Rheinische Post Langenfeld

AOK: Viele ärztliche Leistungen unnötig

- VON EVA QUADBECK

Eine neue Untersuchu­ng der Krankenkas­se zeigt: Igel-Angebote wie der Eierstock-Ultraschal­l lösen oft Fehlalarm und riskante Eingriffe aus. Und jeder vierte Patient hat Schwierigk­eiten, die Informatio­nen von Medizinern umzusetzen.

BERLIN Krankenkas­sen und Ärzteschaf­t pflegen seit Jahren öffentlich ihre Vorurteile über den jeweils anderen. Die Ärzte werden häufig als geldgierig, die Kassen als knauserig und unwissend dargestell­t. Umso bemerkensw­erter ist die Initiative des Bundesverb­andes der AOK: Der Kassenverb­and mit insgesamt 24 Millionen Versichert­en hat sich mit dem Harding-Zentrum für Risikokomp­etenz und der Bundesärzt­ekammer zusammenge­schlossen, um Patienten über Therapien, Untersuchu­ngen und Prophylaxe­Maßnahmen besser aufzukläre­n. Aus Sicht der Fachleute können auch Ärzte noch eine Menge dazulernen. Sie würden millionenf­ach unnütze und teils risikoreic­he Leistungen anbieten, so der Vorwurf.

Auf den Internet-Seiten des AOKVerband­es (www.aok-bv.de) finden Patienten seit gestern so genannte „Faktenboxe­n“. Darin werden bisher elf Untersuchu­ngen und Vorsor- ge-Möglichkei­ten unter die Lupe ihres medizinisc­hen Nutzens genommen. „Wir bieten evidenzbas­iertes medizinisc­hes Wissen, verständli­ch aufbereite­t“, sagte AOK-Verbandsch­ef Jürgen Graalmann. Auf ihre Wirkung geprüft werden Kassenleis­tungen und Selbstzahl­er-Angebote. Das Spektrum soll in den kommenden Wochen und Monaten noch erweitert werden. Den Bedarf dafür sieht er bei Versichert­en und bei Medizinern: „Man hat einen unmündigen Patienten und einen wenig informiert­en Arzt.“

Die Analysen zu den Untersuchu­ngen, Therapien und Vorsorgema­ßnahmen basieren auf Studien und in Reihe ausgewerte­ten Patientend­aten. So liefern die Faktenboxe­n den Hinweis, dass zusätzlich­es Vitamin D weder vor Knochenbrü­chen noch vor Herz-Kreislauf-Erkrankung­en schützt und Selen einer Krebserkra­nkung nicht vorbeugen kann. Umgekehrt können die Nahrungser­gänzungsmi­ttel aber unerwünsch­te Nebenwirku­ngen haben. Vitamin D kann in Zusammenha­ng mit Kalzium Magen-Darm-Beschwerde­n auslösen. Männer, die Selen einnehmen, haben der Faktenbox zufolge ein erhöhtes Risiko für Haarausfal­l und Hautkrankh­eiten.

Beim Thema Ultraschal­l der weiblichen Eierstöcke kommen die Faktenbox-Experten sogar zu dem Schluss, dass diese Selbstzahl­erLeistung mehr Schaden als Nutzen bringt. Rund zwei Millionen Frauen wurde im vergangene­n Jahr eine solche Untersuchu­ng angeboten. Wer sie einmal pro Jahr machen lässt, hat ein erhöhtes Risiko für eine Fehldiagno­se. Etwa jeder zehnte Be- Fehlalarm: 94 Frauen davon: 31 Frauen, denen die Eierstöcke unnötig entfernt wurden fund ist auffällig, aber nur in sechs von 100 dieser Fälle liegt tatsächlic­h Eierstockk­rebs vor. Jedoch werden etwa jeder dritten Frau mit auffällige­m Befund die Eierstöcke entfernt.

Der Vorsitzend­e der Arzneimitt­elkommissi­on der deutschen Ärzteschaf­t, der an den Faktenboxe­n mitarbeite­t, ging mit seinen Kollegen hart ins Gericht. Er bezeichnet­e es als „unethisch“, Therapien und Untersuchu­ngen anzubieten, die keinen gesicherte­n Nutzen hätten. Ludwig beklagte zugleich, dass das Gesundheit­ssystem die falschen Anreize setze und die Ärzte immer weniger Zeit hätten, mit den Patienten zu sprechen.

Die Analysen der AOK-Faktenboxe­n sollen nach Wunsch von Gerd Gigerenzer, Direktor am HardingZen­trum für Risiko-Kompetenz, Ärzte und Patienten wieder ins Gespräch bringen. Er ist überzeugt: „Wer gut über gesundheit­liche Zusammenhä­nge Bescheid weiß, kommt beispielsw­eise seltener ins Krankenhau­s, lebt in der Regel gesundheit­sbewusster und hält sich eher an die Behandlung­sempfehlun­gen des Arztes.“Das alles bedeute, er habe ein geringeres Risiko, früh zu sterben.

Der AOK-Bundesverb­and hat sich zu dem zusätzlich­en Info-Portal entschloss­en, da eine mittlerwei­le ein Jahr alte Studie des Verbandes zeigte, dass mehr als die Hälfte der gesetzlich Versichert­en (60 Prozent) nur problemati­sch bis unzureiche­nd mit den eigenen Krankheite­n klarkommen. Graalmann sprach von „Orientieru­ngsproblem­en“im Gesundheit­swesen. So hat jeder Vierte Schwierigk­eiten, Arztinform­ationen umzusetzen.

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