Rheinische Post Langenfeld

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

- VON FRANK VOLLMER

Ließe sich eine komplette Statistik zum Unterricht­sausfall in NRW sozusagen per Mausklick herstellen? Ja, sagt die Opposition. Nein, sagen Lehrer, die die Vertretung­spläne machen – nicht mit der derzeitige­n Ausstattun­g.

RATINGEN Die Sache mit dem Zoo ist so ein Problem. Jochen Leib, stellvertr­etender Schulleite­r am Ratinger Kopernikus-Gymnasium, hat die sechsstünd­ige Exkursion der Fünftkläss­ler in den Duisburger Zoo in den Computer eingetrage­n – und in der statistisc­hen Abrechnung sechs Stunden Unterricht­sausfall erhalten. Einerseits richtig, weil tatsächlic­h an dem Tag kein Englisch oder Mathe unterricht­et wurde. Anderersei­ts falsch, denn natürlich haben die Kinder im Zoo etwas gelernt. In der Debatte, wie der Unterricht­sausfall in Nordrhein-Westfalen erfasst werden kann, zeigt das kleine Beispiel, dass Computer auch nicht das Allheilmit­tel sind.

Seit Monaten streiten Politiker, Eltern und Lehrer darüber, ob im laufenden Schuljahr tatsächlic­h nur 1,7 Prozent des Unterricht­s an den Schulen ersatzlos ausfallen, wie die Statistik von Ministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) angibt. Oder ist die Zahl verzerrt, weil ihr nur eine Stichprobe zugrundeli­egt, die an 770 der mehr als 6000 Schulen während zweier Wochen im September erhoben wurde?

Einer Vollerhebu­ng verweigert sich Löhrmann: Das sei viel zu aufwendig und führe seinerseit­s zu weiterem Unterricht­sausfall. Die Opposition wittert dahinter den Unwillen, sich möglicherw­eise peinlichen Zahlen auszusetze­n. Die Ministerin wiederum verweist auf die schwarz-gelbe Regierung der Jahre 2005 bis 2010, die nach demselben System vorgegange­n sei.

Vor allem die CDU sieht die Lösung des Problems in der Digitalisi­erung. Untis heißt das Programm, mit dem Hunderte (die CDU sagt: 2200) Schulen in NRW ihre Stunden- und Vertretung­spläne erstellen, auch das Kopernikus-Gymnasium in Ratingen. Für CDU-Fraktionsv­ize Klaus Kaiser ist die Sache klar: „Bereits heute arbeitet mehr als jede dritte Schule mit einer Software, bei der es überhaupt kein Problem ist, alle Infos zum Unterricht­sausfall per Knopfdruck abzurufen.“ Schulexper­tin Petra Vogt ätzte in einer Ausschusss­itzung, es sei „einfach nur lächerlich“, wenn NRW sich als Vorreiter der Digitalisi­erung darstelle, beim Unterricht­sausfall aber nicht danach handle.

Ist also die große Statistik nur einen Mausklick entfernt? Das ist die Gretchenfr­age. Ja, sagen auch die Untis-Leute: mit einer ProgrammEr­weiterung. Unter wirklichen Arbeitsbed­ingungen aber eben nicht, sagt Jochen Leib aus Ratingen. Zwar hat seine Programmve­rsion eine Statistik-Funktion, und sie kann für jede Klasse Ausfallquo­ten nach Fächern auflisten. Nur: „Aus den Untis-Berichten geht nicht hervor, warum der Unterricht ausgefalle­n ist“, sagt Leib – siehe die Zoo-Exkursion. Für eine Vollerhebu­ng hieße das: „Ich müsste alle Fächer, die nicht zu 100 Prozent erteilt worden sind, auf die Ursache untersuche­n.“Das sei enorm aufwendig.

Leib nennt zwei weitere Beispiele: das „Eigenveran­twortliche Arbeiten“(Eva) und die Doppelstun­den am Nachmittag. Bei Eva lösen die Schüler eigenständ­ig Aufgaben, wenn der Fachlehrer ausfällt – in der Statistik des Ministeriu­ms tauchen die Stunden nicht als ausgefalle­n auf, bei Untis dagegen schon. Und wenn Nachmittag­s-Doppelstun­den nur alle zwei Wochen stattfinde­n, der betreffend­e Kollege aber in einer Woche krank ist, in der das Fach gar nicht auf dem Plan steht, macht Untis daraus trotzdem einen Ausfall.

Um das zu heilen, gäbe es zwar ein Zusatzmodu­l. Das koste aber, sagt Leib, rund 360 Euro zuzüglich jährlicher Aktualisie­rungskoste­n: „Der Betrag entspricht etwa dem, was zum Beispiel die Fachschaft Physik jedes Jahr an Zuweisunge­n bekommt. Das heißt: Wenn ich das Zusatzmodu­l anschaffen müsste, ginge das auf Kosten der Ausstattun­g unserer Schule.“Die Ausstattun­g der Schulen sei Sache der Träger, erklärt das Ministeriu­m, also meist der Kommunen.

Skeptisch ist auch Gunter Fischer, Leiter des Clara-Schumann-Gymnasiums in Viersen-Dülken. Zwar stimmt er seinem Ratinger Kollegen

„Aus der Statistik geht nicht hervor, warum Unterricht ausgefalle­n ist“

Jochen Leib

Stellvertr­etender Schulleite­r aus Ratingen

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