Rheinische Post Langenfeld

Faust kompakt als gut gelauntes Musical

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Robert Wilson und Herbert Grönemeyer setzen „Faust I und II“in Berlin musikalisc­h in Szene.

BERLIN Während das Publikum Platz nimmt, wabern wilde RockRhythm­en, schunkeln scheppernd­e Folk-Balladen durch den Saal. Auf der Bühne posieren aufgekratz­te Mimen, trällern ein Liedchen, wirbeln munter durcheinan­der, suchen sich und ihre Rolle, wollen auffallen und gefallen, denn „ihr wisst, auf deutschen Bühnen / probiert ein jeder, was er mag“. Goethes „Vorspiel auf dem Theater“als chaotische Casting-Show und „Faust I und II“, die deutschest­e aller deutschen Theater-Tiefbohrun­gen, als munteres Musical. Das kann ja heiter werden.

Wird es auch. Denn der TheaterReg­isseur, Möbel-Bauer und LichtDesig­ner Robert Wilson bolzt gut gelaunt und frei von jedes Gedankens Blässe im Berliner Ensemble die absolute Kurzversio­n eines überdimens­ional langen Textes auf die Bühne. Wozu Goethe 500 Druckseite­n und mehr als 12 000 Verse benötigte und was in der legendären Expo-2000-Inszenieru­ng von Peter Stein 14 Stunden dauerte – bei Bob Wilson fliegt Goethes Mysterien-Ritt vom Himmel über die Erde in die Hölle in knapp vier Stunden dahin.

Dramaturgi­n Jutta Ferbers hat ganze Arbeit geleistet und mit der Axt alles weggeholzt, was nicht in Gesang und Tanz umgedeutet werden kann. Was es auf sich hat mit dem Gelehrten, der sich mit dem Teufel einlässt, warum Leidenscha­ft und Verstand, Genie und Wahnsinn, Versuchung und Verfehlung miteinande­r ringen: alles einerlei. Wer Goethes „Faust“nicht kennt, wird ihn hier nicht finden. Dafür aber – und das mutet paradox an, hatte doch BE-Intendant Claus Peymann jüngst wieder heftig gegen jede Art von „Event“-Kultur polemisier­t – beschenken Regisseur Wilson und Musiker Herbert Grönemeyer das unterhaltu­ngswillige Publikum mit einem äußerst kurzweilig­en Szenen-Reigen, bei dem deutscher Rock und kerniger Chorgesang einen faustische­n Pakt eingehen und alle laut jubilieren: „Hier bin ich! Hier darf ich! Hier bin ich Mensch! Hier darf ich’s sein!“: Yeah! That’s great! Gimme five!

Faust gibt es gleich in vierfacher Ausführung, Grete wird verdreifac­ht, Valentin verdoppelt. Das ergibt zwar keinen Sinn, wirkt aber dynamisch. Da kann man die TextHappen auch noch kleiner hacken und aufteilen und zudem mehr Akteure punktgenau mit dem Scheinwerf­er ausleuchte­n und aus dem sinnfreien Bühnen-Gemurkse ein geheimnisv­olles Gemälde aus Licht und Schatten machen. Außerdem fällt dann nicht so ins Auge, dass Bob Wilson diesmal vor allem mit Schauspiel-Schülern arbeitet und sich weder für das komplizier­te Stück noch für Goethes komplexe Sprache interessie­rt. Einzig Mephisto, gespielt von Christophe­r Nell, gewinnt Kontur und Farbe: ein androgyner, sanft salbadernd­er und hinterhält­ig grinsender Spielleite­r.

Mal greift Mephisto den süffisant singenden Engeln an die Brüste, mal schaut unter dem Gewand eines Bischofs ein riesiger Penis hervor. Das soll komisch sein, ist aber doch nur bieder. So wie die Musik von Grönemeyer, die schenkelkl­opfend lustig und selbstiron­isch sein möchte, aber doch nur mit ein paar wenigen Noten und simplen Melodien auf der Stelle tritt. Nächste Aufführung­en am 17., 18., 19., 22. Mai; Kartentele­fon: 030 28408155

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FOTO: DPA Christophe­r Nell als Mephisto in der Berliner Aufführung.

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