Im Land der Kanaken
Mit dem größten Meerespark im Südpazifik will Neukaledonien seine einzigartige Unterwasserwelt bewahren.
„Ganz ruhig bleiben, keine Panik!“Mickaël Di Costanzos Kayak gleitet lautlos auf die Rückenflosse des Riffhais zu. Der Raubfisch hat ihn noch immer nicht bemerkt. Jetzt ist er nur noch wenige Meter entfernt. Als Di Costanzo vorsichtig das Paddel senkt, schnellt der Hai mit einem mächtigen Schlag der Schwanzflosse in die Tiefe. Das Kajak schwankt von der Fluchtwelle und steuert dann seelenruhig auf den Strand zu.
Abenteuer-Guide Di Costanzo schrecken wilde Tiere nicht. Er ist durch Piranhaflüsse im Amazonasgebiet Ecuadors gepaddelt und arbeitete jahrelang als Expeditionsführer im arktischen Spitzbergen. Was ist schon ein Riffhai, wenn man Eisbären und Walrosse im Fahrwasser hatte? „Als ich das Angebot bekam, in Neukaledonien zu arbeiten, wusste ich, das passt“, sagt der Franzose.
Wer das Alleinsein in menschenleeren Landschaften liebt, wird auch Neukaledonien lieben. La Côte Oubliée, die Vergessene Küste, nennen die Neukaledonier den Südosten ihrer Hauptinsel Grande Terre. Von der Welt vergessen scheint indessen der gesamte Archipel. Wo liegt noch einmal Neukaledonien? Selbst im Mutterland Frankreich haben viele noch nie von der Inselgruppe zwischen Australien und den Fidschi-Inseln gehört.
Dabei ist die Inselgruppe selbst auf einer Weltkarte kaum zu übersehen. Allein die Hauptinsel des französischen Überseegebiets ist mehr als 400 Kilometer lang und doppelt so groß wie Korsika. Mit insgesamt etwa 250 000 Einwohnern leben in Neukaledonien aber gerade einmal so viele Menschen wie in Mönchengladbach.
„Im Pazifik gibt es kaum andere so wenig erschlossene Inseln“, sagt Di Costanzo, „aber auch hier hat der Mensch bereits überall Spuren hinterlassen.“Nach dem Zweiten Welt- krieg wurden etwa für den Nickel-Abbau auf Grande Terre ganze Bergkämme abgetragen. Die Auswirkungen auf das einzigartige Ökosystem sind mancherorts katastrophal.
Im April 2014 hat die Regierung Neukaledoniens nun den größten Teil des Meeres unter Schutz gestellt. Mit einer dreimal so großen Fläche wie Deutschland ist der Parc Naturel de Mer de Corail das größte neu geschaffene Meeresschutzgebiet der Erde. „Die Einrichtung des Parks ist nur ein erster Schritt, um das riesige Gebiet effektiv zu überwachen“, sagt Lionel Gardes, der von Neukaledoniens Hauptstadt Nouméa aus den neuen Park verwaltet. „Wir möchten in Zukunft noch strengere Schutzzonen einrichten, um die Artenvielfalt zu erhalten.“
In Neukaledonien können Taucher 146 verschiedene Ty- pen von Korallenriffen erkunden, die größte Vielfalt weltweit. Die Unesco hat die neukaledonischen Lagunen bereits 2008 als einzigartiges Welterbe ausgezeichnet.
„Wir werden hier nie einen Massentourismus erleben“, sagt Gardes. Neukaledonien taugt mit seinen rauen Berghängen, schroffen, von Araukarien gesäumten Küsten und verstreuten Rinderfarmen auf den ersten Blick kaum als Südsee-Klischee. Es verwundert wenig, dass James Cook die Insel New Caledonia nannte, als er sie 1774 entdeckte, Neuschottland also. Unter den einheimischen Insulanern wird sie bis heute häufig Kanaky genannt.
„Die Kanaken haben seit endlosen Generationen gelernt, die Natur der Insel als ihre Lebensgrundlage zu bewahren“, sagt Félix Tjibaou, Clan-Chef aus dem Dorf Tiendanite. Als Kanaken bezeichnen sich die melanesischen Ureinwohner selbst. Erst über etliche Umwege wurde die Be- zeichnung zum Schimpfwort im Deutschen.
Inzwischen sind weniger als die Hälfte der Einwohner Neukaledoniens melanesischer Abstammung. Die Mehrheit bilden die Caldoches, Nachkommen französischer Siedler und Strafgefangener, zusammen mit Polynesiern, Indonesiern, Vietnamesen und Franzosen aus dem Mutterland. Seit 1853 sind die Inseln französisches Überseegebiet.
Am Strand von Ouvéa ist Neukaledonien dann doch ganz Südseeidylle: Strahlend türkises Meer, blendend weißer Sand und in lauer Meeresbrise wehende Kokospalmen. Wäre Captain Cook zuerst auf den Loyalitätsinseln gestrandet, hieße Neukaledonien heute vielleicht Neutahiti.
Sivitongo Georgi zieht sein kleines Motorboot mit schierer Manneskraft auf den Strand. Der Fischer mit der Statur eines Sumo-Ringers trägt ein TShirt mit der Unabhängigkeitsflagge Neukaledoniens, die überall auf den Loyalitätsinseln flattert. Georgi lässt das Motorboot über die Lagune rauschen. Das Boot wirft einen Schatten über langgezogene Korallenriffe. Südliche und Nördliche Plejaden nennt man die unbewohnten Inselchen, die sich wie ein Sternenband an den Enden Ouvéas im Ozean verlieren. „Die Inseln gehören seit vielen Generationen den Bewohnern von Ouvéa“, sagt Georgi, „früher bestatteten Sie auch hier Ihre Toten.“
Immer wieder wollten Investoren ein Hotel oder doch wenigstens eine Pension mit einer Reihe Bungalows entlang der puderzuckerfeinen Sandstrände der Plejaden planen. Aber die Fischer von Ouvéa ließen sich auf keine Verhandlungen ein. „Die Inseln sollen so bleiben wie sie sind“, sagt Georgi, „Was bringt uns ein Hotel und viele Touristen, wenn am Ende das Meer verschmutzt ist und es keine Fische mehr gibt? Auf Ouvéa wird es soweit nicht kommen.“
Wer das Alleinsein in
menschenleeren Landschaften liebt, wird auch Neukale
donien lieben
Die Redaktion wurde von Nouvelle Calédonie Tourisme und Aircalin zu der Reise eingeladen.