NIKOS ANASTASIADIS „Zypern würde eine Pleite Griechenlands überstehen“
Der Präsident des griechischen Teils der Mittelmeerinsel spricht über einen möglichen „Grexit“und die dunklen Seiten der Euro-Rettungspolitik.
Herr Anastasiadis, um Zypern ist es nach der Aufregung Anfang 2013 wieder still geworden. Genießen Sie die Stille? ANASTASIADIS Wir stehen weiter im Fokus, aber diesmal glücklicherweise aus anderen Gründen: Unsere Wirtschaft erholt sich langsam, aber sicher wieder von dem Schock. Uns geht es besser, als alle erwartet haben. Für letztes Jahr wurde uns ein weiterer Konjunktureinbruch um 4,8 Prozent vorhergesagt – wir konnten ihn auf 2,3 Prozent begrenzen. Das Ende der Rezession naht. Vor zwei Jahren war die Stimmung gegen Zypern aggressiv: Die Steueroase mit russischem Schwarzgeld, hieß es, müsse ihr Geschäftsmodell ändern. Tun Sie das? ANASTASIADIS Ja. Die Bankenaufsicht ist jetzt besser, die Abhängigkeit vom Finanzsektor kleiner. Ihr Rettungsprogramm läuft bis Frühjahr 2016. Können Sie früher wieder auf eigenen Füßen stehen? ANASTASIADIS Die Ratingagenturen bewerten unsere Kreditwürdigkeit wieder besser, die Risikoaufschläge auf unsere Staatspapiere sind durch das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank nochmals gesunken – weshalb wir uns an den Kapitalmärkten wieder Geld haben leihen können. Ich erwarte also, dass wir in den nächsten Monaten aus dem Hilfsprogramm aussteigen können. Sie kennen die hässliche Seite der Euro-Zone, wurden in einer langen Nachtsitzung im März 2013 gezwungen, einen Spar- und Reformplan zu unterschreiben, weil die Europäische Zentralbank drohte, sonst würden am nächsten Tag Ihre Banken nicht mehr eröffnen. ANASTASIADIS Das war nicht nur die EZB, das war auch der Internationale Währungsfonds. Unser Parlament hatte den ersten Plan der EuroGruppe abgelehnt, die Konditionen des zweiten waren für uns noch schlechter – dagegen habe ich mich lange gewehrt. Sie werden die Nacht wohl nie vergessen. War es Erpressung, was die EuroPartner mit Ihnen gemacht haben? ANASTASIADIS Dazu will ich nichts sagen – außer dass ich mich nicht besonders gern daran erinnere. Aber das Programm war ein Muss. Wir standen kurz vor dem Staatsbankrott. Was würde es für Zypern bedeuten, wenn es eine Staatspleite in Griechenland gäbe? ANASTASIADIS Emotional wäre das ein herber Schlag, rein finanz- und wirtschaftspolitisch gesehen sind wir auf diesen Fall vorbereitet. Das heißt, dass sogar Zypern einen Staatsbankrott Griechenlands ohne größere Schäden überstehen könnte? ANASTASIADIS Aber ja, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, alle möglichen Negativszenarien durchgespielt und Vorkehrungen getroffen. Nichtsdestotrotz möchte ich betonen, dass wir uns für Griechen- land so schnell wie möglich eine positive Lösung wünschen. Ende Juni steht ein wichtiger EUGipfel an. Es geht um eine weitere Vertiefung der Euro-Zone, also mehr Macht für Brüssel. Wie denkt ein Land darüber, das gerade alles unternimmt, um europäische Politik-Auflagen hinter sich zu lassen? ANASTASIADIS Wir werden uns die Vorschläge anschauen. Aber es gibt nicht nur den Wunsch von Mitgliedstaaten wie Deutschland nach mehr Zentralisierung in der Euro-Zone. Es gibt auch die Briten, die eine Dezentralisierung der EU wünschen. Und Sie? ANASTASIADIS Grundsätzlich unterstützt Zypern die Idee von „mehr Europa“. Das darf aber nicht von einem Tag auf den anderen geschehen, sonst überfordern wir die Menschen. Schon jetzt sehen wir doch eine Welle antieuropäischer Bewegungen. Da muss man bei einer weiteren Aufgabe nationaler Souveränität sehr behutsam vorgehen. Wie steht es um die Wiedervereinigungsgespräche auf Zypern? ANASTASIADIS Das Klima hat sich mit der Bestimmung von Mustafa Akinci zum politischen Anführer der türkischen Zyprer sehr verbessert. Er und ich teilen dieselbe Vision, das Skelett einer Einigung steht – aber natürlich gibt es noch schwierige Details zu klären. Was wir brauchen, ist das konstruktive Engagement der Türkei, die immer noch 40 000 Soldaten auf Zypern stationiert hat. CHRISTOPHER ZIEDLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.