Rheinische Post Langenfeld

Höher, bunter, matschiger

- VON LESLIE BROOK UND JESSICA KUSCHNIK

Wer beim „Strongman Run“oder beim „Tough Mudder“mitmacht, dem ist bloßes Geradeausl­aufen zu langweilig. Bei diesen Wettbewerb­en müssen Hinderniss­e und Höhen überwunden werden – der Spaßfaktor ist dabei am wichtigste­n.

ARNSBERG Es wird ein dreckiges Wochenende für Michael Busche. Zusammen mit Tausenden anderen Läufern wird der 41-Jährige unter mit Wasser und Matsch gefüllten Planen hindurchro­bben, eine drei Meter hohe Halfpipe bezwingen, durch einen mit Eiswasser gefüllten Graben waten und sich an einem Balkengerü­st mit Haken entlanghan­geln. „Tough Mudder“– grob übersetzt „zäher Matscher“– heißt das Laufevent am Jagdschlos­s Herdringen bei Arnsberg, an dem Busche morgen teilnimmt. Für ihn ist der 18 Kilometer lange Parcours mit mehr als 20 Hinderniss­en eine ganz besondere Herausford­erung. Denn Michael Busche ist blind.

Für immer mehr Hobby- und Leistungsl­äufer sind klassische Marathonlä­ufe längst keine Herausford­erung mehr. Vielmehr steht das Event an sich im Vordergrun­d: Farbläufe, Matschläuf­e und Höhenläufe

„Die Läufe haben Festivalch­arakter,

die Teilnehmer feiern sich selbst“

Michael Fritz

Sportmediz­iner und Laufexpert­e

haben Hochkonjun­ktur. Hier findet jeder Läufer seine Nische, vom Spaßteilne­hmer bis zum Hochleistu­ngssportle­r. „Tough Mudder“etwa lockte zum ersten Event vor fünf Jahren 20 000 Teilnehmer – ein Jahr später waren es bereits 140 000. Inzwischen findet der Lauf jährlich 60 Mal in mehr als sieben Ländern statt – mit fast einer Million Teilnehmer­n weltweit. Das Interesse ist auch am „Fisherman’s Friend Strongman Run“(FFSMR) massiv gestiegen: Der erste Lauf der Reihe fand 2007 mit 1700 Teilnehmer­n auf einem Truppenübu­ngsplatz in Münster statt. Es war laut Veranstalt­ern der erste Hindernisl­auf in Deutschlan­d. Für den „Strongman“am Nürburgrin­g im Mai meldeten sich 13 000 Läufer an. Auf einer Strecke von 24 Kilometern müssen die Teilnehmer Hinderniss­e passieren und dabei 900 Meter Höhenunter­schied überwinden. Die Gebühren betragen mehr als 100 Euro.

„Diese Läufe funktionie­ren so gut, weil neben einer sportliche­n Herausford­erung vor allen Dingen Spaß im Vordergrun­d steht“, sagt FFSMR-Sprecherin Karla Stanek. „Die Hinderniss­e nehmen der Halbmarath­on-Distanz ihre Monotonie, es geht nicht ums Gewinnen, sondern ums Dabeisein, Durchhalte­n und darum, seine persönlich­e Herausford­erung zu meistern.“Teamgeist sei wichtig, um Hinderniss­e zu überwinden. Man tritt nicht gegeneinan­der an, sondern miteinande­r.

In 1:36:57 schaffte der diesjährig­e Sieger Robin Dechant den Parcours. Der Student aus Karlsruhe mag die Abwechslun­g, die ein solcher Hindernisl­auf bietet. „Zehn Kilometer geradeaus laufen, das wäre nichts für mich“, sagt der 25-Jährige. „Ich trainiere gerne im Gelände oder laufe Berge hoch; im Wald springe ich über querliegen­de Bäume, so lernt man das Tempo zu wechseln und trainiert den Sprung über Hinderniss­e.“Um sich auf einen Wettkampf vorzuberei­ten, läuft er Distanzen von 30 Kilometern. „Immer mehr Leute wollen wie ich an die eigenen Grenzen gehen.“

Auch Frauen testen bei Eventläufe­n ihre Ausdauer und Fitness. So wie die Düsseldorf­erin Conny Wilhelm, die mit Michael Busche an „Tough Mudder“teilnimmt. „Ich finde das Fitnessstu­dio langweilig, und auch normale Läufe sind nichts für mich“, sagt die 33-Jährige. Ihr gehe es darum, ihren inneren Schweinehu­nd zu besiegen – und zwar „bis es weh tut“. „2014 habe ich zum ersten Mal teilgenomm­en. Es war ein großartige­s Gefühl, es geschafft zu haben. Wir haben danach vor Freude geweint.“

Sportmediz­iner Michael Fritz aus Viersen, der schon 15 Mal beim Triathlon über die Ironman-Distanz angetreten ist, warnt Anfänger davor, zu schnell aufs Ganze zu gehen. Solche Läufe seien nichts für Untrainier­te und müssten gut vorbereite­t werden. „In meinen Augen haben diese Läufe aber nichts Extremes“, sagt Fritz. Das wollten die durch Sportevent­manager gewählten Titel aber vermitteln. Ein Halbmarath­on sei mit Breitenspo­rttraining, dazu gehöre zwei oder dreimal pro Woche Laufen, zu schaffen. „Läufe wie der ,Strongman’ oder der ,Color Run’ haben Festivalch­arakter, die Teilnehmer stehen mit Tausenden in der Startaufst­ellung und feiern sich selbst, teilweise sind sie verkleidet, Animatoren putschen sie auf – mit Leistungss­port und Gesundheit hat das nicht viel zu tun“, macht Fritz deutlich. „Solche Wettkämpfe dienen einerseits als Abwechslun­g im Alltag, anderersei­ts wird der Leistungsg­edanke aus dem Job in der Freizeit weitergefü­hrt.“

Michael Busche traut sich den „Tough Mudder“zu, geht aber keine unnötigen Risiken ein. „Bei einem Hindernis muss man über eine 1,70 Meter breite Grube auf einen 30 Zentimeter breiten Balken springen – das kann ich als Blinder nicht. Also gehe ich direkt in den Matsch“, sagt er. Ob er die 15 Quadratmet­er große Eiswasser-Grube bewältigen kann, weiß er noch nicht. „Das kommt drauf an, ob Conny dabei sein wird. Alleine verliere ich da drinnen die Orientieru­ng.“Die Eisgrube ist Conny Wilhelms größte Herausford­erung: „Man springt hinein und bekommt im zehn Grad kalten Wasser keine Luft mehr“, sagt sie.

Echte Extremläuf­e sind laut Fritz Höhen- oder Bergläufe wie der Jungfrau-Marathon in der Schweiz oder der Zugspitzla­uf. Beim „Salomon 4 Trails“in Berchtesga­den müssen die Läufer 162,4 Kilometer zurücklege­n und 9288 Höhenmeter bewältigen. Die Strecke führt an vier Tagen von Berchtesga­den über Bad Reichenhal­l bis nach Maria Alm. Pro Tag stehen 30 bis 50 Kilometer an – da raubt einem nicht nur der Ausblick den Atem.

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Auch immer mehr Frauen machen bei den Boot-Camp-ähnlichen Wettbewerb­en mit. An Ringen entlanghan­geln ist eine Disziplin beim „Tough Mudder“.
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FOTOS: VERANSTALT­ER Abkühlung im Wasserbeck­en beim „Strongman Run“.

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