Rheinische Post Langenfeld

Die Krisen der Frauen ab 40

- VON DOROTHEE KRINGS

Eine Reihe von Romanen in diesem Frühjahr erzählt von Frauen, die in ihrer Lebensmitt­e in existenzie­lle Krisen geraten. Überdruss oder die Sehnsucht nach Romantik treibt sie in Abenteuer. Manche gehen böse aus.

DÜSSELDORF Sie sind im Leben angekommen. So sagt man doch, wenn sich Frauen ab 40 fest an einen Partner gebunden haben. Wenn sie Kinder großgezoge­n, sich in ihrem Beruf weiter abgestramp­elt, es zu ein bisschen Wohlstand und Sicherheit gebracht haben – und dann der Überdruss einsetzt, das Unbehagen, die Unzufriede­nheit. Hinterrück­s.

Bisher war das kaum ein literarisc­hes Thema. Stagnation ist nicht fesselnd. Wenn auch Größen wie der russische Dramatiker Anton Tschechow vorgemacht haben, welche tragische Qualität der Sehnsucht nach einem erfülltere­n Leben innewohnt. In „Drei Schwestern“etwa verbannt er drei Frauen in die russische Provinz und lässt sie vom vermeintli­ch aufregende­ren Dasein in Moskau träumen, während ihr Leben zerrinnt. Tschechows Schwestern sind noch abhängig vom Willen und dem wirtschaft­lichen Geschick der Väter, Brüder, Ehemänner, die ihren Handlungsr­adius bestimmen. Um diese äußeren Zwänge geht es heute nicht mehr. Dafür um die innere Abhängigke­it von Frauen, die geliebt werden wollen. Oder die sich damit zufrieden geben, die Karriere ihre Männer zu begleiten, und sie behandeln wie verwöhnte Jungs. Bis die sich auch so verhalten.

Sibylle Berg erzählt davon in ihrem neuen Roman „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“. Chloe ist mit einem Regisseur verheirate­t, der mal „einen tollen Brecht“inszeniert hat. Danach begann der Abstieg. Chloe selbst hatte keine Ambitionen, ihre intellektu­elle Erweckung verdankt sie ihrem Mann, also folgt sie Rasmus nun auch in die Bedeutungs­losigkeit. Bei der Spötterin Berg klingt das so: „Jeden Morgen zwischen drei und vier denke ich in Ermanglung eigner Probleme über Rasmus’ Scheitern nach, erforsche die Straße seines Erfolgs, untersuche sie auf die Abzweigung hin, in die er irgendwann falsch abbog und die in einer Sackgasse endete. Rasmus schnarcht leise, ich decke ihn zu, streiche ihm über die Wange. Mein armer gedemütigt­er Mann. Er tut mir so leid, in seinem Misserfolg, in seiner Unfähigkei­t, einen Beruf als das zu sehen, was er ist: ein Zeitvertre­ib im Warten auf den Tod.“Bald sucht diese Frau nach erotischen Abenteuern. Zufrieden machen wird sie das nicht. Chloe ist zu bequem und zu wenig demütig für das Glück.

Berg ist nicht die einzige Autorin, die in diesem Frühjahr die totale Er- nüchterung von Frauen jenseits der 40 darstellt. Auch die Hamburgeri­n Katrin Seddig erzählt in „Eine Nacht und alles“von einer verheirate­ten Mittvierzi­gerin, die ihr vertrautes, wohlabgesi­chertes Leben mit dem Gymnasiall­ehrer-Gatten nur noch als satte Langeweile wahrnehmen kann, als Vorgeschma­ck des Todes. Auch bei Seddig sollen erotische Eskapaden den Mangel an Lebenssinn und Abenteuer wettmachen. Auch bei dieser Autorin wird der Ehemann gern im Schlaf beschriebe­n, als wehrloses Opfer, sein „liebes,

Ulla Lenze großes Gesicht, das gar nicht dick ist, nur groß und etwas rau an den Wangen“. Per muss zwar nicht gegen den berufliche­n Abstieg kämpfen, aber gegen die Zunahme seines Gewichts. Er beginnt zu laufen, kauft sich jugendlich­e Turnschuhe, macht sich lächerlich mit seinen Verjüngung­sversuchen – dass darin eine Liebeserkl­ärung steckt, bleibt Irene lange verborgen.

Seddig und Berg schicken ihre Frauen los, um ihr überraschu­ngsarmes Leben an der Seite müder Männer zu zerstören. Sie demütigen ihre Gatten, fordern sie heraus. Sie nehmen sich die Freiheiten, die sich früher nur Männer nahmen. Doch die moralische Grenzübers­chreitung, die Emanzipati­on von der Rolle, in die sie unbedacht und widerstand­slos hineingera­ten sind, ermögliche­n nur scheinbar ein befreites Leben. Im fremden Terrain jenseits der Ehe werden die Frauen zurückgewo­rfen auf sich selbst, müssen dort die eigenen Leerstelle­n erkennen. Erschöpft kehren sie zurück. Fontanes Effi Briest musste für ihren Ausbruch aus der ehelichen Enge noch mit Verbannung und gebrochene­m Herzen zahlen. Heute ist der Preis für die Frau die Resignatio­n. Sie muss selbst erkennen, dass

Katrin Seddig der Ausbruch aus dem Alltag nur äußerlich ist. Dass Erfüllung nur im Menschen selbst wachsen kann.

Darum braucht es auch keine bürgerlich­e Enge, um Frauen in die Krise zu stürzen. Die in Berlin lebende Autorin Ulla Lenze entlässt die Hauptfigur­en in ihrem Roman „Die endlose Stadt“in die Freiheit der Fremde: Holle ist Künstlerin, lebt gerade in Istanbul, Theresa geht als Journalist­in nach Mumbai. Äußerlich sind sie emanzipier­te, ungebunden­e Frauen, die sich in die Welt wagen, sich selbst verwirklic­hen in

Sibylle Berg anspruchsv­ollen Jobs. Doch beide sind liebeshung­rig, global vereinsamt, innerlich abhängig von Männern. Und als sie auch diese Bande kappen, driften sie ab. Zu viel Freiheit wird unerträgli­ch, Lenzes Frauen sind der Freisetzun­g nicht gewachsen.

Auch die Wienerin Doris Knecht benötigt keinen ehelichen Frust, um den freien Fall einer modernen Frau zu inszeniere­n. Marian ist Modedesign­erin, erfolgreic­h, attraktiv. Doch unter der emanzipier­ten Oberfläche schlummern alte Sehnsüchte nach Sicherheit, Geborgenhe­it, der Hochzeit in Weiß. So vertraut sie dem falschen Mann. Dann die Wirtschaft­skrise, und auf einmal haust die Erfolgsfra­u in einer Hütte auf dem Land und hungert. Knecht lässt in „Wald“alle Landlust-Klischees kippen. Der Ausstieg aus dem stressigen Alltag einer Großstädte­rin schenkt keinen inneren Frieden, sondern gerät zum bitteren Überlebens­kampf. Auch dieser Entwicklun­gsroman erzählt von der existenzie­llen Ernüchteru­ng einer Frau. Noch scheinen die rosaroten Mädchenträ­ume so tief verwurzelt, dass die Autorinnen dieses Frühjahrs sie mit aller Kraft herausreiß­en müssen. Auch wenn’s schmerzt.

Effi Briest musste für ih

ren Ausbruch aus der ehelichen Enge noch mit Verbannung und gebrochene­m Herzen zahlen

Doris Knecht

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany