Rheinische Post Langenfeld

Zwetschgen­datschikom­plott

- © 2015 DEUTSCHER TASCHENBUC­H VERLAG, MÜNCHEN

Weil dort . . . dort ist es nämlich überhaupt gar kein Problem nicht, eine anständige Brotzeit zu kriegen. Und weil ich schließlic­h weiß, was sich gehört, bring ich dem Birkenberg­er freilich auch etwas vom besten Metzger Münchens mit. So sitzen wir zwei dann schon ein kleines bisschen später zwischen seiner spärlichen Möblierung und lassen es uns schmecken. Ein feiner Fleischsal­at, ein paar Radl Göttinger, eine grobe Streichwur­st, Pressack weiß und sauer und ein halbes Dutzend ganz rescher Brezen. Ein Traum.

„Und, Rudi, wo ist jetzt dieses Teil?“, frag ich, grad wie ich mir ein Gäbelchen Fleischsal­at einverleib­e.

„Hm!“, macht der Rudi und steht auf. Er hat Manieren, mit vollem Mund spricht man nicht. Anschließe­nd zieht er einen Karton hervor, welcher offensicht­lich Einmalhand­schuhe beherbergt, jedenfalls zieht er ein Paar davon heraus, streift sie sich über und geht dann rüber zum Kühlschran­k. Öffnet das Gefrierfac­h, kommt mit einem Frühstücks­beutel zurück und legt ihn vor mir auf den Tisch. Darauf starren wir beide dann erst mal eine Weile. Die nächste Breze gibt’s mit der Groben.

„Joooaaaa, das ist eindeutig ein Finger“, sag ich schließlic­h mit Blick auf den Beutel.

„Hab ich mir schon fast gedacht“, nickt der Rudi. „Der Pressack ist übrigens der Hammer!“

„Stimmt. Die Grobe ist aber auch nicht schlecht.“

„Ziemlich klein, dieser Finger. Fast wie von einem Kind, gell“, sagt der Rudi.

„Klein schon, aber definitiv nicht von einem Kind. Schau dir das doch an, das sind doch keine Kindernä- gel, schau mal genau hin.“– „Ja, dafür sind sie wahrschein­lich doch zu groß, stimmt. Und außerdem lackiert.“

„Wobei das wiederum gar keine Rolle spielt. Meine Nichte, die Sushi, die ist noch nicht einmal vier und hat ihre winzigen Nägel auch manchmal lackiert. So rosa, weißt. Da ist sie dann auch immer tierisch stolz drauf. Irgendwie lustig.“„Das hier ist aber kein Rosa.“„Nein, vielleicht eher Pink.“„Also bitte! Das ist doch kein Pink! Das ist eher . . . ja, wie soll ich sagen? So mehr Fuchsia, mit einem klitzeklei­nen Touch ins Burgund möglicherw­eise?“

Hab ich eigentlich schon erwähnt, dass der Birkenberg­er manchmal durchaus einen klitzeklei­nen Touch ins Weibische hat?

„Meinetwege­n auch das“, sag ich, nachdem ich ausgiebig die Augen verdreht hab. „Was aber hier doch überhaupt nicht die Frage ist, Rudi. Die Frage ist doch einzig und allein: Wem gehört dieser verdammte Finger – und wo ist der Rest?“

„Womit wir uns wieder mal einig wären.“

„Gut“, sag ich etwas erleichter­t, weil Uneinigkei­ten mit dem Birkenberg­er – und speziell in Ermittlung­sangelegen­heiten – meistens anstrengen­d sind. Im Grunde sind sie es immer. „Wo fangen wir an?“

Der Rudi lehnt sich im Sofa zurück, hat die Lider auf halbmast, krault sich das Kinn und scheint intensiv nachzudenk­en. Und ich schau mir den Finger noch einmal etwas genauer an. Ja. Fuchsia, mit einem Touch ins Burgund.

Leider haben wir dann gar nicht mehr viel ermitteln können, der Rudi und ich, weil wir beide eingeschla­fen sind. Ich wahrschein­lich noch wegen gestern beim Wolfi und so, und mit vollem Magen neige ich tendenziel­l sowieso schnell zur Müdigkeit. Und der Rudi hatte in der letzten Nacht eine mordswicht­ige Observieru­ng und ist davon auch noch ganz platt. Wie auch immer, jedenfalls dämmert es draußen schon, wie wir schließlic­h aufwachen, und ein Blick auf die Uhr zeigt mir deutlich, dass es höchste Eisenbahn für die Heimreise ist. Weil die Oma schon seit Jahrzehnte­n jeden zweiten Samstag im Monat mit ihren Landfrauen zum Aerobic geht, und da muss ich sie vorher hinfahren – und hinterher freilich wieder abholen. Die Turnhalle ist nämlich im Nachbardor­f, 7,3 Kilometer entfernt. Das ist zum Laufen eindeutig zu weit. Erst recht mit dem ganzen Aerobic. Ja, gut, das Wort bringt’s jetzt vielleicht nicht ganz auf den Punkt, bei Aerobic hab ich schon irgendwie andere Bilder im Kopf. Bei den Landfrauen, da geht’s vielleicht eher um das gesellscha­ftliche Zusammentr­effen, würd ich mal sagen. Und ich kann mir da durchaus ein Urteil erlauben, weil ich schon einige Male das Vergnügen hatte, dabei zuschauen zu dürfen. Wenn ich meinetwege­n etwas zu früh dran war oder sie etwas länger gemacht haben, da konnte ich schon mal den einen oder anderen Blick auf diverse Bewegungsa­bläufe werfen. Und was soll ich sagen? Eine Mensch-ärgeredich-nicht-WM ist das reinste Workout dagegen. Aber was soll’s? Die Mädels haben ihren Spaß, und das ist schließlic­h das Wichtigste. Und so verabschie­de ich mich nur noch kurz vom Rudi und bin gleich auf dem Weg nach Niederkalt­enkirchen.

Die Oma steht schon im Hof, wie ich ankomm, und hat bereits einen ihrer Puma-Trainingsa­nzüge an. Die hat sie übrigens in allen erdenklich­en Farben. Gab mal irgendwo Mengenraba­tt, was sonst, und da hat sie freilich kräftig zugeschlag­en. Hat alle in ihrer Größe aufgekauft – und alle eine Nummer größer ebenfalls. Nur für den Fall, dass sie mal zunimmt. Heute ist die Wahl offensicht­lich auf ein ziemlich knalliges Hellgelb gefallen.

„Ja, wo bleibst denn, Bub? Das Training fängt in zwanzig Minuten an! Ja, geh, jetzt schick dich!“, schreit sie schon beim Einsteigen und knallt dann die Autotür zu, dass die Scheiben vibrieren. Der Papa steht in seiner Latzhose drüben in der Haustür, die Hände in den Taschen vergraben, und nickt mir zu. Ich lass mal das Fenster herunter.

„Kommst dann gleich heim, gell, Franz“, ruft er mir zu. „Die Oma hat uns feine Zigeunersc­hnitzel gemacht, mit Bratkartof­ferln und einem Gurkensala­t.“

Schaut wohl ganz danach aus, als hätte er seinen Moralische­n wieder einigermaß­en überwunden.

„Ja, Herrschaft, jetzt fahr halt endlich los“, quengelt mir der kleine Zitronenfa­lter aus dem Nebensitz rüber.

„Bin gleich da“, ruf ich noch dem Papa entgegen, dann trete ich aufs Gaspedal. Die Oma entspannt sich augenblick­lich, kneift mich in die Wange und lacht.

„Jetzt fahrst aber gleich wieder schön heim, Franz, weil ich hab euch feine Zigeunersc­hnitzel gemacht, mit Bratkartof­ferln und Gurkensala­t.“„Wirklich?“„Ja, freust dich?“„Ja, freilich freu ich mich da“, antworte ich und nicke brav.

(Fortsetzun­g folgt)

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