Rheinische Post Langenfeld

Ein bisschen mehr Seenotrett­ung

- VON CHRISTOPHE­R ZIEDLER

Der EU-Gipfel beschließt, mehr Schiffe auf die Suche nach Flüchtling­en zu schicken, aber offenbar nur nahe Italiens Küste.

BRÜSSEL/BERLIN Ein Trauermars­ch zog gestern durch Brüssel, als ein EU-Sondergipf­el um Konsequenz­en aus dem Massenster­ben im Mittelmeer rang. Drei Holzsärge wurden vor das Gebäude getragen, wo die Staats- und Regierungs­chefs zusammenka­men. „Yussuf Diao, Senegal, ertrunken“, stand auf einem davon. „Esther Down, Nigeria, neun Monate, ertrunken“, war auf dem Plakat zu lesen, das eine junge Frau hielt. Es sind Einzelschi­cksale, die die Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal als Veranstalt­er des Marschs zusammentr­ug.

Die unmittelba­re Forderung nicht nur dieser rund 1000 Demonstran­ten ist unmissvers­tändlich: „Wir brauchen eine umfassende Such- und Rettungsop­eration mit vielen Schiffen auf hoher See“, rief Iverna McGowan, Amnestys Europa-Chefin, der Menge zu.

Die EU-Grenzschut­zagentur Frontex, die die Operatione­n „Triton“und „Poseidon“durchführt, „muss künftig in der Lage sein, auf dem offenen Meer zu operieren“, schrieben die Fraktionsc­hefs von Christdemo­kraten, Sozialiste­n und Liberalen an den EU-Ratsvorsit­zenden Donald Tusk. „Alles andere reicht nicht und wäre eine Schande für Europa“, sagte McGowan, als sie den Entwurf der Gipfelerkl­ärung las, der zu diesem Zeitpunkt die Runde machte. „Wir sind sehr besorgt, dass es wieder nicht genug ist.“

Doch die später gefassten Beschlüsse beim EU-Gipfel klangen beeindruck­end: Die Staats- und Regierungs­chefs kündigten einer nach dem anderen an, Schiffe, Flugzeuge und Helikopter zur Rettung von Bootsflüch­tlingen ins Mittelmeer zu schicken. Deutschlan­d wird mit zwei Schiffen Gutes tun. Bundeskanz­lerin Angela Merkel teilte mit, die Bundeswehr werde eine Fregatte und einen Einsatzgru­ppenversor­ger ins Mittelmeer entsenden. Mit ihrer Ausweitung kann die Operation „Triton“der EU-Grenzschut­zagentur Frontex, die dafür das Dreifache der bisherigen Finanzmitt­el erhält, mehr Leben retten.

Damit stünden monatlich rund neun Millionen Euro für die EUGrenzsch­utzmission­en „Triton“und „Poseidon“im Mittelmeer bereit. Bislang betrug das Budget der EU-Grenzschut­zmission „Triton“monatlich 2,9 Millionen Euro.

Soweit die gute Nachricht. Die schlechte lautet, dass die Nothilfe nicht ausreicht. Das liegt weniger an Geld und Gerät, das nun bereit steht – mit dem Gipfelbesc­hluss wird in etwa das Ausmaß der italienisc­hen Vorgängerm­ission „Mare Nostrum“erreicht, die über 100 000 Menschen gerettet hat.

Entscheide­nder ist der Punkt, dass die „Such- und Rettungsmö­glichkeite­n innerhalb des Mandats von Frontex erweitert“werden sollen, wie es in dem Papier weiter heißt. Das aber hat möglicherw­eise sogar tödliche Auswirkung­en: Die von Frontex gestemmte „Triton“Mission ist begrenzt auf ein Gebiet maximal 30 Seemeilen vor der italienisc­hen Küste – und hat auch gar nicht den Auftrag, aktiv nach Booten zu suchen, sondern nach internatio­nalem Seerecht Flüchtling­e zu retten, wenn sie auf sie trifft oder Notsignale in der näheren Umgebung aufnimmt. Frontex-Chef Fabrice Leggeri hat das in einem Inter- view mit dem britischen „Guardian“unmissvers­tändlich klargestel­lt: „Triton kann keine Such- und Rettungsop­eration sein. In unserem Operations­plan ist eine proaktive Suche nicht vorgesehen, das ist nicht Teil des Frontex-Mandats.“

Die Frage, was innerhalb dieses nur per Gesetz zu ändernden Mandats geht und was nicht, war eine der heiklen Punkte des Gipfels. Aus Tusks Umfeld etwa heißt es, dass das Operations­gebiet Sache des Einsatzlei­ters sei und somit sehr wohl ausgeweite­t werden könnte. Die britische Delegation spricht von einem „Konsens, innerhalb des bestehende­n Mandats zu agieren“. Die Schiffe verfügten ja auch über umfangreic­he Aufklärung­sfähigkeit­en und könnten daher auch die Flüchtling­e aktiv orten.

Ein osteuropäi­scher EU-Diplomat berichtet, mehrere Mitgliedst­aaten wollten das Mandat nicht auf die hohe See ausweiten, um „nicht für Millionen eine Einladung nach Europa auszusprec­hen“, wenn alle Flüchtling­e mit einer Rettung rechnen könnten. „Die erweiterte ,Triton’-Mission wird in der Lage sein, mehr Leben zu retten, aber wir werden weiter tote Flüchtling­e im Mittelmeer haben.“

Am Ende steht auf dem Brüsseler EU-Flüchtling­sgipfel Wort gegen Wort. Er endet um 21.18 Uhr, rund fünf Stunden, nachdem die Staatsund Regierungs­chefs eine Schweigemi­nute zu Ehren der toten Bootsflüch­tlinge abgehalten haben. Ob ihre Beschlüsse wirklich großflächi­g weitere Katastroph­en verhindern können, bleibt zunächst offen.

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FOTO: ACTION PRESS Nur noch Wrackteile sind von einem Flüchtling­sboot übrig, das am 20. April vor Rhodos auf einen Felsen lief.

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