Rheinische Post Langenfeld

„Hart, aber nützlich“– die deutsche Mitschuld

- VON FRANK VOLLMER

Das Kaiserreic­h wusste von den Armenier-Morden. Moralische Bedenken aber waren der Führung in Berlin fremd.

DÜSSELDORF Die Leichen der Armenier trieben schon den Tigris herab, telegrafie­rte der deutsche Konsul im damals türkischen Mossul im Nordirak, Walter Holstein, im Juni 1915 an die Botschaft in Konstantin­opel. Er fügte hinzu: „Unterwegs befindlich­en Transporte­n steht das gleiche Los bevor.“Da waren die Deportatio­nen der Armenier schon seit fast zwei Monaten im Gang. Fünf Tage später vermerkte Marineatta­ché Hans Humann auf Holsteins Telegramm: „Die Armenier werden mehr oder weniger ausgerotte­t. Das ist hart, aber nützlich.“

Wer heute hierzuland­e vom Armeniermo­rd spricht, kann von der deutschen Mitschuld nicht schweigen. Denn das Kaiserreic­h schritt nicht ein gegen die Verbrechen der verbündete­n Osmanen. Im Gegenteil: Mancher billigte das Morden; viele nahmen es bewusst in Kauf.

„Hart, aber nützlich“: Das ist an Zynismus kaum zu überbieten. Aber die Türken waren ein wichtiger Verbündete­r gegen Russland – der Krieg tobte auch in Anatolien. Im April 1915 waren zudem Briten und Franzosen vor Konstantin­opel gelandet; die osmanische Hauptstadt war bedroht. Die Armenier galten den Radikalen in Berlin wie der türkischen Regierung als heimliche Verbündete der Russen, als Verräter.

Von „extremer moralische­r Gleichgült­igkeit“der Reichsregi­erung spricht der Historiker Rolf Hosfeld in seinem aktuellen Buch „Tod in der Wüste“(C.H. Beck, 288 Seiten, 24,95 Euro). Kritiker fanden kein Gehör. So forderte Botschafte­r Paul Graf WolffMette­rnich, die deutsche Presse solle die Morde ansprechen. Reichskanz­ler Theobald von Bethmann Hollweg war entsetzt: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei an unserer Seite zu halten, gleichgült­ig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht.“Deutsche wurden teils selbst aktiv: Major Eberhard Graf Wolffskeel kommandier­te die Artillerie, die 1915 das Armeniervi­ertel von Urfa in Trümmer schoss. „Überall Tote in Mengen“, schrieb er danach seiner Frau, und: „Diese Halbwilden machen noch im Tod einen viel unangenehm­eren Eindruck als die Gefallenen auf einem Schlachtfe­lde.“

Ruhm erwarb sich der Theologe Johannes Lepsius, der 1916 den vo- luminösen „Bericht über die Lage des armenische­n Volkes in der Türkei“veröffentl­ichte – eine Anklage gegen den Völkermord. Die Zensur verbot die Publikatio­n prompt.

Die deutsche Gleichgült­igkeit veranlasst­e später einen Massenmörd­er noch größeren Kalibers zu großspurig­em Spott. „Wer redet heute noch von der Vernichtun­g der Armenier?“, fragte Adolf Hitler seine Generale 1939, am Vorabend des Krieges. Sechs Jahre später waren sechs Millionen Juden ermordet. Auf das Vergessen wenigstens spekuliert­e Hitler vergeblich.

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FOTO: EPD Eine armenische Mutter mit ihrem Kind und der letzten Habe, von den Türken in die Wüste vertrieben. Das Bild entstand 1915.

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