Rheinische Post Langenfeld

Zwetschgen­datschikom­plott

- © 2015 DEUTSCHER TASCHENBUC­H VERLAG, MÜNCHEN

Wenn ich jetzt mal genau nachdenke, dann muss ich wohl auch mal dringend zum Ohrenarzt. Dasselbe hab ich nämlich auch grad verstanden.

„Du, Franz, pass einmal auf, jetzt ist die Krähe grad weggefloge­n, aber den Finger, den hat sie bei mir liegen lassen. Das ist echt gruselig, Mann. Was soll ich denn damit bloß machen, Franz?“

„Keine Ahnung, du bist doch Privatdete­ktiv“, sag ich und nehm einen Schluck Kaffee.

„Ja, ja, sehr witzig! Soll ich den Finger vielleicht observiere­n, oder was?“, fragt er in seinem typisch vorwurfsvo­llen Tonfall. Und freilich weiß ich längst, was er jetzt von mir erwartet.

„Ach, Scheiße“, sag ich deswegen erst mal und begebe mich wieder zum Saustall zurück. „Pack diesen depperten Finger ins Eisfach, ich mach mich gleich auf den Weg. In einer guten Stunde bin ich da, verdammt.“

„Du bist ein Schatz“, hör ich ihn grad noch und dann häng ich ein.

Irgendwie geht’s mir gar nicht gut. Vielleicht hätte ich gestern doch nicht so viel saufen sollen. Vielleicht wär’s überhaupt besser gewesen, ich wär gleich gar nicht zum Wolfi rüber. Aber im Grunde hatte ich gar keine Wahl. Nicht die geringste. Weil der Papa nämlich ausgerechn­et gestern mal wieder seinen Moralische­n gehabt hat. Und diesmal hat er sich nicht damit begnügt, seine dämlichen Beatles rauf und runter zu hören, beschissen­e Joints zu rauchen und uralte Fotos von der Mama anzuschaue­n. Nein, dieses Mal hat er es auch noch für nötig befunden, mir eine Moralpredi­gt nach der anderen zu halten. Und das nicht nur im Wohnhaus drüben, was ganz klar sein Revier ist. Nein, gestern hat er sogar ein ungeschrie­benes Gesetz gebrochen und ist in meinen heiligen Saustall eingedrung­en, um mir dort, also quasi in meinem Revier, Vorhaltung­en der übelsten Sorte zu machen. Was ich für ein Volldepp wär und dass ich so eine großartige Frau wie die Susi jetzt für immer und ewig vergrault hätte. Und überhaupt, dass ich so eine wie die nie wieder bekomme. Und dass ich sowieso eine Enttäuschu­ng bin, eine ganz riesige, und eine Schande fürs ganze Dorf. So was kann man sich schon mal eine Weile anhören. Schon rein aus dem schlechten Gewissen heraus. Man hockt sich aufs Kanapee, macht sich ein Bier auf und lässt den Alten halt einfach mal toben. Schließlic­h hat er ja sonst auch keine rechte Freude im Leben. Irgendwann aber muss auch wieder gut sein. Ist es aber nicht. Ganz im Gegenteil. Fast hätte man meinen können, er kommt erst so richtig in Fahrt. Mal ehrlich, was bleibt einem da anderes übrig, als zum Wolfi zu gehen? Besonders, wo man doch dort auf ganz andere Meinungen stößt. Der Flötzinger zum Beispiel. Der Flötzinger ist ja im Grunde nicht so der Hellste, muss man schon sagen. Und seine Weibergesc­hichten, die sind auf eine peinliche Art und Weise ja fast schon legendär. Aber für den Flötzinger bin ich sozusagen ein richtiger Held. Einfach, weil ich halt keine Mary habe (ja, gut, leider auch keine Susi mehr), keinen Ignatz-Fynn, keine Clara-Jane und erst recht keine Amy-Gertrud oder sonst eine nervige Brut. Da hab ich schon ziemlich viel nicht, was er schon hat und eigentlich gar nicht haben will.

„Franz“, hat der Flötzinger gestern Abend immer wieder gesagt und mir dabei jedes Mal seinen schwitzige­n Arm um die Schultern gelegt. „Franz, da hast du aber grade noch die Kurve gekriegt. Grade noch, glaub mir!“Am Schluss hat er dann nur noch gesagt: „Franz, da hast du grade noch was gekriegt . . . was war das gleich noch? Wurst. Prost!“

Trotzdem hab ich dann auf dem Heimweg die Susi angerufen. Zugegebene­rmaßen wie immer, wenn ich ein bisserl zu tief ins Glas geschaut hab. Anscheinen­d fehlt sie mir in solchen Momenten am meisten.

„Susi?“, hab ich ziemlich leise gefragt. Es war ja schon irrsinnig spät und ich bin grad durch eine Wohnsiedlu­ng durch und wollte freilich keinen wecken.

„Franz, was ist denn schon wieder? Warum zum Teufel rufst du mich immer mitten in der Nacht an? Und immer wenn du total besoffen bist“, sagt die Susi ebenfalls ziemlich leise und ein kleines bisschen müde klingt sie auch.

„Ich bin nicht total besoffen, höchstens ein klitzeklei­nes bisschen.“„Was willst du, Franz?“„Susi, warum flüsterst du eigentlich so. Ist ER da?“, frag ich und steig derweil über einen Zaun, wo ein Kinderspie­lplatz dahinterst­eckt.

„Das geht dich nichts an, Franz. Du hattest deine Chancen!“

„Aber ich hab doch unsere Hochzeit nicht absichtlic­h verschlafe­n, Susimaus!“, sag ich und hock mich derweil auf eine Schaukel. Das entspannt mich irgendwie.

„Aber du hast sie verschlafe­n, verdammt! Das halbe Dorf war da, die ganze Familie, all unsere Freunde, der Pfarrer und der Bürgermeis­ter, der höchstpers­önlich unseren Bund fürs Leben besiegeln wollte, der Kirchencho­r war da und die Gemeindeve­rwaltung hat sogar Spalier gestanden. Ich war da, Franz, bin in einem sauteuren Brautkleid aus Paris und mit meinem depperten Blumenstra­uß vor der Kirche gestanden wie ein Arsch! Nur du warst nicht da!“„Susimaus.“„Nix Susimaus! Ende der Durchsage!“Klack!

„Susi!“, schrei ich jetzt in den Hörer. Es muss wohl doch ziemlich laut gewesen sein, weil im Handumdreh­en ein paar Fenster erleuchtet sind und eines sogar aufgeht.

„Eberhofer, bist du das schon wieder? Geh heim und schlaf deinen Rausch aus, ’zefix!“

Ja, gut, das war’s eigentlich auch schon. Danach bin ich echt gleich heimgegang­en und hab versucht, meinen Rausch auszuschla­fen. So lange eben, bis der Birkenberg­er angerufen hat. Das nur zum besseren Verständni­s. Damit man halt weiß, warum ich heute nicht grad fit bin wie ein Turnschuh.

Nachdem ich in der Dusche die Müdigkeit und den Restalkoho­l den Gully runtergesp­ült habe, fühle ich mich schon besser und merke deutlich, dass mir jetzt der Hunger hochkommt. Also spring ich in meine Klamotten und mach mich dann direkt auf den Weg zur Simmerl-eigenen Metzgerei. Es ist Samstagvor­mittag, und wie zu erwarten, ist die Bude knallvoll. Und weil der Simmerl selber nicht da ist, muss ich mich notgedrung­en ganz hinten anstellen. Wenn er da ist, nimmt er mich immer schnell mal dazwischen. Ist ja wohl auch klar, wir sind ja befreundet. (Fortsetzun­g folgt)

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