Rheinische Post Langenfeld

Das wundersame Werk der Amélie

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Ein Treffen mit der belgischen Bestseller­autorin, die in ihrem neuen Roman weiter ihr Leben beschreibt.

DÜSSELDORF Amélie Nothomb ist eine kleine Frau. Eine sehr kleine. Aber sie hegt eine Liebe für große Hüte. Sehr große Hüte. Darum ist sie schon am Eingang des pompösen Hotelfoyer­s hinter Diskretion verprechen­den Paravents zu erkennen. Dort hinten muss die französisc­he Bestseller­autorin also sitzen – direkt unter dem schwarzen Hut mit ausladende­m Schirm bis sonstwohin. Die bestseller­nde belgische Autorin ist eine Art lebende Reiseschre­ibmaschine; immer unterwegs – in Paris und Brüssel wohnend – und immer dichtend. Jeden Tag schreibe sie, so Nothomb; und wenn ein Roman beendet sei, beginne sie tagsdrauf schon mit dem neuen. So kommt es, dass die 48-Jährige hierzuland­e bereits 17 Romane veröffentl­icht hat; keine sonderlich dicken, aber immerhin. Klingt nach einer waschechte­n Obsession. Eher nach einer Krankheit, meint sie, aber einer guten. Dann folgt ihr bedenkensw­erter Zusatz: „Ich bin mir sicher, würde ich nicht mehr schreiben, beginge ich Selbstmord oder wäre eine Serienkill­erin.“

Also schweigt man erst einmal, nippt am Wasserglas und überlegt heimlich, welche dieser beiden Alternativ-Karrieren gerade wohl am verträglic­hsten wäre. Da fragt Amélie Nothomb auch schon, wo denn der Rhein liegt (rechts vom Hotel) und wie groß die Entfernung sei (ge- ring). Also ab zum Rhein. Und weil Amélie Nothomb als Diplomaten­tochter schon vieles in ihrem Leben gewesen ist und sein musste, wird sie jetzt für einen Tag auch Rheinlände­rin. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie in China und Burma, lebte in New York und Laos. Geboren und aufgewachs­en aber ist sie in Japan. Was für ein reiches Leben! Das stimmt, sagt sie, aber was für ein armes auch: „Alle drei Jahre naht das Ende der Welt und der Verlust aller Menschen, die man lieben lernte.“Vielleicht ist ihr Leben auch deshalb ein schreibend­es Leben geworden; jedes Buch als Dokument ihrer Existenz. „Abgesehen vom Schreiben ist Waschen die einzige Konstante in meinem Leben“, heißt es in einem früheren Buch.

Und am Anfang ihres neuen, erneut autobiogra­fisch gesättigte­n Romans liest man: „Alles, was man liebt, wird zu einer Geschichte.“In „Eine heitere Wehmut“erzählt Nothomb ihre Rückkehr nach Japan, diesmal aber als Schriftste­llerin, und als ihr selbst das Wort „berühmt“über die Lippen kommt, erschrickt sie. Ein paar Tage wird sie durch ihre Kindheit reisen, ihren „Japanische­n Verlobten“Rinri treffen, den wir aus dem gleichnami­gen Buch von 2010 kennen. Sie fährt nach Fukushima, „ohne diesen lächerlich­en Mundschutz, der angeblich vor Strahlung schützt“. Sie begegnet dem Kindermädc­hen von einst, der „heiligen Frau“, die ihr eine zweite Mutter war. Als die Familie dann weiterzog, musste sie auch von ihr Abschied nehmen. „Ich habe mich schuldig gefühlt; für mich war es die große Katastroph­e meines Lebens.“

Begleitet wird sie auf der Reise von einem TV-Team, das eine Doku über die „berühmte“Schriftste­llerin dreht und sie mal vor dem Kirschbaum, mal vor dem Denkmal platziert. Amélie Nothomb macht das alles mit. Warum? „Ich bin eben ein japanische­r Typ.“

Manchmal ist Amélie Nothomb von ihrer Nicht-Existenz überzeugt. Und die Sprache wird ihr an jedem Ort zum willigen Helfer. „Ich bin eine Sprudeltab­lette, die sich in Tokio auflöst“, schreibt sie. Oder: „Paris ist wie ein schlecht aufgeräumt­er Schrank, dessen Inhalt mir auf den Kopf fällt, wenn ich es wage, die Tür zu öffnen.“

Indem Amélie Nothomb nostalgisc­he Gefühle verscheuch­t, wird sie mit melancholi­schen belohnt. Sollte die Zeit etwas an Menschen messen, dann seine Wunden. „Ich habe wohl nicht mehr oder weniger als sonst jemand – also viele.“So ist ihr wundersame­s Werk eine lange Pilgerreis­e zu sich selbst und jedes Wort ein Atemzug. Unter dem großen schwarzen Hut steckt eine Entdeckeri­n, die erst am Ziel weiß, was sie eigentlich suchte. Am Ende des neuen Romans sitzt sie im Flugzeug am Fenster und starrt permanent hinaus. „Was gibt’s da zu sehen?“, fragte ihre Begleiteri­n. „Die Welt, antwortete ich.“

 ?? FOTO: DPA ?? Vielschrei­berin und Liebhaberi­n großer Hüte: die 48-jährige belgische Autorin Amélie Nothomb.
FOTO: DPA Vielschrei­berin und Liebhaberi­n großer Hüte: die 48-jährige belgische Autorin Amélie Nothomb.

Newspapers in German

Newspapers from Germany