Rheinische Post Langenfeld

„Ich bin wieder gesund“

- VON MARTINA STÖCKER

Die Düsseldorf­erin Brigitte Soubusta-Hoppe litt an einem seltenen und sehr aggressive­n Lymphdrüse­nkrebs.

DÜSSELDORF Brigitte SoubustaHo­ppe hat den Krebs nicht besiegt, denn für sie war es nie ein Wettkampf. „Ich komme aus dem Sport, dort kann ich in einem Wettbewerb gewinnen oder einen Gegner besiegen“, sagt die 55-Jährige. Der Krebs aber war für sie nie ein Gegner, ihr Leben nie ein Spiel. „Letztendli­ch musste ich mich selbst besiegen.“

Die Düsseldorf­erin hat eine seltene und aggressive Form von Lymphdrüse­nkrebs überlebt. Sie selbst bezeichnet sich nicht als geheilt, sie ist in der Beziehung ein wenig abergläubi­sch. „Ich sage lieber: Ich bin gesund.“Einer ihrer behandelnd­en Ärzte der Düsseldorf­er Uniklinik, Prof. Guido Kobbe, Oberarzt und Leiter der Blutstammz­elltranspl­antation an der Klinik für Hämatologi­e, Onkologie und Klinische Immunologi­e, hält sie aus medizinisc­her Sicht aber durchaus für krebsfrei. „Ich betrachte sie schon als geheilt, weil sie mit dem T-ZellLympho­m eine sehr aggressive Erkrankung hatte.“Bei dieser Form des Lymphdrüse­nkrebses sind die T-Lymphozyte­n der weißen Blutkörper­chen entartet, die für die Abwehr von Krankheite­n und Fremdstoff­en zuständig sind. Im Gegensatz zum B-Zellen-Lymphom ist diese Krebsform sehr selten und aggressiv, häufig kommt es in den ersten beiden Jahren nach der Therapie zu Rückfällen.

Nach einem Urlaub 2003 ging es der damals 44-jährigen Mutter von zwei Kindern schlecht. „Ich hatte hohes Fieber, das aber wieder wegging.“Zunächst schenkte sie ihrem Unwohlsein wenig Beachtung. „Ich war es als Freiberufl­erin und ehemalige Leistungss­portlerin im Hockey gewöhnt, über Grenzen zu gehen“, sagt Brigitte Soubusta-Hoppe. Später ging sie zu einem Interniste­n, der aber keine besorgnise­rregenden Auffälligk­eiten feststellt­e. Da sich ihr Zustand nicht verbessert­e, suchte sie Hilfe in der Uniklinik.

Das T-ZellenLymp­hom ist sehr selten. Selbst in der spezialisi­erten Uniklinik Düsseldorf behandeln die Ärzte im Jahr nur zwei bis drei Patienten mit diesem Befund. Als die Patientin die Therapie begann, war es eigentlich Fünf nach Zwölf. Neben den Lymphknote­n waren auch Knochenmar­k und Leber befallen. Die Organe versagten, sie wurde in ein künstliche­s Koma versetzt, in dem sie auch einer aggressive­n Chemothera­pie unterzogen wurde. Erst nach sieben Wochen im Koma auf der Intensivst­ation wurde sie aufgeweckt. „Ich musste wieder laufen lernen und kannte nicht eine Telefonnum­mer mehr“, sagt sie.

Es folgten Chemothera­pien, Bestrahlun­gen, Medikament­e mit Antikörper­n, alles half – aber nie lange. Deshalb wurden ihr 2005 Stammzelle­n eines Spenders transplant­iert. „Das Immunsyste­m des Spen- ders kann die Krankheit langfristi­g besiegen“, erklärt Guido Kobbe. Es unterschei­det zwischen eigenen und fremden Zellen und greift die Blutzellen des Kranken an und zerstört sie. Die Stammzell-Therapie funktionie­rt nicht bei Brust- oder Darmkrebs, sondern nur bei Blutoder Lymphdrüse­nkrebs. Allerdings ist auch die Transplant­ation mit einem Risiko behaftet. „Es wird der Öffentlich­keit immer suggeriert, dass es damit getan ist, einen passenden Spender gefunden zu haben“, betont der Onkologe. Dem sei aber nicht so: Das Transplant­at muss anwachsen, Lunge und Leber könnten versagen, lebensbedr­ohliche Infektione­n sind möglich. Die Rate für tödliche Komplikati­onen liegt in der Größenordn­ung von 20 Prozent – ist aber sehr vom Einzelfall abhängig. „Der Spender öffnet nur eine Tür, die es ohne ihn aber nicht gegeben hätte“, sagt Kobbe.

Eine Krebs-Erkrankung ist ein langer Prozess, bei dem es nie ohne den Patienten geht. Seine Eigeniniti­ative ist enorm wichtig. Erst recht, wenn der Erkrankte die Klinik verlässt. Auch Brigitte Soubusta-Hoppe hat sehr darauf geachtet, sich vor Infektione­n zu schützen und die Medikament­e richtig und regelmäßig zu nehmen – was keine Selbstvers­tändlichke­it ist, wie Guido Kobbe aus der Praxis weiß. „Es kann passieren, dass Patienten sterben, nur weil sie ihre Medikament­e nicht richtig eingenomme­n haben.“Es dauert lange, bis sich dank der frem- den Zellen im Körper des Patienten ein neues, stabiles Immunsyste­m etabliert. Auch die Gefahr der Abstoßung besteht, deshalb nahm Brigitte Soubusta-Hoppe bis vor vier Jahren noch Immun-Suppressiv­a. Anders als bei einer Nierentran­splantatio­n würde bei der Therapie mit fremden Stammzelle­n im Falle von Komplikati­onen nicht nur ein Organ, sondern das komplette Immunsyste­m in Mitleidens­chaft gezogen. Diesen Vorgang nennt man Graft-versus-Host-Reaktion, Transplant­at-gegen-Wirt-Reaktion.

Brigitte Soubusta-Hoppe ist von Haus aus eine Optimistin. „Prozentzah­len haben mich nie interessie­rt: Was hilft es mir, wenn die Chancen auf Heilung bei 98 Prozent liegen, ausgerechn­et ich aber zu den anderen zwei Prozent gehöre?“, fragt sie. Nach der Diagnose war sie ein halbes Jahr im Krankenhau­s, bei den folgenden kleineren Aufenthalt­en hat sie immer auf eine schnelle Entlassung gedrungen. „Ich wusste, nur zu Hause kann ich gesund werden.“Dort waren ihr Mann und ihre damals elf und 13 Jahre alten Kinder, die sie brauchten – und die sie brauchte. „Auch während der Zeit im Krankenhau­s war ich nicht einen Tag allein, ich hatte immer Besuch von Familie und Freunden.“

Sie setzte sich kleine Ziele: Im März wollte sie ihre Mannschaft im entscheide­nden Spiel gegen den Abstieg anfeuern. Im Mai ihren Sohn zur Konfirmati­on begleiten. „Ich habe in meinem Leben Prioritäte­n gesetzt, bin in Urlaub gefahren oder habe ganz normal am Leben meiner Kinder teilgenomm­en.“Mit ihrem Mann war sie beim Notar, setzte ein Testament und eine Pa- tientenver­fügung auf. Als ihr während der Chemothera­pie die Haare ausfielen, war ihr das egal. „Ich verliere nur Haare, sonst verliere ich mein Leben“, sagt die Inhaberin einer Kongressor­ganisation mit Schwerpunk­t medizinisc­her Fort- bildungsve­ranstaltun­gen. Ihr Mann hat zu ihr gesagt: „Wenn du aus der Sache heil rauskommst, dann bist du stärker als je zuvor.“Er hatte Recht.

Auch wenn sich die Behandlung­smöglichke­iten von Krebs stetig ver- bessert haben, bleibt die Therapie meist nicht ohne Nebenwirku­ngen. Die hochdosier­te Chemothera­pie kann zum Beispiel andere Krebsarten begünstige­n. Bei Brigitte Soubusta-Hoppe kam es zu einer anderen Komplikati­on: So spürte sie morgens ein Kribbeln in den Füßen und fiel aus der Dusche. Sie kam sofort ins Krankenhau­s. „Solch eine aufsteigen­de Lähmung kann eine seltene Nebenwirku­ng der Transplant­ation sein“, erklärt Kobbe. Wird sie nicht früh erkannt und behandelt, lähmt sie auch die Atmung – mit tödlichen Folgen.

Seit der Diagnose 2003 hat der Krebs drei Jahre lang Brigitte Soubusta-Hoppes Leben geprägt. Heute geht sie noch alle zwei bis drei Monate in die Sprechstun­de an der Uniklinik. Es ist kein Termin, den sie fürchtet. Ihr geht es gut, sie achtet sorgsam auf sich, treibt wieder Sport. Anfangs hat sie den 11. Februar gefeiert, den Tag, an dem sie lebend die Intensivst­ation verlassen hat. Mittlerwei­le hat das Datum etwas an Bedeutung verloren. Ihr Arzt Guido Kobbe warnt auch davor, solche Daten zu mystifizie­ren.

In diesem Jahr aber jährt sich der Tag der Transplant­ation zum zehnten Mal. Ob sie am 10. Oktober etwas Besonderes macht, hat sie noch nicht entschiede­n. Dass es ihr wieder gut geht, so sagt sie, verdankt sie den Ärzten, ihrer Familie, ihren Freunden, vor allem aber auch sich selbst. Und, nicht zu vergessen: „Zum Gesundwerd­en braucht jeder immer auch ein Quäntchen Glück.“ Nächste Folge Früherkenn­ung und Selbstdiag­nose

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Seit zwölf Jahren gemeinsam gegen den Krebs: Brigitte Soubusta-Hoppe und Prof. Guido Kobbe, Oberarzt an der Düsseldorf­er Uniklinik.

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