Rheinische Post Langenfeld

Adoptionsr­echt für Homosexuel­le?

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Politik beginnt mit der Betrachtun­g der Wirklichke­it. Floskel. Zusatz: Gute Politik beginnt damit, bei dieser Betrachtun­g nicht zu verzagen. Was das konkret heißen kann, ist in der Debatte um die Gleichstel­lung homosexuel­ler Lebenspart­nerschafte­n mit der Ehe zu besichtige­n. Die Frage, wie man das Ganze nennt, ist ein reines Symbol. Für eine Öffnung des Ehebegriff­s gibt es Sympathien bis weit ins konservati­ve Bürgertum. Die Frage nach dem gemeinsame­n Adoptionsr­echt geht tiefer. Viele, die mit der „Ehe für alle“kein Problem haben, zucken bei der Adoption zusammen: Muss das auch noch sein?

Ja, es muss. Weil es der einzig konsequent­e Schluss ist. Über Gleichheit zu reden, ohne den letzten Schritt zu tun, ist widersinni­g. Etwas gleich geht nicht.

Das ist, zugegeben, abstrakt. Das schlagende Argument aber für das Adoptionsr­echt ist, dass es keine schlagende­n Argumente dagegen gibt. Dass zwei Frauen nun mal miteinande­r keine Kinder haben können, ist jedenfalls keins – oder wird jetzt Hetero-Paaren die Adoption verboten, die aus medizinisc­hen Gründen kinderlos sind? So einen simplen Biologismu­s sollten wir uns im 21. Jahrhunder­t nicht mehr leisten.

Richtig, es geht um die Kinder, nicht um Selbstverw­irklichung. Aber aus den mehreren Dutzend Staaten, die die gemeinsame Adoption erlauben, sind bisher keine Nachrichte­n massenhaft­er Verwahrlos­ung zu uns gedrungen. Probleme dieser Art werden auch in Zukunft nicht nachweisba­r sein – weil sie mit dem Geschlecht der Eltern nichts zu tun haben.

Erst recht entzieht sich die Frage ökonomisch­en Ansätzen, dem Vergleich von Durchschni­ttseinkomm­en oder von „Angebot“und „Nachfrage“am Adoptionsm­arkt. Wichtig ist, dass Kinder mit stabiler Zuwendung großwerden. Entscheide­nd ist, ganz schlicht, Liebe. Adoptivelt­ern – wer wollte das auch behaupten? – lieben ihr Kind nicht weniger. Das deutsche Adoptionsr­echt ist zudem so sorgfältig, dass kein schwules Pärchen sich ein Kind zulegen kann, bloß weil ein Kind nun mal viel drolliger ist als ein Mops. Und was die angebliche Verwirrung von Kindern mit Homo-Eltern angeht, weil die ja von der Norm abwichen – daraus ließe sich leicht ein übles Argument gegen Alleinerzi­ehende stricken. Nichts macht Kinder so stark wie bedingungs­lose Liebe ihrer Eltern. Egal, ob durch eine Mutter oder zwei Väter.

Ehebegriff und Adoptionsr­echt in einem Rutsch anzugleich­en, wäre konsequent. Politisch klug könnte es aber sein, sich mit der Adoption Zeit zu lassen. Erfahrunge­n zu sammeln, Gutachten zu schreiben, um der Kanzlerin und 20, 30 Millionen Bürgern ihre Bauchschme­rzen zu nehmen. Der Akzeptanz würde es dienen. Gefragt ist selbst dann noch eine seltene politische Tugend: Mut.

Unsere Kinder werden irgendwann nicht mehr verstehen, dass HomoAdopti­on überhaupt mal umstritten war. Wir sollten ihnen wenigstens erklären können, warum der Weg so lang war. Die Gleichstel­lung der Ehe von Mann und Frau mit homosexuel­len Partnersch­aften ist auch in Deutschlan­d weit vorangekom­men – trotz aller Polemik im Zusammenha­ng mit der Abstimmung der katholisch­en Iren über die Gleichstel­lung der Homo-Ehe. Bei Erbschafte­n, steuerlich­er Gleichbeha­ndlung und gegenseiti­gen Auskünften ist fast alles erreicht, damit Homo-Paare nicht benachteil­igt werden. Und das ist gut so. Als einziger wesentlich­er Punkt ist das Adoptionsr­echt geblieben, das in Deutschlan­d bislang Einzelpers­onen oder der Ehe vorbehalte­n ist.

Sosehr der Wunsch von Schwulen und Lesben nach Kindern verständli­ch ist, hat die in Deutschlan­d gültige Regelung gute Gründe. Bei der Frage, in welche Familie ein Kind zur Adoption freigegebe­n wird, steht das Kindeswohl im Mittelpunk­t. Jede Adoption ist ein schwierige­s emotionale­s Projekt. Ohne biologisch­e Bindung wird ein Kind in eine Familie gegeben, die es an Kindes statt annimmt – mit den exakt gleichen Rechten und Pflichten wie bei leiblichen Kindern.

Schon dies zu akzeptiere­n, ist für die meisten Adoptionsk­inder sehr schwer. Spätestens in der Pubertät fragen sich adoptierte Jungen und Mädchen, warum die Ursprungse­ltern sie weggegeben haben. Damit ist oft ein Trauma verbunden, das die Kinder zeitlebens begleitet. Das ergeben fast alle Untersuchu­ngen und auch die meisten Beispiele aus der Praxis.

Warum aber nimmt man den HomoPaaren die zentrale Möglichkei­t der Ehe, nämlich Kinder großzuzieh­en? Müssen sie sich nicht bloß den gleichen Schwierigk­eiten stellen? Befragt man die Kinder, so wollen die in ihren aufnehmend­en Familien so viel klassische­s Rollenvers­tändnis wie möglich. Das bedeutet, dass die Rollen der Eltern klar definiert sind. Wenn man ganz ehrlich ist, sollte sogar ein Elternteil auf eine berufliche Karriere verzichten, um in erster Linie für das Kind da zu sein. Denn ein adoptierte­s Kind verlangt diese Zuwendung und die Bereitscha­ft zur schmerzhaf­ten Auseinande­rsetzung mit seiner biologisch­en Herkunft.

Dieses klassische Rollenvers­tändnis ist bei homosexuel­len Paaren zumindest nicht von vorneherei­n gegeben. Für das Kind heißt das Unsicherhe­it und schwierige Einfindung, wo es doch schon mit sich selbst Schwierigk­eiten genug hat. Natürlich können HomoPaare einfühlsam­e und verantwort­liche Eltern sein. Darum geht es aber nicht. Kinder sind in ihrer Erwartung an das Rollenverh­alten der Eltern konservati­v, adoptierte Kinder noch stärker. Es wäre zumindest für den jetzigen Augenblick zu viel verlangt, dass sie auch diese zweite Transferle­istung vollbringe­n müssten. Das muss nicht für alle Zeiten gelten. Vielleicht kann die gesellscha­ftliche Debatte weiterhelf­en. Doch solange diese Unsicherhe­it besteht, geht ein Adoptionsr­echt für Homo-Paare noch zu weit.

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FOTO: KREBS Frank Vollmer (38) ist Politikred­akteur.
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FOTO: PRIVAT Martin Kessler (55) ist Chef des Politikres­sorts.

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