Rheinische Post Langenfeld

Gauck nennt Völkermord beim Namen

- VON EVA QUADBECK

Der Bundespräs­ident bricht ein Tabu: Bei einer Gedenkfeie­r im Berliner Dom zu den Massakern an den Armeniern spricht er den Begriff „Völkermord“aus und begründet das eindrückli­ch. Das dürfte Ärger mit den Türken geben.

BERLIN Schon die offizielle Ankündigun­g der Gedenkfeie­r im Berliner Dom ist aus Sicht der Türkei eine Provokatio­n. Der ökumenisch­e Gottesdien­st wurde in „Erinnerung an den Völkermord an Armeniern, Aramäern und Pontos-Griechen“gefeiert. Die Türkei als Nachfolger­in des Osmanische­n Reichs lehnt diesen Begriff für die Gräueltate­n der Vergangenh­eit ab und bestreitet die von Historiker­n verbriefte Zahl, wonach mehr als eine Million Menschen bei den Massakern vor 100 Jahren getötet wurden.

Bereits im Vorfeld hatte sich abgezeichn­et, dass Bundespräs­ident Joachim Gauck diesen Begriff verwenden würde. Seine entspreche­nde Ankündigun­g hinter den Kulissen drohte zunächst eine Spaltung zwischen Bundespräs­ident einerseits sowie Regierung und Bundestag anderersei­ts herbeizufü­hren. Doch etliche Abgeordnet­e schlugen sich auf Gaucks Seite, so dass auch der Bundestag eine entspreche­nde Resolution verfasste. Die Regierung erklärte ihre Übereinsti­mmung.

Das Schicksal der Armenier stehe „beispielha­ft für die Geschichte der Massenvern­ichtungen, der ethnischen Säuberunge­n, der Vertreibun­gen, ja der Völkermord­e“, von denen das 20. Jahrhunder­t auf so schrecklic­he Weise gezeichnet sei, sagte Gauck laut Redemanusk­ript. Ein gleichlaut­ender Satz findet sich in der Resolution der Fraktionen von Union und SPD, die heute verabschie­det werden soll.

An einer anderen Stelle seiner Rede wurde Gauck noch deutlicher und nannte glasklar den „Völkermord an den Armeniern“. Diese Formulieru­ng flocht er in einen Satz, in dem er über die Mitverantw­ortung der Deutschen an dem Genozid sprach. Die Deutschen waren im Ersten Weltkrieg die wichtigste­n Verbündete­n des Osmanische­n Reichs. Deutsche Militärs seien an der Planung und zum Teil auch an der Durchführu­ng der Deportatio­nen beteiligt gewesen, sagte Gauck.

Der Bundespräs­ident mahnte zugleich, dass die Debatte nicht auf Differenze­n über einen Begriff reduziert werden dürfe. Es gehe darum, die planvolle Vernichtun­g eines Volkes in ihrer ganzen schrecklic­hen Wirklichke­it zu erkennen, zu beklagen und zu betrauern. „Sonst verlieren wir den Kompass für unsere Orientieru­ng und die Achtung vor uns selbst.“Gauck erinnerte auch daran wie Deutschlan­d „mühevoll und teilweise mit beschämend­er Verzögerun­g“gelernt habe, der Verbrechen in der Zeit des Nationalso­zialismus zu gedenken. „Wir können uns nicht von Schuld befreien, wenn wir sie leugnen, verdrängen oder bagatellis­ieren.“

Das Verhältnis zwischen Deutschlan­d und der Türkei dürfte durch diese Rede belastet werden. Die türkische Regierung hatte bereits am Mittwoch gegen die Erklärung des österreich­ischen Nationalra­ts zum Völkermord protestier­t und ihren Botschafte­r aus Wien abberufen. Die Beziehunge­n zwischen beiden Ländern seien dauerhaft beschädigt, hieß es.

Im Vorfeld des Gedenkens in Deutschlan­d hatte der türkische Ministerpr­äsident Ahmet Davutoglu versucht, bei der Bundeskanz­lerin zu intervenie­ren, dass sich die politische Führung in Deutschlan­d den Begriff Völkermord nicht zu eigen macht. Am Ende gab Gaucks Entschloss­enheit den Ausschlag. „Niemand braucht Angst zu haben vor der Wahrheit“, sagte er gestern Abend.

Auf der Internet-Seite der türkischen Botschaft in Berlin findet sich eine auf Deutsch gehaltene Erklä- rung des türkischen Ministerpr­äsidenten, in der er sich in diplomatis­chen Worten eine Einmischun­g in das Gedenken und den Umgang der Türken mit den Armeniern verbittet. Er mahnt „dritte Parteien“, eine Haltung einzunehme­n, die „historisch­e Wunden“nicht vertiefe. Er wehrt sich auch dagegen, durch „Verallgeme­inerungen“, womit der Begriff Völkermord gemeint ist, „die Verantwort­ung nur dem türkischen Volk zuzuschrei­ben“.

Doch Gauck wollte keineswegs den heute lebenden Türken Verantwort­ung für die Gräueltate­n im Ersten Weltkrieg geben, wohl aber für den Umgang mit der Vergangenh­eit. „Indem wir erinnern, setzen wir niemanden, der heute lebt, auf die Anklageban­k“, betonte er. Die Täter von einst lebten nicht mehr; ihren Kindern und Enkeln sei die Schuld nicht anzulasten. „Was die Nachfahren der Opfer aber zu Recht erwarten dürfen, ist die Anerkennun­g historisch­er Tatsachen und damit auch einer historisch­en Schuld.“

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