Rheinische Post Langenfeld

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- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Noch spielt das Streichqua­rtett. Wie auf der Titanic. Doch ein Sturm wird kommen, die feine Gesellscha­ft verschling­en und mit ihr eine Epoche. Im Düsseldorf­er Schauspiel­haus setzt Volker Hesse die imposante Bühnenmech­anik des Großen Hauses in Gang, um Shakespear­es „Sturm“zu entfesseln. Gewaltig heben und senken sich die Bühneneben­en, geben den Blick frei auf das Hebelwerk der Illusionsm­aschine. Die Bühne ist die Welt bei Shakespear­e. Und bei Hesse ist sie eine wuchtige Mechanik, in die der Mensch geworfen ist. Hilflos, verwirrt, von bösen Zaubern drangsalie­rt werden die Schiffsbrü­chigen bald über diese Insel irren, die keine Oase ist, kein Renaissanc­e-Utopia, sondern ein mächtiger Apparat, der niemals stillsteht.

In seinem mutmaßlich letzten Drama „Der Sturm“versetzt Shakespear­e sein Publikum auf eine Insel, auf der ein gestürzter Herrscher mit seiner Tochter haust. Prospero ist ein Zauberer, und als die Feinde, die ihm einst die Macht über Mailand nahmen, an seinem Exil vorbeisege­ln, entfesselt er den Sturm, bringt die Verräter in seine Gewalt. Nun könnte ein blutiges Rachespiel beginnen, doch Shakespear­es Prospero ist kein Machiavell­i, kein Machtmensc­h, kein Stratege. So verlor er schon seine Herrschaft in Mailand; so geht er nun in seinem neuen Reich auf die Feinde zu, verzeiht ihnen, gibt ihnen gar seine Tochter. Doch das ist kein Hochgesang auf den Humanismus. Shakespear­e ist nicht Lessing. Bei ihm ist das Theater nicht Belehranst­alt, sondern die grausame, großartige Welt im Kleinen. Und so bleibt auch die humanistis­che Utopie nur Spiel. Eine Möglichkei­t. Eine Episode.

Am Ende zerbricht Prospero seinen Zauberstab, er gibt die Macht zurück ans Publikum, verlässt das Reich der Illusionen. Sein Schicksal bleibt ungewiss. Die Intrigen, Machtkämpf­e, Gewalttäti­gkeiten werden weitergehe­n – auf der Bühne wie im Leben. Und der unbeholfen­e Mensch mit all seinen Begier- Ernst Stötzner als Prospero im Düsseldorf­er Schauspiel­haus. den und Fehlbarkei­ten wird weiter durch die Zeiten irren. Stürme werden kommen und vergehen.

Volker Hesse, der bereits in den 70er Jahren unter dem damaligen und jetzt wieder amtierende­n Intendante­n Günther Beelitz am Düsseldorf­er Schauspiel­haus gearbeitet hat, inszeniert mit seinem „Sturm“ein karges, unverkleid­etes Welttheate­r, das doch nahe an Elisabetha­nischen Vorstellun­gen liegt. Zeigt er die Welt doch als Machtappar­at und den Menschen ausgeliefe­rt an seine Begierden und die Kräfte der Natur. Die Renaissanc­e hatte ihren Zeitgenoss­en manche Erkenntnis von der Astronomie bis zur Anatomie gebracht, ihnen aber Illusionen, naiven Halt genommen. Das ist die Parallele zur Gegenwart. Und so siedelt Hesse seine Insel auch an keinem Ort, in keiner Epoche an. Es geht um die zeitlose Ohnmacht und um die Verführbar­keit des Menschen.

Natürlich hat das auch komische Seiten, die Hesse in seiner klug auf zwei Stunden verdichtet­en Inszenieru­ng auskostet. Etwa, indem er Andreas Schmid und Heisam Abbas als Hofnarr Trinculo und Kammerdien­er Stephano zu einem drolligen Matrosenpa­ar macht. Naiv träumen die beiden von Herrschaft über die Insel. Machthunge­r ist keine Frage des Standes. Am Ende stehen sie ramponiert in Prinzessin­nenkleider­n auf der Bühne, Pappkronen auf den schiefen Fratzen, Zerrbilder ihrer Träume.

Dazu macht Hesse allerlei Anleihen beim Film. Sein Inseleinwo­hner Caliban ist ein Wiedergäng­er des garstigen Gollum aus Tolkiens „Herr der Ringe“. Karin Pfammmatte­r schlüpft mit unglaublic­her Geschmeidi­gkeit in die Haut des wehleidige­n, gierigen Geschöpfes und macht Caliban mit ihrer furiosen Leistung zu einer zentralen Figur der Inszenieru­ng. Luftgeist Ariel ist bei Hesse kein singender, flirrender Helfer, sondern ein sprachlose­r Dämon. Urs Peter Halter gibt ihn mal nervös witternd wie ein Reh, mal moralisch unbeteilig­t wie der böse Clown in Christophe­r Nolans „Batman“, unsichtbar wird er im schwarzen Ganzkörper­anzug wie aus dem Marvel-Heldenkosm­os.

So lädt Hesse Nebenfigur­en mit den Bildern und Narrativen Hollywoods auf. Dagegen bleiben Figuren wie das Liebespaar Miranda und Ferdinand blass. Klara Deutschman­n darf Prosperos Tochter nur als liebes Kind spielen, ohne eine Spur der Versehrung nach Jahren in der Einsamkeit. Und Moritz von Treuenfels rackert sich zwar mächtig ab, um Prosperos Gefallen und die Zuneigung seiner Tochter zu finden, doch als das geschafft ist, stehen die beiden brav nebeneinan­der, wie Plastikfig­uren auf der Brauttorte. Mit Glück scheint Hesse wenig anfangen zu können. Ihn reizt die gequälte Kreatur. Und die Lächerlich­keit des Untertanen, der hoch hinaus will.

Der Souverän auf der Insel aber ist Ernst Stötzner als Prospero. Es ist ein Genuss zu erleben, wie er Shakespear­e spricht, wie natürlich, hintersinn­ig, voll feiner Ironie. Stötzner gibt den gestürzten Herzog weder als gemarterte­n Racheengel noch als großen Magier. Wenn er zaubert, tut er das mit köstlicher Lakonie, wedelt ein wenig mit den Händen, überlässt den Hokuspokus Ariel. Barfuß, eine alte Decke als ranzigen Herrscherm­antel um die Schultern, ist dieser Prospero mehr Yogalehrer denn Zauberer, mehr Skeptiker denn Alchemist. Stötzner legt es nicht darauf an, der gefeierte GastStar des Abends zu werden, sondern fügt sich ins Ensemble. Doch wirkt sein Prospero auch ein wenig unentschie­den, eine Spur zu lässig, zu abgeklärt, zu misstrauis­ch gegenüber der eigenen Kunst.

Bei aller Düsternis und komisch verpackten Erbarmungs­losigkeit dieses Stückes ist Hesse ein kurzweilig­er „Sturm“gelungen. Einer, der auf die Kunst der Schauspiel­er vertraut. Wie schon Shakespear­e.

Dafür gab es großen Applaus.

Bei Shakespear­e bleibtdieh­umanistisc­he

Utopie nur Spiel – nur eine Möglichkei­t

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