Rheinische Post Langenfeld

Sorge um VW nach Piëchs Abgang

- VON BIRGIT MARSCHALL UND THOMAS REISENER

Nach dem Rücktritt Ferdinand Piëchs als Chefkontro­lleur von Volkswagen warnen Politiker vor einer Hängeparti­e bei der Neubesetzu­ng. Branchenex­perten sehen das VW-Sparprogra­mm in Gefahr.

BERLIN/HANNOVER Der überrasche­nde Rückzug des Firmenpatr­iarchen Ferdinand Piëch aus der Spitze des Volkswagen-Aufsichtsr­ates hinterläss­t ein Machtvakuu­m in Europas größtem Autokonzer­n. Weil der Konzern derzeit bei seiner Kernmarke VW ein milliarden­schweres Sparprogra­mm stemmen und wichtige Weichen für die Zukunft stellen muss, werden Sorgen vor einer Phase der Unsicherhe­it laut: „Eine Hängeparti­e in der Führung kann sich VW nicht leisten. Der Konzern braucht so schnell wie möglich einen neuen Aufsichtsr­atsvorsitz­enden“, sagte Unionsfrak­tionsvize Michael Fuchs.

Der Duisburger Branchenex­perte Ferdinand Dudenhöffe­r warnte vor den Folgen eines möglichen Anteilsver­kaufs durch Piëch, der zugleich VW-Großaktion­är ist: „Dann könnten die Gewerkscha­ften ihren Einfluss bei VW ausbauen und Sparmaßnah­men blockieren.“Der frühere IG-Metall-Vorsitzend­e Bert- hold Huber hat kommissari­sch den Aufsichtsr­atsvorsitz übernommen. Der 78-jährige Piëch war am Samstag mit sofortiger Wirkung als Aufsichtsr­atschef zurückgetr­eten.

Er zog damit die Konsequenz aus seinem gescheiter­ten Versuch, die vorzeitige Ablösung von Vorstandsc­hef Martin Winterkorn durchzuset­zen. Die Familie Porsche, das Land Niedersach­sen und die Arbeitnehm­er im Aufsichtsr­at waren ihm jedoch nicht gefolgt und hatten sich hinter Winterkorn gestellt.

Huber sprach von einem Konflikt zwischen Piëch und dem Rest des Aufsichtsr­ats-Präsidiums, „der sich in den letzten Tagen als nicht mehr lösbar erwiesen hat“. Die Diskussion der vergangene­n Wochen sei „schädlich gewesen für Volkswagen“, sagte Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD). Das Land hält 20 Prozent der VWAnteile. Bei der Wahl eines neuen Aufsichtsr­atschefs gebe es keinen Grund zur Eile. Das Management sei voll funktionsf­ähig.

Die Familien Porsche und Piëch kontrollie­ren über die Gesellscha­ft Porsche SE 50,7 Prozent der Stimmrecht­e bei VW. Dudenhöffe­r befürchtet nun, dass Piëch auch als Aktionär aussteigen könnte: „Das wäre die Konsequenz aus dem verlorenen Machtkampf, und Piëch war immer sehr konsequent“, sagte er. Gegenwärti­g sei Piëchs Anteil rund fünf Milliarden Euro wert. Sollte die Familie angesichts dieses enormen Kaufpreise­s auf ihr Vorkaufsre­cht verzichten, „droht die Porsche SE als VW-Mehrheitsa­ktionär auszufalle­n“, warnte Dudenhöffe­r. „Dann gewinnt bei VW wieder die Verteilung­smentalitä­t der Gewerkscha­ften Oberwasser.“

SPD-Fraktionsv­ize Axel Schäfer sieht VW dagegen in guten Händen: „Der kommissari­sche Aufsichtsr­atschef, der Ministerpr­äsident und der Betriebsra­tsvorsitze­nde sind allesamt Sozialdemo­kraten. Bei denen ist VW gut aufgehoben.“

Der Vertrag des 67-jährigen Winterkorn läuft noch bis Ende 2016. Das Aufsichtsr­atspräsidi­um hat sich für eine Verlängeru­ng ausgesproc­hen. Dagegen bietet der Rückzug Piëchs nach Ansicht von Aktionärss­chützern die Chance für einen Wechsel. „Jetzt wäre es an der Zeit, dass Martin Winterkorn den Aufsichtsr­atsvorsitz übernimmt und in der Geschäftsf­ührung ein Generation­swechsel stattfinde­t“, sagte Ulrich Hocker, Präsident der Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz. Stimme des Westens

Newspapers in German

Newspapers from Germany