Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Ließe sich eine komplette Statistik zum Unterrichtsausfall in NRW sozusagen per Mausklick herstellen? Ja, sagt die Opposition. Nein, sagen Lehrer, die die Vertretungspläne machen – nicht mit der derzeitigen Ausstattung.
RATINGEN Die Sache mit dem Zoo ist so ein Problem. Jochen Leib, stellvertretender Schulleiter am Ratinger Kopernikus-Gymnasium, hat die sechsstündige Exkursion der Fünftklässler in den Duisburger Zoo in den Computer eingetragen – und in der statistischen Abrechnung sechs Stunden Unterrichtsausfall erhalten. Einerseits richtig, weil tatsächlich an dem Tag kein Englisch oder Mathe unterrichtet wurde. Andererseits falsch, denn natürlich haben die Kinder im Zoo etwas gelernt. In der Debatte, wie der Unterrichtsausfall in Nordrhein-Westfalen erfasst werden kann, zeigt das kleine Beispiel, dass Computer auch nicht das Allheilmittel sind.
Seit Monaten streiten Politiker, Eltern und Lehrer darüber, ob im laufenden Schuljahr tatsächlich nur 1,7 Prozent des Unterrichts an den Schulen ersatzlos ausfallen, wie die Statistik von Ministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) angibt. Oder ist die Zahl verzerrt, weil ihr nur eine Stichprobe zugrundeliegt, die an 770 der mehr als 6000 Schulen während zweier Wochen im September erhoben wurde?
Einer Vollerhebung verweigert sich Löhrmann: Das sei viel zu aufwendig und führe seinerseits zu weiterem Unterrichtsausfall. Die Opposition wittert dahinter den Unwillen, sich möglicherweise peinlichen Zahlen auszusetzen. Die Ministerin wiederum verweist auf die schwarz-gelbe Regierung der Jahre 2005 bis 2010, die nach demselben System vorgegangen sei.
Vor allem die CDU sieht die Lösung des Problems in der Digitalisierung. Untis heißt das Programm, mit dem Hunderte (die CDU sagt: 2200) Schulen in NRW ihre Stunden- und Vertretungspläne erstellen, auch das Kopernikus-Gymnasium in Ratingen. Für CDU-Fraktionsvize Klaus Kaiser ist die Sache klar: „Bereits heute arbeitet mehr als jede dritte Schule mit einer Software, bei der es überhaupt kein Problem ist, alle Infos zum Unterrichtsausfall per Knopfdruck abzurufen.“ Schulexpertin Petra Vogt ätzte in einer Ausschusssitzung, es sei „einfach nur lächerlich“, wenn NRW sich als Vorreiter der Digitalisierung darstelle, beim Unterrichtsausfall aber nicht danach handle.
Ist also die große Statistik nur einen Mausklick entfernt? Das ist die Gretchenfrage. Ja, sagen auch die Untis-Leute: mit einer ProgrammErweiterung. Unter wirklichen Arbeitsbedingungen aber eben nicht, sagt Jochen Leib aus Ratingen. Zwar hat seine Programmversion eine Statistik-Funktion, und sie kann für jede Klasse Ausfallquoten nach Fächern auflisten. Nur: „Aus den Untis-Berichten geht nicht hervor, warum der Unterricht ausgefallen ist“, sagt Leib – siehe die Zoo-Exkursion. Für eine Vollerhebung hieße das: „Ich müsste alle Fächer, die nicht zu 100 Prozent erteilt worden sind, auf die Ursache untersuchen.“Das sei enorm aufwendig.
Leib nennt zwei weitere Beispiele: das „Eigenverantwortliche Arbeiten“(Eva) und die Doppelstunden am Nachmittag. Bei Eva lösen die Schüler eigenständig Aufgaben, wenn der Fachlehrer ausfällt – in der Statistik des Ministeriums tauchen die Stunden nicht als ausgefallen auf, bei Untis dagegen schon. Und wenn Nachmittags-Doppelstunden nur alle zwei Wochen stattfinden, der betreffende Kollege aber in einer Woche krank ist, in der das Fach gar nicht auf dem Plan steht, macht Untis daraus trotzdem einen Ausfall.
Um das zu heilen, gäbe es zwar ein Zusatzmodul. Das koste aber, sagt Leib, rund 360 Euro zuzüglich jährlicher Aktualisierungskosten: „Der Betrag entspricht etwa dem, was zum Beispiel die Fachschaft Physik jedes Jahr an Zuweisungen bekommt. Das heißt: Wenn ich das Zusatzmodul anschaffen müsste, ginge das auf Kosten der Ausstattung unserer Schule.“Die Ausstattung der Schulen sei Sache der Träger, erklärt das Ministerium, also meist der Kommunen.
Skeptisch ist auch Gunter Fischer, Leiter des Clara-Schumann-Gymnasiums in Viersen-Dülken. Zwar stimmt er seinem Ratinger Kollegen
„Aus der Statistik geht nicht hervor, warum Unterricht ausgefallen ist“
Jochen Leib
Stellvertretender Schulleiter aus Ratingen