6000 gegen die Braunkohle, 15 000 dafür
Der Kampf um Kraftwerke und Tagebaue holte Tausende auf die Straße: In Garzweiler stand eine Menschenkette, in Berlin heizte die Gewerkschaft dem Bundeswirtschaftsminister ein. Der bekommt in der Koalition immer mehr Druck.
ERKELENZ/BERLIN Den Kampf der Zahlen haben die Gewerkschaften gewonnen: 15 000 Beschäftigte folgten am Samstag dem Aufruf von IG BCE und Verdi und forderten in Berlin den Erhalt der Braunkohlekraftwerke und Tagebaue. Am Tagebau Garzweiler versammelten sich dagegen „nur“6000 Demonstranten zu einer Menschenkette, um gegen den Braunkohle-Abbau zu protestieren. Doch der Kulturkampf zwi-
„Wir dürfen die immer gleichen Geschichten nicht mehr glauben“
Peter Jansen (CDU)
Bürgermeister von Erkelenz
schen „Old Economy“und Klimaschutz, zwischen Anwohnern, die um die Heimat fürchten, und Beschäftigten, die sich um ihre Jobs sorgen, zwischen Bund und Ländern ist noch nicht entschieden.
Die Menschenkette in Garzweiler reichte am Samstagnachmittag vom fast komplett umgesiedelten Dorf Immerath bis nach Erkelenz-Keyenberg, wo 2023 die Bagger von RWE zuschlagen sollen. Umweltschützer und Anwohner fordern ein Ende des Braunkohle-Abbaus bis 2030. „Wir dürfen die alten, immer gleichen Geschichten von RWE und den Gewerkschaften nicht mehr glauben“, sagte Peter Jansen, Bürgermeister von Erkelenz (CDU), zur Behauptung von RWE, insgesamt ständen 100 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Die Veranstalter sprachen von 6000 Menschen, die zur Anti-Kohle-Kette gekommen waren, die Polizei von einigen Tausend. Die Veranstaltung blieb friedlich, wenngleich die Polizei gegen 20 Personen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Hausfriedensbruch einleitete.
Fast gleichzeitig marschierten in Berlin 15 000 Beschäftigte vor dem Bundeswirtschaftsministerium auf, um gegen die von Ressortchef Sigmar Gabriel (SPD) geplante Klimaabgabe zu protestieren, mit der er ältere Kraftwerke belegen will, die besonders viel Kohlendioxid ausstoßen. IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis sagte: „Wir erwarten, dass alles vom Tisch geräumt wird, was das Aus der Braunkohle in Deutschland bedeuten würde.“Seine Kollegen trugen ein Transparent mit dem Konterfei des SPD-Chefs und der Aufschrift „Er war einer von uns“. Auch RWE-Chef Peter Terium marschierte in der ersten Reihe mit und schrieb beim Kurznachrichtendienst Twitter: „Ich bin überwältigt, wie viele Kollegen hier für vernünftige Energiepolitik kämpfen.“Mitarbeiter im Konzern berichten, dass Vorgesetzte moralisch Druck gemacht hätten, damit sich viele beteiligen. Teilweise waren sie bereits morgens um vier Uhr im Rheinland aufgebrochen.
Der Spagat, in dem die NRW-SPD steckt, zeigte sich auch in Berlin: Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) rief seinem Parteichef zu, Klimaschutz lasse sich mit der Kohle erreichen, nicht gegen sie. Er sprach für die Landesregierung; Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Wirtschaftsminister Garrelt Duin waren auf dem Rückflug aus China.
Die IG BCE legte mit aktuellen Berechnungen der Lazard-Bank nach. Danach würden durch die Klimaabgabe bei einem Strompreis von 32,50 Euro je Megawattstunde 34 von 38 deutschen Braunkohle-Blöcken unprofitabel werden. Bei einem Strompreis von 40 Euro wären 17 Blöcke unprofitabel.
Hier setzt Gabriels Kompromissvorschlag an, mit dem er gestern Abend in den Koalitionsausschuss ging: Er bietet nun einen „atmenden“Klimaschutzbeitrag an. Danach soll die Klimaabgabe hoch sein, wenn der Strompreis hoch ist, und niedrig, wenn der Strompreis niedrig ist. So sollen nicht mehr Blöcke als nötig aus dem Markt genommen werden. Zugleich bietet Gabriel eine deutliche Aufstockung der Fördermittel für Kraft-WärmeKopplung um mehrere Hundert Millionen Euro an. Das wird die vielen Stadtwerke freuen, die auf diese Technik setzen – und die Gabriels Klimabeitrag offiziell begrüßten.
Doch die Union lässt sich weder von den Stadtwerken noch von der Menschenkette in Garzweiler be- eindrucken: Sie lehnt auch Gabriels Kompromissvorschlag eines „atmenden“Klimabeitrags ab. „Das wäre ein großer bürokratischer Aufwand und ließe sich für jeden Einzelfall gar nicht genau berechnen und kontrollieren“, sagte der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs. CDU und CSU wollten weiterhin, dass stattdessen der Staat Verschmutzungsrechte für 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid am europäischen Markt aufkauft, um den Gesamtausstoß entsprechend zu senken.