RP-ONLINE.DE/KULTUR
Verkannte Schätze Die ständigen Sammlungen der Museen sind Geheimtipps. Bei niedrigem Eintrittspreis bieten sie tolle Kunst. Der Besuch lohnt sich.
Manche Kunst braucht keine Werbung. Die Büste der Nofretete und der nur vorübergehend unzugängliche Pergamon-Altar auf der Berliner Museumsinsel, Leonardo da Vincis „Mona Lisa“im Pariser Louvre und Rembrandts „Nachtwache“im Amsterdamer Rijksmuseum sind je für sich Attraktion genug, um jährlich Hunderttausende Neugieriger anzulocken.
Auch das Land an Rhein und Ruhr hat seine Aushängeschilder, doch niemand schaut hin. Was lässt sich in den hiesigen Museen nicht alles entdecken: Gemälde von Picasso, Skulpturen von Giacometti, Installationen von Beuys. Die Säle aber, in denen man so etwas für ein paar Euro erleben kann, bleiben menschenleer, die Aufseher sind unter sich. Was läuft da falsch?
Der Rheinländer traut seinen Museen nicht. Wo sich an der Kasse keine Menschenschlangen bilden, so glaubt er, lohnt es auch nicht einzutreten. Sobald aber ein Plakat mit elektrisierenden Namen wie Matisse, Picasso, Miró oder Gerhard Richter wirbt und zu einer Einzelschau lädt, ist der Rheinländer dabei: Aha, ein Event, alle sprechen darüber, also muss ich auch hin.
Jahrelang, vor allem in den 80ern, nutzten Sponsoren die Eigenart des Publikums und unterstützten Ausstellungen, die im Fachjargon „Blockbuster“heißen. Später konnten oder mochten sie nicht mehr so viel in Kultur investieren und überließen die Museen sich selbst. Aus dieser Not stellten dann einige Museen Präsentationen allein aus Eigenbesitz, ohne Leihgaben zusammen, und siehe da: Etliche Besucher ließen sich davon ansprechen, doch sie vermissten den Glanz von Ausstellungsstücken, die aus Übersee eingeflogen wurden. Eine Leihgabe aus dem New Yorker Museum of Modern Art, eine aus der St. Petersburger Eremitage und eine aus dem Centre Pompidou – das ist doch Standard, bitteschön.
Wer so denkt, vergibt Chancen. Denn für wenig Geld kann man an Rhein und Ruhr verkannte Schätze heben. Es gibt nämlich Dauerausstellungen, die keinen Titel tragen und doch manches überragen, das sich mit viel Werbung aufplustert. Diese unausgesprochenen Titel lauten „Meisterwerke vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert“, „Von Caspar David Friedrich bis zur VideoKunst“oder „Meisterwerke der modernen Malerei“. Im ersten Fall führt der Weg ins Kölner Wallraf-RichartzMuseum unweit des Doms und setzt sich dort über mehrere Etagen von der Ikonenmalerei bis zu den Impressionisten fort. Das Bilderschauen ist eine angeneh- me Beschäftigung für, wenn man mag, mehrere Stunden und kostet neun Euro. Im zweiten Fall führt der Ausflug nach Essen-Rüttenscheid, ins Museum Folkwang, innerhalb von zehn Minuten mit der Straßenbahn vom Hauptbahnhof in Richtung Bredeney zum Rüttenscheider Stern und dann zu Fuß zu erreichen. Dort erwarten den Besucher unter anderem farbprächtige Gemälde von Cézanne, Ernst Ludwig Kirchner und Paul Gauguin. Die Kunst breitet sich behindertenfreundlich auf einer einzigen Ebene aus, und statt der neun Euro in Köln zahlt man nur fünf.
Im dritten Fall aber ist das Preis-Leistungs-Verhältnis unschlagbar. Die Kunstsammlung NRW am Düsseldorfer Grabbeplatz, am Rande der Altstadt, beherbergt eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen moderner Malerei, dazu Objekte von Joseph Beuys und eine der umfangreichsten Sammlungen zum Werk von Paul Klee. Picasso, Braque, Kandinsky, Malewitsch und Francis Bacon – alles zusammen kostet an Eintritt: nichts. Denn wegen Umbauarbeiten ist ein Teil der Sammlung geschlossen, und angesichts dieser Nutzenminderung schämt sich das Haus, seinen Gästen Geld abzuknöpfen. Eine nette Geste – die man zu schätzen wissen sollte.
Auch im Museum Kunstpalast, nur wenige hundert Meter entfernt am Ehrenhof, wird saniert, auch dort ist zurzeit nicht alles zu sehen. Doch eine riesige Kollektion aus alten Gemälden, Malerei des 19. Jahrhunderts mit Gewicht auf der Düsseldorfer Malerschule, aus moderner Malerei und Glaskunst für insgesamt nur fünf Euro wie in Essen – das ist zumindest ein Sonderangebot.
Ähnlich könnte man die übrigen Schausammlungen unserer Museen an Rhein und Ruhr beschreiben. „Was nix kostet, ist auch nix“, pflegt der Rheinländer zu schwadronieren, doch für die Museen gilt das nicht.
Höchste Zeit, dass jeder einmal die Schätze in Augenschein nimmt, die die Kulturinstitute mit seinen Steuergeldern in Jahrzehnten, teilweise in Jahrhunderten angehäuft haben. Mancher, der in der Zeitung liest, dass bei Christie’s oder Sotheby’s in New York schon wieder ein Preisrekord in der bildenden Kunst gebrochen wurde, erstarrt in Ehrfurcht und sehnt sich insgeheim in den Auktionssaal, um selbst einmal ein solches Millionenobjekt zu begutachten.
Doch das ist auch in der Heimat möglich. Im Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum, fünf Minuten vom Hauptbahnhof, ragt Alberto Giacomettis Bronzeskulptur „Das Bein“auf. Fast wäre sie für 15 Millionen Euro verkauft worden. Jetzt ist sie weiter in Duisburg präsent, und kaum jemand würdigt sie eines Blickes. Dabei beträgt der Eintritt nur acht Euro. Geschenkt. Klassik Die 9. Symphonie D-Dur von Gustav Mahler, komponiert kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in der Einsamkeit eines Südtiroler Almhäuschens, gilt als grandiose Weltabschiedsmusik. Sie beschwört das Ende der klassisch-romantischen symphonischen Tradition, sie riskiert in vielen ihrer Harmonien bereits einen scheuen Blick in die Zukunft der Zwölftonmusik, steht jedoch immer auf einem Boden, der auch dem ängstlichen Hörer einigermaßen bekannt vorkommt. Trotzdem: Hinter dieser Musik lauert ein Abgrund. Alban Berg und Arnold Schönberg begrüßten das Opus als das Werk eines Bruders im Geiste.
Dieses Meisterwerk Mahlers gilt als extrem schwer zu interpretieren, weil auf der einen Seite eine verdächtige Morbidezza und auf der anderen Seite eine falsche Sachlichkeit drohen. Vor allem der langsame Schlusssatz mit seiner verzehrenden Chromatik wird ziemlich oft sehr gefühlig und larmoyant interpretiert, als könne die Musik vor lauter Heimweh und Trennungsschmerz nicht loslassen – und der Dirigent auch nicht.
Nun erreicht uns aber ein wunderbarer Imperativ, wie dieses Stück zu spielen ist, ausgerechnet aus dem angeblich emotionsfreien Manchester. Dort pflegt man seit Menschengedenken eine großarti-
Abschied nach Noten: Mahlers 9. Symphonie