Zwetschgendatschikomplott
Weil dort . . . dort ist es nämlich überhaupt gar kein Problem nicht, eine anständige Brotzeit zu kriegen. Und weil ich schließlich weiß, was sich gehört, bring ich dem Birkenberger freilich auch etwas vom besten Metzger Münchens mit. So sitzen wir zwei dann schon ein kleines bisschen später zwischen seiner spärlichen Möblierung und lassen es uns schmecken. Ein feiner Fleischsalat, ein paar Radl Göttinger, eine grobe Streichwurst, Pressack weiß und sauer und ein halbes Dutzend ganz rescher Brezen. Ein Traum.
„Und, Rudi, wo ist jetzt dieses Teil?“, frag ich, grad wie ich mir ein Gäbelchen Fleischsalat einverleibe.
„Hm!“, macht der Rudi und steht auf. Er hat Manieren, mit vollem Mund spricht man nicht. Anschließend zieht er einen Karton hervor, welcher offensichtlich Einmalhandschuhe beherbergt, jedenfalls zieht er ein Paar davon heraus, streift sie sich über und geht dann rüber zum Kühlschrank. Öffnet das Gefrierfach, kommt mit einem Frühstücksbeutel zurück und legt ihn vor mir auf den Tisch. Darauf starren wir beide dann erst mal eine Weile. Die nächste Breze gibt’s mit der Groben.
„Joooaaaa, das ist eindeutig ein Finger“, sag ich schließlich mit Blick auf den Beutel.
„Hab ich mir schon fast gedacht“, nickt der Rudi. „Der Pressack ist übrigens der Hammer!“
„Stimmt. Die Grobe ist aber auch nicht schlecht.“
„Ziemlich klein, dieser Finger. Fast wie von einem Kind, gell“, sagt der Rudi.
„Klein schon, aber definitiv nicht von einem Kind. Schau dir das doch an, das sind doch keine Kindernä- gel, schau mal genau hin.“– „Ja, dafür sind sie wahrscheinlich doch zu groß, stimmt. Und außerdem lackiert.“
„Wobei das wiederum gar keine Rolle spielt. Meine Nichte, die Sushi, die ist noch nicht einmal vier und hat ihre winzigen Nägel auch manchmal lackiert. So rosa, weißt. Da ist sie dann auch immer tierisch stolz drauf. Irgendwie lustig.“„Das hier ist aber kein Rosa.“„Nein, vielleicht eher Pink.“„Also bitte! Das ist doch kein Pink! Das ist eher . . . ja, wie soll ich sagen? So mehr Fuchsia, mit einem klitzekleinen Touch ins Burgund möglicherweise?“
Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass der Birkenberger manchmal durchaus einen klitzekleinen Touch ins Weibische hat?
„Meinetwegen auch das“, sag ich, nachdem ich ausgiebig die Augen verdreht hab. „Was aber hier doch überhaupt nicht die Frage ist, Rudi. Die Frage ist doch einzig und allein: Wem gehört dieser verdammte Finger – und wo ist der Rest?“
„Womit wir uns wieder mal einig wären.“
„Gut“, sag ich etwas erleichtert, weil Uneinigkeiten mit dem Birkenberger – und speziell in Ermittlungsangelegenheiten – meistens anstrengend sind. Im Grunde sind sie es immer. „Wo fangen wir an?“
Der Rudi lehnt sich im Sofa zurück, hat die Lider auf halbmast, krault sich das Kinn und scheint intensiv nachzudenken. Und ich schau mir den Finger noch einmal etwas genauer an. Ja. Fuchsia, mit einem Touch ins Burgund.
Leider haben wir dann gar nicht mehr viel ermitteln können, der Rudi und ich, weil wir beide eingeschlafen sind. Ich wahrscheinlich noch wegen gestern beim Wolfi und so, und mit vollem Magen neige ich tendenziell sowieso schnell zur Müdigkeit. Und der Rudi hatte in der letzten Nacht eine mordswichtige Observierung und ist davon auch noch ganz platt. Wie auch immer, jedenfalls dämmert es draußen schon, wie wir schließlich aufwachen, und ein Blick auf die Uhr zeigt mir deutlich, dass es höchste Eisenbahn für die Heimreise ist. Weil die Oma schon seit Jahrzehnten jeden zweiten Samstag im Monat mit ihren Landfrauen zum Aerobic geht, und da muss ich sie vorher hinfahren – und hinterher freilich wieder abholen. Die Turnhalle ist nämlich im Nachbardorf, 7,3 Kilometer entfernt. Das ist zum Laufen eindeutig zu weit. Erst recht mit dem ganzen Aerobic. Ja, gut, das Wort bringt’s jetzt vielleicht nicht ganz auf den Punkt, bei Aerobic hab ich schon irgendwie andere Bilder im Kopf. Bei den Landfrauen, da geht’s vielleicht eher um das gesellschaftliche Zusammentreffen, würd ich mal sagen. Und ich kann mir da durchaus ein Urteil erlauben, weil ich schon einige Male das Vergnügen hatte, dabei zuschauen zu dürfen. Wenn ich meinetwegen etwas zu früh dran war oder sie etwas länger gemacht haben, da konnte ich schon mal den einen oder anderen Blick auf diverse Bewegungsabläufe werfen. Und was soll ich sagen? Eine Mensch-ärgeredich-nicht-WM ist das reinste Workout dagegen. Aber was soll’s? Die Mädels haben ihren Spaß, und das ist schließlich das Wichtigste. Und so verabschiede ich mich nur noch kurz vom Rudi und bin gleich auf dem Weg nach Niederkaltenkirchen.
Die Oma steht schon im Hof, wie ich ankomm, und hat bereits einen ihrer Puma-Trainingsanzüge an. Die hat sie übrigens in allen erdenklichen Farben. Gab mal irgendwo Mengenrabatt, was sonst, und da hat sie freilich kräftig zugeschlagen. Hat alle in ihrer Größe aufgekauft – und alle eine Nummer größer ebenfalls. Nur für den Fall, dass sie mal zunimmt. Heute ist die Wahl offensichtlich auf ein ziemlich knalliges Hellgelb gefallen.
„Ja, wo bleibst denn, Bub? Das Training fängt in zwanzig Minuten an! Ja, geh, jetzt schick dich!“, schreit sie schon beim Einsteigen und knallt dann die Autotür zu, dass die Scheiben vibrieren. Der Papa steht in seiner Latzhose drüben in der Haustür, die Hände in den Taschen vergraben, und nickt mir zu. Ich lass mal das Fenster herunter.
„Kommst dann gleich heim, gell, Franz“, ruft er mir zu. „Die Oma hat uns feine Zigeunerschnitzel gemacht, mit Bratkartofferln und einem Gurkensalat.“
Schaut wohl ganz danach aus, als hätte er seinen Moralischen wieder einigermaßen überwunden.
„Ja, Herrschaft, jetzt fahr halt endlich los“, quengelt mir der kleine Zitronenfalter aus dem Nebensitz rüber.
„Bin gleich da“, ruf ich noch dem Papa entgegen, dann trete ich aufs Gaspedal. Die Oma entspannt sich augenblicklich, kneift mich in die Wange und lacht.
„Jetzt fahrst aber gleich wieder schön heim, Franz, weil ich hab euch feine Zigeunerschnitzel gemacht, mit Bratkartofferln und Gurkensalat.“„Wirklich?“„Ja, freust dich?“„Ja, freilich freu ich mich da“, antworte ich und nicke brav.
(Fortsetzung folgt)