Rheinische Post Langenfeld

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BRÜSSEL Amazon, Apple, Gazprom, Google, Starbucks: EU-Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager hat sich in ihren ersten sechs Amtsmonate­n bereits mit einigen Großen der Konzernwel­t angelegt. Im Gespräch sagt die Dänin, die während ihrer Ministerze­it im Heimatland Mutter wurde, in Gremiensit­zungen Elefanten für Kollegen strickt und gerne und viel twittert, warum es wichtig ist, dass sie dem großen Druck widersteht. Gelten in Europa noch die Regeln und Pflichten der Marktwirts­chaft? VESTAGER Ja, natürlich. Warum fragen Sie? Weil angesichts der vielen Kartellund Beihilfeve­rfahren, die Sie eröffnet haben, der Eindruck entsteht, dass die Großen tun, was sie wollen. VESTAGER Das sehe ich nicht so. Die überwiegen­de Zahl der Unternehme­n im europäisch­en Markt spielt nach den Regeln, nur eine kleine Anzahl hält sich nicht daran. Mein Job ist es, sicherzust­ellen, dass die Mehrheit darauf vertrauen kann, dass jene verfolgt und bestraft werden, die Foul spielen. Wie fühlt es sich an, gegen die großen Konzerne anzutreten? VESTAGER Gut. Das ist doch das, wozu die EU-Kommission da ist. Für das Kartellamt in Dänemark oder in Deutschlan­d wäre es viel schwierige­r, gegen Großuntern­ehmen vorzugehen. Dazu muss man eine Marktmacht im Rücken haben – die 500 Millionen potenziell­en Kunden unseres Binnenmark­ts. Die nationalen Ämter sind für ihre na- tionalen Unternehme­n zuständig. Unsere Aufgabe ist es, die Fehler der Multis zu benennen und abzustelle­n. Und genau das will ich auch tun. Die, die Foul spielen, sind oft Konzerne – weshalb viele Bürger glauben, unsere Länder würden nicht von Politikern regiert, sondern von Multis. VESTAGER Mein erster Fall als Wettbewerb­skommissar­in betraf ein Kartell von Briefumsch­lagherstel­lern. Es war fast traurig, sie bestrafen zu müssen, da der Markt für Umschläge vermutlich nicht besser wird. Was ich damit sagen will: Jeder muss sich an unsere Marktregel­n halten – ob klein oder groß. Die Frage ist, ob Sie diese Regeln auch gegen große Namen durchsetze­n. Garantiere­n Sie eine Strafe für Google, wenn Sie am Ende einen Missbrauch der Marktposit­ion feststelle­n? VESTAGER Garantien gebe ich keine. Aber wir werden alles versuchen, um den Fall erfolgreic­h abzuschlie­ßen, vorausgese­tzt, wir haben die Fakten, die die Kritik untermauer­n. Sie prüfen auch Geschäftsp­raktiken von Paketzuste­llern sowie von Anbietern von Apps und Software. VESTAGER Eines ist merkwürdig: Die Europäer lieben es, online einzukaufe­n, jeder Zweite tut es, mich eingeschlo­ssen. Aber nur 15 Prozent kaufen im EU-Ausland ein, und nur sieben Prozent der Firmen verkaufen grenzübers­chreitend, obwohl man kaum mehr als eine englischsp­rachige Website braucht. Gerade als kleines Unternehme­n in einen kleinen Land kann einem doch eigentlich nichts Besseres passie- ren, als 500 Millionen potenziell­e Kunden zu haben. Warum also passiert es nicht? Sagen Sie es uns. VESTAGER Unsere ersten Ergebnisse zeigen, dass die Erfolgsquo­te beim Onlinekauf im Heimatland bei über 90 Prozent liegt, im EU-Ausland unter 50 Prozent – hier liegt etwas im Argen. Das kann an der Sprachbarr­iere liegen, wir aber suchen nach Verträgen, die Lieferunge­n in bestimmte Länder nicht erlauben. Das wäre unvereinba­r mit unseren Marktregel­n. Auch im Energiesek­tor geht es darum, nationale Grenzen aufzuweich­en. Sie haben die „Kapazitäts­märkte“im Visier. Werden Reservekra­ftwerke zu hoch subvention­iert, statt Energie in der EU zuzukaufen? VESTAGER Es ist völlig legitim, vorzusorge­n, damit es in Stoßzeiten nicht zum Blackout kommt. Wir sollten aber schauen, ob wir das in Europa nicht gemeinsam und günstiger für den Steuerzahl­er hinbekomme­n – am Anfang könnten regionale, am Ende europäisch­e Kapazitäts­reserven stehen. Unsere Untersuchu­ng in elf Staaten, darunter Deutschlan­d, soll klären, ob die jetzigen Subvention­en in diesem Umfang nötig sind. Die Förderung sollte, wenn überhaupt, keine Technologi­e bevorzugen und grenzübers­chreitend möglich sein. Sie haben sich gerade mit Gazprom angelegt. Ihr Google des Ostens? VESTAGER Beide haben das „G“gemeinsam, das war es aber auch. Hier ein Privatunte­rnehmen, da ein Staatskonz­ern. Hier Digitales, dort Energie. Auch unsere Kritik ist sehr unterschie­dlich. In beiden Fällen geht es um Missbrauch einer Monopolste­llung, beide Male sind politische Interessen im Spiel, hier Amerika, da Russland. VESTAGER Mit der Dominanz im jeweiligen Markt haben Sie Recht – das ist ja der Grund, warum wir uns einschalte­n. In den acht Ländern, wo wir Gazprom vorwerfen, den Gashandel zu erschweren und teils ungerechtf­ertigt hohe Preise zu verlangen, ist das Unternehme­n der Versorger schlechthi­n. Wie unabhängig sind Sie in diesem Fall? Entscheide­t die Faktenlage? Oder werden Sie doch dazu angehalten, das Verhältnis zu Moskau nicht weiter zu verschlech­tern? VESTAGER Der Wettbewerb­skommissar darf nicht abhängig sein. Der EU-Binnenmark­t, den das Amt beschützen soll, ist unser Juwel. Er ist die Grundlage unseres Wohlstands, die selbst die größten EU-Kritiker nicht abschaffen wollen. Wenn wir damit anfingen, die Wettbewerb­skontrolle als politische­s Instrument einzusetze­n, entzögen wir dem Binnenmark­t die Legitimati­on. Über Abhängigke­iten wird auch diskutiert, seit die EU-Kommission in der LuxLeaks-Affäre ermittelt und generöse Steuervorb­escheide für Großkonzer­ne unter die Lupe nimmt. Werden sie die Untersuchu­ngen unter anderem gegen Apple, Amazon und Starbucks vor dem Sommer abschließe­n? VESTAGER Das werden wir nicht schaffen. Ich möchte nicht riskieren, dass es nachher heißt, das Zieldatum sei wichtiger gewesen als die eigentlich­e Arbeit am Fall. Sonst bekomme ich Probleme, wenn einer der Fälle vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f landet. Gerade für kleinere Firmen stellen diese Steuerdeal­s für Großkonzer­ne doch eine klare Wettbewerb­sbenachtei­ligung dar. VESTAGER Genau. Zwei Kaffeehäus­er direkt nebeneinan­der, das eine unabhängig, das andere Teil einer multinatio­nalen Kette. Sie werben um dieselben Kunden, zahlen möglicherw­eise aber ganz unterschie­dliche Steuern. Das ist natürlich ein Fall für uns. DIE FRAGEN STELLTE CHRISTOPHE­R ZIEDLER

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