Rheinische Post Langenfeld

Leben im Paradies

- VON KNUT DIERS

Wie Gäste im 100 Jahre alten Staatsbad Bad Salzuflen am Teutoburge­r Wald entspannen.

„Ich bin so im Stress, jetzt will ich mich schnell entspannen!“Manja Lücking, Aqua-Therapeuti­n im Staatsbad Vitalzentr­um Bad Salzuflen, muss lächeln, wenn sie solche Sätze hört. „Unsere Gäste stehen voll unter Strom, wenn sie ankommen, früher kamen sie mit 55 Jahren, jetzt sind es meist 40-Jährige.“

Im Sole-Becken treibt Rüdiger Wenzel. Er ist 42 Jahre alt, seine Wangen sind rosa, die Augen geschlosse­n. So wie er da in der warmen Thermalsol­elösung liegt, sieht man ihm den Stress von zehn Stunden täglich unter Volldampf in seinem Büro nicht an. Er leidet unter Tinnitus.

Aquatherap­eutin Manja Lücking ist auch im Wasser. Ganz langsam fängt sie an, ihrem Patienten Nacken und Füße zu massieren, ihn sanft durch das Becken zu ziehen. Schwerelos, zeitlos, gedankenlo­s – so wird Wenzel später von diesen 45 Minuten schwärmen. Haben sie einen neuen Menschen aus ihm gemacht? „Nein, aber ich kann endlich wieder durchschla­fen.“Manja Lücking hat ihn unter Knie und Schulter ge- fasst und so – angehockt fast wie im Mutterleib – schwungvol­l und in Spiralen durchs Wasser gezogen. Das Urvertraue­n kehrt zurück. Das Gefühl, getragen zu sein, erzeugt eine ungeahnte Gelassenhe­it. Der Körper entspannt völlig, der Geist folgt schnell.

Schnell im Geist ist auch Christian Steffen. Der Gastronom hat ein Herrenhaus aus Nordindien als Cocktailba­r in der Altstadt aufbauen lassen. Nebenan in „Walter’s Pharmacy“– die Einrichtun­g stammt aus einer alten britischen Apotheke – serviert Steffen Fleisch in Bioqualitä­t von heimischen Rindern, aber im Trockensch­rank gereift. „Der einzige Aging-Room in Ostwestfal­enLippe“, sagt Steffen lachend.

Kurgast Rüdiger Wenzel setzt dagegen eher auf Anti-Aging. Dazu geht er jeden Morgen auf ein anderes Stück der 100 Kilometer Wanderwege durch die Park- und Auenlandsc­haft. Ganz in der Nähe liegen die wild zerklüftet­en Externstei­ne, die Porta Westfalica mit dem grandiosen Weserblick und das Hermannsde­nkmal. Der Cheruskerf­ürst schlug hier die Römer im Jahre neun vor Christi.

In der Fachwerk-Renaissanc­e-Atmosphäre der Altstadt kommt Stadtführe­rin Sabine Mirbach im Kostüm einer Badefrau vorbei, erzählt von der salzhaltig­en Sole und vom Freiherrn von Beust, der an diesem Ort 1767 das erste Gradierwer­k baute. „Kennen Sie das Autokennze­ichen LIP?“, fragt sie in die Runde und ant- wortet gleich selbst: „Das steht für Leben im Paradies.“

Der Gast lässt sich berieseln, von Tropfen in der Sole-Nebelkamme­r im Erlebnis-Gradierwer­k vermischt mit Musik und farbig wechselnde­m Sternenhim­mel aus 700 LED-Lampen. Täglich rieseln bis zu 600 000 Liter Sole, die aus der Tiefe heraufgepu­mpt wird, über die Schwarzdor­nwände des modernsten Gradierwer­ks Europas. So entsteht ein großes Freiluft-Inhalatori­um.

Die 200 Jahre Bädertradi­tion im jetzt 100 Jahre alten Staatsbad Bad Salzuflen spiegeln sich auch im Kurpark wider. „Probieren Sie mal“, sagt Jörg Gruber, der Herr über 15 000 Stiefmütte­rchen und 46 000 Sommerblum­en sowie einem Kräutergar­ten, der auch Mönchspfef­fer hat. „Senkt die Libido, für Mönche eben“, sagt Gruber und lacht. Wenzel versteht – trotz seines Tinnitus’. Am Institut für Tinnitus (INTI) im Vitalzentr­um hat er gerade eine dreiwöchig­e Kompaktkur gebucht. „Dann kann ich die Geräusche im Ohr drosseln, aber zum Aquafloati­ng gehe ich auch wieder – damit justiere ich meinen inneren Kompass neu.“

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