Rheinische Post Langenfeld

Das Ende einer Ëra

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Manche Berühmthei­ten sind ohne Beinamen nicht mehr denkbar. „Altkanzler“Kohl zum Beispiel. Oder Elvis „the King“Presley. Ferdinand Piëch war der „VW-Patriarch“.

Mit seinem Rücktritt von sämtlichen Ämtern bei Volkswagen endete am Wochenende eine Ära: Das Zeitalter der übermächti­gen Konzernlen­ker und Konzernret­ter, deren strahlende Management­leistungen ihnen über die Jahre eine fast grenzenlos­e Autorität verliehen. Die wie aus dem Nichts mit einsamen Entscheidu­ngen und knappen Worten Top-Manager vernichten konnten, auf dieselbe Art ganze Geschäftsz­weige einstampft­en oder neu erfanden und gestandene Familienvä­ter mit bloßem Schweigen ins Schwitzen brachten.

Der Gründer des Düsseldorf­er Stahlkonze­rns Schmolz + Bickenbach war beispielsw­eise so einer: Wie selbstvers­tändlich ließ sich Michael Storm auf Firmenkost­en eine Seilbahn ins Jagdrevier bauen. Oder der Air-Berlin-Gründer Joachim Hunold, der erst aus dem Nichts den ersten ernsthafte­n Lufthansa-Konkurrent­en schuf und dann wie im Rausch so viele Fluggesell­schaften aufkaufte, dass Air Berlin fast daran erstickte.

Oder die Kölner Bankiersfa­milie Oppenheim, die sich mit einer über 200jährige­n Erfolgsges­chichte zur ersten Adresse der Reichen entwickelt­e, bis mehrere Gesellscha­fter wegen Untreuevor­würfen vor Gericht kamen und das stolze Geldhaus an die Deutsche Bank verramscht werden musste.

Was diesen Manager-Typus mit Piëch verbindet: Seine außerorden­tliche Macht ist zur Selbstvers­tändlichke­it mutiert. Die Entscheidu­ngen der Wirtschaft­s-Patriarche­n werden im Laufe ihrer Karriere immer einsamer und zunehmend begleitet von jener gefährlich­en Ungeduld, die Kritik mit Hochverrat verwechsel­t – und entspreche­nd drakonisch reagiert.

Zugleich hat das Wirtschaft­s-Patriarcha­t auch Vorteile: Der Patriarch kann auch Gönner sein, der sich aus demselben Geist der Selbstherr­lichkeit heraus über die Spardiktat­e seiner Berater hinwegsetz­t. Piëchs üppige Sonderzahl­ungen zum Beispiel waren legendär. Ein Patriarch kann auch schneller entscheide­n, weil er nicht viel Abstimmung braucht. Sonst wäre die Übernahmes­chlacht zwischen Porsche und VW vor sechs Jahren vielleicht anders ausgegange­n. Und der Patriarch kann Visionen umsetzen, an die sonst niemand glaubt: Als Piëch Ende der 80er Jahre beschloss, dass die damals noch unscheinba­re Marke Audi ins PremiumSeg­ment aufsteigen soll, lachte die Konkurrenz in Stuttgart und München noch. Zehn Jahre später verging Mercedes und BMW das Lachen.

Aber die Zeit der Patriarche­n ist vorbei. Heute gelten Wertschätz­ung und Respekt als profession­eller Standard der Personalfü­hrung. Herablasse­nde Gesten gegenüber Mitarbeite­rn gelten als schwerer Management­fehler. Überhaupt haben Hierarchie­n an Bedeutung verloren: Die Mitarbeite­r sollen ja möglichst selbststän­dig arbeiten. Der befehlende Chef ist out, gefragt ist der fördernde Coach.

Dieser Kulturwand­el hat viel mit der Globalisie­rung zu tun: Im alltäglich­en Umgang mit fremden Völkern ist autoritäre­s Gehabe ein Wettbewerb­snachteil. Außerdem hat sich die deutsche Gesellscha­ft eine grundsätzl­iche Skepsis gegenüber Autoritäte­n angewöhnt. Das umständlic­he Wort „Sozialpart­nerschaft“, das es in keiner anderen Sprache gibt, bildet das Ziel der modernen Führungsku­ltur in Deutschlan­d gut ab.

Vielleicht ist das der tiefer liegende Grund, warum die Storms, die Hunolds und die Oppenheims heute in ihren eigenen Unternehme­n fast nichts mehr zu sagen haben. Warum der neue Vorstandsc­hef Heinrich Hiesinger bei ThyssenKru­pp erst den kompletten Vorstand rauswerfen musste, bevor er

Heute gelten Wertschätz­ung und Respekt

als profession­eller Standard der Personal

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