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Wer’s glaubt, wird selig
stand folgen? Zugegeben, das ist eine Herausforderung. Und sie ist es nicht erst seit der aufgeklärten Neuzeit. Die Menschen haben immer schon nach Beweisen gesucht, haben begierig Belege gesammelt für das nach Menschenverstand Unbegreifliche. Dies umso mehr in Zeiten nachhaltiger Glaubenserschütterungen. Am Ausgang des Mittelalters wurden Reliquien beliebte Glaubensware. Sie dienten plötzlich als Kitt, der erste Glaubensrisse vielleicht schließen könnte. Auch sie sollten das Unfassbare fassbar machen und durften nach dem „Prinzip Thomas“von den Pilgern manchmal sogar berührt werden – wie die Schädel der drei Magier im Kölner Dom. Der Glaube soll zum Faktum werden, nicht nur zeichenhaft sein, sondern im konkreten Abbild Gestalt annehmen.
Man sollte das nicht kleinreden oder gar als Sensationsfolklore abtun. Weil das Bedürfnis der Menschen nach Beweisen des Glaubens und der Wunder immer schon groß war. Das Verlangen nach Leitplanken entlang dem Glaubensund Lebensweg ist vor allem eins: menschlich.
Die biblischen Geschichten bleiben Herausforderungen für uns. Aber für manche gibt es wenigstens Zeugen und glaubhafte Zeugenberichte. Christi Geburt – die Menschwerdung Gottes – sollen die drei Magier und die Hirten auf dem Felde gesehen haben. Auch über die Auferstehung, den Sieg des Lebens über den Tod, wird uns anschaulich berichtet in den Schilderungen der Maria von Magdala. Weihnachten und Ostern bleiben verständlich; weit weniger aber das dritte christliche Hochfest, Pfingsten.
Wenn manche Unbegreiflichkeit für uns eine Herausforderung des Glaubens ist, dann ist Pfingsten unsere Prüfung. Was am 50. Tag nach Ostern (daher der Name Pfingsten) nicht alles geschieht! Ein Brausen im Himmel hebt an, gewaltige Winde kommen auf. Der Atem Gottes weht mächtig und belüftet die versammelten Apostel. Doch damit ist der „Spuk“noch nicht vorbei, denn Pfingsten ist eine österliche Kettenreaktion. Jetzt kommen Feuerzungen herab und senken sich auf die Häupter eines jeden. Eine Gemeinschaft entsteht, die für den Glauben brennt. Die Apostel sind Feuer und Flamme für Gott. Und mit einem weiteren Pfingstwunder wird Sinn gestiftet: Alle – erfüllt vom Sendungsbewusstsein – fangen an zu predigen, „mit anderen Zungen“, in fremden Sprachen also. Alle ver- stehen dabei einander; es ist das Gegenteil der babylonischen Sprachverwirrung. Pfingsten beschreibt ein unerhörtes Ereignis: die Globalisierung des Glaubens. Mit dem Hochfest schlägt darum auch die Geburtsstunde der Kirche.
Der Glaube ist schwächer geworden, das Wundern geht weiter. Wir wundern uns über gleichnamige Selbstheilungen, wir haben uns über die Fußballer in Bern und die geretteten Bergleute von Lengede gewundert. Andere wie Zarah Leander glaubten sogar zu wissen, dass „einmal ein Wunder gescheh’n“wird und waren mit dieser Gabe dann eine Zeit lang berühmt. Das al- les sind Weltwunder, die nichts mit einem Zeichen Gottes zu tun haben. Denn auch das Wundern haben wir säkularisiert. Wir erforschen das, was die Welt in ihrem Inneren zusammenhält, auf andere Art. „Das Wunder“, so Goethes wissbegieriger Faust, „ist des Glaubens liebstes Kind, und das Wissen ist des Wunders größter Feind.“
Doch muss oder darf man sich nicht auch wundern, selbst wenn man neugierig und aufgeklärt durchs Leben geht? Denn ein Wunder geschieht ja nicht nur dann, wenn (von Menschen aufgestellte) Naturgesetze unerklärlich durchbrochen werden, wenn es also irgendwie übernatürlich zuzugehen scheint. Wundern geht viel einfacher und auch bodenständiger. So kann man sich durchaus über die Sonne wundern, die Tag für Tag aufgeht und dann billionenfach in fotosynthetischen Prozessen unsere Lebensgrundlage schafft. Man kann sich auch über den eigenen Körper wundern, in dem sich genau in dieser Sekunde unzählbare physiologi-
Ein Brausen im Himmel hebt an, gewaltige Winde
kommen auf
Der Heilige Geist hat seinen markanten Auftritt in Gestalt
einer Taube
sche Reaktionen ereignen, damit wir uns so verhalten können, wie wir es in diesem Augenblick tun. Man kann sich also gut einfach nur über das Leben wundern, das andere auch Schöpfung nennen.
Es gibt so genannte Neurotheologen, die unlängst die Gehirnströme meditierender Mönche und betender Nonnen gemessen haben. Dabei wurde erkannt, dass Teile des Gehirns, die mit Aufmerksamkeit zu tun haben, stärker aktiv waren als Hirnbereiche für Raum- und Zeitempfinden. Sitzt da genau jetzt der Glaube? In einem Hirnbereich?
Auch an Pfingsten geht man dieser Frage nach. Der Heilige Geist hat dabei seinen markanten Auftritt in der Form einer Taube. Die schwebte früher aus Gründen der Anschaulichkeit als Holzattrappe an einer Leine durchs Kirchenschiff. Ein putziges Glaubensspektakel vielleicht. Doch bleibt die Taube ein sinnfälliges Glaubenszeugnis: Sie kehrt zu dem, der sie besitzt, immer wieder zurück.