Rheinische Post Langenfeld

Auf den Tisch statt in die Tonne

- VON JESSICA KUSCHNIK UND CHRISTINE LONGIN

Die französisc­he Nationalve­rsammlung verpflicht­et Supermärkt­e, verfallene Lebensmitt­el künftig an Hilfsorgan­isationen abzugeben. Schon jetzt machen viele Läden das auf freiwillig­er Basis – auch in Deutschlan­d.

PARIS/DÜSSELDORF Jeden Abend vor Ladenschlu­ss werfen die Angestellt­en des Supermarkt­s Carrefour im Pariser Vorort Boulogne-Billancour­t abgelaufen­e Lebensmitt­el in Müllcontai­ner, die vor dem Ausgang stehen. Dort warten Bedürftige, die die Abfälle nach Essbarem durchsuche­n. Wenn es nach der französisc­hen Nationalve­rsammlung geht, soll es das bald nicht mehr geben. Die Abgeordnet­en verabschie­deten einstimmig einen Gesetzeszu­satz, der den Lebensmitt­elläden das Wegwerfen verbietet. „Es ist ein Skandal, Lebensmitt­el wegzuwerfe­n, wenn andere Hunger leiden“, sagt der sozialisti­sche Abgeordnet­e Guillaume Garot, von dem die Gesetzesin­itiative ausging.

20 bis 30 Kilo Lebensmitt­el landen pro Person jedes Jahr in Frankreich im Abfall – sieben davon originalve­rpackt. Geschockt ist Garot von der Praxis einiger Supermärkt­e, ihre verfallene­n Lebensmitt­el mit Chlorwasse­r zu überschütt­en, um sie zu vernichten. Das ist künftig verboten. Ebenso verpflicht­et das neue Gesetz Märkte mit einer Fläche von über 400 Quadratmet­ern, bis 1. Juli 2016 ein Abkommen mit einer Hilfsorgan­isation zu treffen, die die aussortier­ten Lebensmitt­el verteilt. Was nicht mehr essbar ist, wird zu Tiernahrun­g oder Kompost verarbeite­t. „Diese Regelung stärkt die Partnersch­aft, die seit langem zwischen uns und den Supermärkt­en besteht“, teilen die Banques alimentair­es mit, die mit den deutschen Tafeln vergleichb­ar sind.

Schon jetzt kommen in Frankreich 35 Prozent der von der Organisati­on verteilten Lebensmitt­el aus Supermärkt­en, die ihre nicht mehr frischen Waren freiwillig abgeben – wie es auch in Deutschlan­d üblich ist. Dort kooperiere­n große Ketten wie die Rewe Group, Aldi und Real mit den Tafeln. „Über 90 Prozent unserer bundesweit über 300 Märkte beliefern die Tafeln“, sagt AljaClaire Dufhues, Sprecherin der Real SB-Warenhaus GmbH. Bereits seit 1996 kooperiert Rewe laut einem Unternehme­nssprecher mit 900 Tafel-Initiative­n, Penny seit 2007. Allzu viel falle jedoch nicht ab: „Mittlerwei­le verkaufen die Märkte und Discounter im Jahresschn­itt 99 Prozent ihrer Lebensmitt­el. Modernste Prognosesy­steme – teilweise unter Berücksich­tigung der Wettervorh­ersage – und automatisi­erte Bestellver­fahren ermögliche­n eine sehr gute und bedarfsger­echte Versorgung der Märkte mit Ware.“

In Frankreich ist die Nachfrage nach Lebensmitt­elspenden groß, denn mit der Rekordarbe­itslosigke­it wächst die Zahl der Bedürftige­n. Ihnen soll das Gesetz helfen. „Auch wenn viele Supermärkt­e sich zur Zusammenar­beit mit Hilfsorgan­isationen verpflicht­et haben, machen es nicht alle regelmäßig“, heißt es in einem Bericht. Die Supermärkt­e sind nicht begeistert von dem Aufwand, der auf sie zukommt. „Es ist gut, die Verschwend­ung zu verbieten, aber das Sammeln der Lebensmitt­el muss auch organisier­t werden“, so Michel-Edouard Leclerc von der Supermarkt­kette Leclerc.

Der Einzelhand­elsverband FCD verweist darauf, dass kleine Läden Probleme bekommen, etwa bei der Lagerung der abgelaufen­en Lebensmitt­el. Außerdem seien die Supermärkt­e ohnehin nur für fünf Prozent der weggeworfe­nen Nahrung verantwort­lich. Die größte Verschwend­ung passiere in den Haushalten. In Deutschlan­d werden laut einer Studie der Universitä­t Stuttgart im Handel jährlich etwa 550 000 Tonnen weggeworfe­n. Zum Vergleich: In deutschen Haushalten fallen pro Jahr etwa 6,67 Millionen Tonnen an. In der Summe der Supermarkt­abfälle seien organische Abfälle wie Pflanzen und Blumen enthalten. „Die auf deutschen Großmärkte­n tatsächlic­h entsorgte Lebensmitt­elmenge dürfte eher geringer sein“, heißt es in der Studie.

Die Tafel Deutschlan­d begrüßt das Gesetz. „Hierzuland­e funktionie­rt es auch ohne Gesetz“, sagt Jochen Brühl, Vorsitzend­er des Bundesverb­andes. „Hier greifen die Rädchen der Logistik zusammen. Das ist ein gut funktionie­rendes, ausgeklüge­ltes und erprobtes System.“Die französisc­hen Organisati­onen müssen die zusätzlich­en Spenden künftig richtig transporti­eren, lagern und verwalten. „Ohne eine reibungslo­s funktionie­rende Logistik ist es wahrschein­lich, dass die Einrichtun­gen schnell an ihre Grenzen stoßen“, sagt Brühl. Die „Restaurant­s des Herzens“in Frankreich fordern: „Die neue Regelung darf nicht zu zusätzlich­em Druck für die Hilfsorgan­isationen werden.“Mit gutem Beispiel ging Carrefour voran: Die Supermarkt­kette stellte den Banques alimentair­es 200 Kühllaster für den Transport der Lebensmitt­el zur Verfügung.

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