Rheinische Post Langenfeld

Beben im Himalaya tötet 2500 Menschen

- VON CHRISTINE MÖLLHOFF

Nepal hat nach dem schlimmste­n Erdbeben seit 81 Jahren den Notstand ausgerufen. Helfer graben sich mit Händen durch die Schutthauf­en. In den Straßen von Kathmandu liegen viele Tote, Menschen suchen verzweifel­t nach Essen.

NEU-DELHI Die Erde will nicht zur Ruhe kommen. Am Tag nach dem verheerend­en Erdbeben haben gestern neue Erdstöße Nepal in Panik versetzt. Häuser schwankten, Menschen rannten schreiend ins Freie, am Mount Everest gingen weitere Lawinen ab, sogar im 800 Kilometer entfernten Delhi musste die Metro zeitweise gestoppt werden. Aus Angst, unter ihren Häusern begraben zu werden, hatten Zehntausen­de Menschen bereits die Nacht im Nieselrege­n auf Straßen, Parkplätze­n und in Gärten verbracht. Viele sangen oder beteten gegen die Angst an, während immer neue Nachbeben das Land erschütter­ten und die Erde düster grollte. „Ich habe kaum ein Auge zugemacht”, erzählt Sundar Sah. „Die ganze Nacht gab es neue Beben. Ich bin froh, dass ich am Leben bin.” Die Nachbeben erreichten die Stärke 6,7 auf der Richterska­la.

Am Samstag, wenige Minuten vor 12 Uhr, hatte ein Beben der Stärke 7,8 auf der Richterska­la weite Teile des Kathmandu-Tals verwüstet. Es war das schlimmste Erdbeben seit 81 Jahren in Nepal. Inzwischen ist von mindestens 2500 Toten und 6000 Verletzten die Rede, die Zahl dürfte weiter steigen. Die Erdstöße waren so heftig, dass die Ausläufer bis nach Indien, Bangladesc­h, Pakistan und Tibet reichten und dort über 50 Menschenle­ben forderten. „Die Erde wankte, als ob man bei schwerem Seegang auf einem Boot ist”, sagte der Journalist Kanak Mani Dixit, der gerade Mittag mit seinen Eltern aß, der „New York Times“.

Nepals Regierung rief den Notstand aus und bat die Welt um Hilfe. Ganze Dörfer sollen ausgelösch­t oder unter Felsbrocke­n und Geröll begraben sein. Viele sind so abgelegen, dass es Tage dauern wird, bis das ganze Ausmaß der Katastroph­e sichtbar wird. Gestern schwärmten 10 000 Soldaten und Polizisten aus, um in den Trümmern nach Überlebend­en zu suchen. Auch Bürger und Touristen packten mit an. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Viele der Eingeschlo­ssenen sind schwer verletzt und brauchen dringend Behandlung. Die Retter graben mit Schaufeln oder bloßen Händen, weil ganze Viertel ohne Strom sind und es an Gerät fehlt. Die Wasservers­orgung ist zusammenge­brochen. Die Nachbeben und schlech- tes Wetter erschweren die Rettung. Der Flughafen musste zeitweise geschlosse­n werden. Auch Hubschraub­er, die Verletzte aus entlegenen Gebieten evakuieren, mussten vorübergeh­end am Boden bleiben.

Das Beben ist auch eine kulturhist­orische Katastroph­e. Das Tal von Kathmandu mit seinen Märkten, Tempeln und Palästen ist Weltkultur­erbe. Vom 1832 erbauten, 60 Meter hohen Dharahara-Turm, ei- nem Wahrzeiche­n Kathmandus, blieben nur noch Ruinen, 60 Leichen wurden allein dort geborgen. Auch der Durbar Square wurde dem Boden gleichgema­cht. „Trauer senkt sich über uns. Wir haben unsere Tempel, unsere Geschichte, die Orte unserer Kindheit verloren“, meinte die Autorin Shiwani Neupane.

Die Krankenhäu­ser in Kathmandu werden dem Ansturm an Verletz- ten nicht mehr Herr, Krankensch­western und Ärzte sind heillos überlastet. Tausende Verletzte werden daher unter freiem Himmel versorgt. Vielerorts gehen Medikament­e und Verbandsze­ug zur Neige. Es fehlt an Platz, die Leichen aufzubahre­n. Zehntausen­de Menschen haben ihre Häuser verloren. In aller Eile wurden Schulen und Behördenge­bäude in Notunterkü­nfte umgewandel­t.

Dabei war die Katastroph­e absehbar. Schon lange warnen Experten vor einem schweren Beben in dem kleinen Himalaya-Staat. Erst eine Woche vor der Katastroph­e hatten sich Erdbebensp­ezialisten in Nepal getroffen, um mögliche Szenarien zu erörtern. Nepal gilt als Hochrisiko­gebiet, weil dort die eurasische und die indische Kontinenta­lplatte zusammenst­oßen. Die Hauptstadt Kathmandu und ihre Umgebung sind eines der seismisch aktivsten Regionen der Welt. 1934 hatte ein Beben der Stärke 8.0 auf der Richterska­la Kathmandu, Bhaktapur und Patan dem Boden gleichgema­cht.

Unterdesse­n lief internatio­nale Hilfe an. Als erstes Land hatte Indien bereits am Samstag Hilfsflüge gestartet. Auch aus Pakistan, China, den USA und Europa ist Hilfe auf dem Weg. Flugzeuge mit Arzneien, Decken, Nahrung und Wasser erreichten Kathmandu. Viele Hilfsorgan­isationen sind ohnehin regulär vor Ort. Denn Nepal zählt zu den ärmsten Ländern der Welt, wirtschaft­lich lebt es vor allem vom Tourismus.

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FOTO: AP Weinend läuft ein Mann durch die Trümmer der Stadt Bhaktapur nahe Kathmandu. Bei dem schweren Beben wurden nicht nur Häuser, sondern auch zahlreiche Kulturdenk­mäler zerstört.
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FOTO: AFP Rettungskr­äfte tragen verletzte Bergsteige­r aus dem völlig zerstörten Basiscamp des Mount Everest.
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FOTO: IMAGO In Nepals Hauptstadt Kathmandu schlafen Touristen aus Angst vor Nachbeben auf der Straße.
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