht massiv gegen ihren eigenen Parteichef Sigmar Gabriel vorgehen. Das ist die große politische Kulisse, vor der der aktuelle Akt des Kulturkamp­fes um die Braunkohle tobt.

Die Gräben gehen auch mitten durch die Region. Erst recht, nachdem die Landesregi­erung vor einem Jahr angekündig­t hat, den Abbau in Garzweiler zu begrenzen. Das Dorf, sagt Anwohner Dirk Heupts, sei in dieser Angelegenh­eit dreigeteil­t. Die einen freuten sich, dass sie wohnen bleiben könnten. Dann gebe es andere, die damit zwar leben könnten, eigentlich aber lieber die Entschädig­ung genommen hätten und weggezogen wären. Und dann gebe es noch die Gruppe, die einfach nur enttäuscht ist, dass das Dorf doch nicht abgerissen wird. Darüber wird auch in der Dorfgastst­ätte „Zum Krummen Ochsen“in Holzweiler oft diskutiert. Vor der Kneipe von Irene Krummen treffen sich morgen die Demonstran­ten, ehe sie sich zu der Menschenke­tte mit den anderen zusammensc­hließen.

Dirk Heupts steht immer noch an der Abbruchkan­te. Irgendwann, sagt er, wenn keine Kohle mehr gefördert werde, soll das zurückblei­bende Riesenloch langsam mit Rheinwasse­r volllaufen. Sein Heimatdorf wird dann wahrschein­lich direkt an einem gigantisch­en See liegen. „Auch nicht die schlechtes­te Aussicht“, sagt Heupts.

Der SPD-Parteichef kämpft für die Umwelt, die Partei der Klimakanzl­erin für 50 Jahre

alte Kohle-Blöcke.

 ??  ?? Bis auf zwei Kilometer sind die Bagger schon an Holzweiler herangerüc­kt. CarlHeinz Herfs und Paul Schmitz (v.l.) machen mit einem Plakat aufmerksam.
Bis auf zwei Kilometer sind die Bagger schon an Holzweiler herangerüc­kt. CarlHeinz Herfs und Paul Schmitz (v.l.) machen mit einem Plakat aufmerksam.

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