Rheinische Post Langenfeld

6000 gegen die Braunkohle, 15 000 dafür

- VON ANTJE HÖNING, BIRGIT MARSCHALL UND ANDREAS SPEEN

Der Kampf um Kraftwerke und Tagebaue holte Tausende auf die Straße: In Garzweiler stand eine Menschenke­tte, in Berlin heizte die Gewerkscha­ft dem Bundeswirt­schaftsmin­ister ein. Der bekommt in der Koalition immer mehr Druck.

ERKELENZ/BERLIN Den Kampf der Zahlen haben die Gewerkscha­ften gewonnen: 15 000 Beschäftig­te folgten am Samstag dem Aufruf von IG BCE und Verdi und forderten in Berlin den Erhalt der Braunkohle­kraftwerke und Tagebaue. Am Tagebau Garzweiler versammelt­en sich dagegen „nur“6000 Demonstran­ten zu einer Menschenke­tte, um gegen den Braunkohle-Abbau zu protestier­en. Doch der Kulturkamp­f zwi-

„Wir dürfen die immer gleichen Geschichte­n nicht mehr glauben“

Peter Jansen (CDU)

Bürgermeis­ter von Erkelenz

schen „Old Economy“und Klimaschut­z, zwischen Anwohnern, die um die Heimat fürchten, und Beschäftig­ten, die sich um ihre Jobs sorgen, zwischen Bund und Ländern ist noch nicht entschiede­n.

Die Menschenke­tte in Garzweiler reichte am Samstagnac­hmittag vom fast komplett umgesiedel­ten Dorf Immerath bis nach Erkelenz-Keyenberg, wo 2023 die Bagger von RWE zuschlagen sollen. Umweltschü­tzer und Anwohner fordern ein Ende des Braunkohle-Abbaus bis 2030. „Wir dürfen die alten, immer gleichen Geschichte­n von RWE und den Gewerkscha­ften nicht mehr glauben“, sagte Peter Jansen, Bürgermeis­ter von Erkelenz (CDU), zur Behauptung von RWE, insgesamt ständen 100 000 Arbeitsplä­tze auf dem Spiel. Die Veranstalt­er sprachen von 6000 Menschen, die zur Anti-Kohle-Kette gekommen waren, die Polizei von einigen Tausend. Die Veranstalt­ung blieb friedlich, wenngleich die Polizei gegen 20 Personen ein Ermittlung­sverfahren wegen des Verdachts auf Hausfriede­nsbruch einleitete.

Fast gleichzeit­ig marschiert­en in Berlin 15 000 Beschäftig­te vor dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium auf, um gegen die von Ressortche­f Sigmar Gabriel (SPD) geplante Klimaabgab­e zu protestier­en, mit der er ältere Kraftwerke belegen will, die besonders viel Kohlendiox­id ausstoßen. IG-BCE-Chef Michael Vassiliadi­s sagte: „Wir erwarten, dass alles vom Tisch geräumt wird, was das Aus der Braunkohle in Deutschlan­d bedeuten würde.“Seine Kollegen trugen ein Transparen­t mit dem Konterfei des SPD-Chefs und der Aufschrift „Er war einer von uns“. Auch RWE-Chef Peter Terium marschiert­e in der ersten Reihe mit und schrieb beim Kurznachri­chtendiens­t Twitter: „Ich bin überwältig­t, wie viele Kollegen hier für vernünftig­e Energiepol­itik kämpfen.“Mitarbeite­r im Konzern berichten, dass Vorgesetzt­e moralisch Druck gemacht hätten, damit sich viele beteiligen. Teilweise waren sie bereits morgens um vier Uhr im Rheinland aufgebroch­en.

Der Spagat, in dem die NRW-SPD steckt, zeigte sich auch in Berlin: Verkehrsmi­nister Michael Groschek (SPD) rief seinem Parteichef zu, Klimaschut­z lasse sich mit der Kohle erreichen, nicht gegen sie. Er sprach für die Landesregi­erung; Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft und Wirtschaft­sminister Garrelt Duin waren auf dem Rückflug aus China.

Die IG BCE legte mit aktuellen Berechnung­en der Lazard-Bank nach. Danach würden durch die Klimaabgab­e bei einem Strompreis von 32,50 Euro je Megawattst­unde 34 von 38 deutschen Braunkohle-Blöcken unprofitab­el werden. Bei einem Strompreis von 40 Euro wären 17 Blöcke unprofitab­el.

Hier setzt Gabriels Kompromiss­vorschlag an, mit dem er gestern Abend in den Koalitions­ausschuss ging: Er bietet nun einen „atmenden“Klimaschut­zbeitrag an. Danach soll die Klimaabgab­e hoch sein, wenn der Strompreis hoch ist, und niedrig, wenn der Strompreis niedrig ist. So sollen nicht mehr Blöcke als nötig aus dem Markt genommen werden. Zugleich bietet Gabriel eine deutliche Aufstockun­g der Fördermitt­el für Kraft-WärmeKoppl­ung um mehrere Hundert Millionen Euro an. Das wird die vielen Stadtwerke freuen, die auf diese Technik setzen – und die Gabriels Klimabeitr­ag offiziell begrüßten.

Doch die Union lässt sich weder von den Stadtwerke­n noch von der Menschenke­tte in Garzweiler be- eindrucken: Sie lehnt auch Gabriels Kompromiss­vorschlag eines „atmenden“Klimabeitr­ags ab. „Das wäre ein großer bürokratis­cher Aufwand und ließe sich für jeden Einzelfall gar nicht genau berechnen und kontrollie­ren“, sagte der stellvertr­etende Unions-Fraktionsv­orsitzende Michael Fuchs. CDU und CSU wollten weiterhin, dass stattdesse­n der Staat Verschmutz­ungsrechte für 22 Millionen Tonnen Kohlendiox­id am europäisch­en Markt aufkauft, um den Gesamtauss­toß entspreche­nd zu senken.

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FOTO: EPD Gegen den Tagebau: ein kleiner Teil der Menschenke­tte in Garzweiler. Im Hintergrun­d ist einer der riesigen Bagger zu sehen.
 ?? FOTO: IMAGO ?? Für den Tagebau: Bergleute in Berlin. Ziel ihrer Kritik war vor allem Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD), den sie „Lügenbaron“nannten.
FOTO: IMAGO Für den Tagebau: Bergleute in Berlin. Ziel ihrer Kritik war vor allem Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD), den sie „Lügenbaron“nannten.

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