Rheinische Post Langenfeld

Der tückische Schlaf der Metastasen

- VON WOLFRAM GOERTZ

Warum kehrt ein Tumor zurück, obwohl er intensiv bekämpft wurde? Und wieso entstehen Metastasen in anderen Organen? Die Krebsforsc­hung nutzt neue Erkenntnis­se für die Entwicklun­g zielgerich­teter Therapien.

DÜSSELDORF Bekommt ein Mensch eine Krebsdiagn­ose, ändert sich sein Leben schlagarti­g – und nicht immer nur zum Alptraum. Es gibt viele Menschen, die unter einem onkologisc­h schwerwieg­enden Befund ihr Leben radikal ändern, mit neuer Kraft den Krebs bekämpfen – und hinterher auf mehreren Ebenen sogar als Sieger hervorgehe­n.

Deshalb ist es in Krebskarri­eren ein schmerzlic­her Moment, wenn nach körperlich zehrendem Ringen, nach Chemothera­pie, Operation, Bestrahlun­g oder Stammzellt­herapie, nach Schwächeph­asen und von dem aus sie auf Reise gegangen sind, findet man nicht“, sagt Gattermann­s Kollege Professor Rainer Haas, Direktor der Klinik für Hämatologi­e, Onkologie und Klinische Immunologi­e am Universitä­tsklinikum Düsseldorf.

Solche Fälle nennt man das „CupSyndrom“– die Abkürzung „Cup“bedeutet: „Cancer of unknown primary“– Krebs von unbekannte­r Herkunft. Haas: „Das ist so ein typischer Fall, dass sich ein Tumor in seinem eigenen Umfeld nicht behaupten konnte, aber seine Abkömmling­e umso potenter sind. Die Vorstellun­g, dass ein Tumor ein gewisses Volumen braucht, um zum Streukrebs zu werden, ist falsch.“Schon früh kann ein noch kleiner Tumor bereits Tumorzelle­n aussenden. Diese Zellen können sich an anderen Organen niederlass­en, dort aber vorerst in Ruhe verweilen und später anscheinen­d aus dem Nichts zur Metastase wachsen.

Wie ist die Tumorzelle überhaupt an diesen Ort gekommen? Nun, für sein Wachstum braucht ein Tumor Nährstoffe, Sauerstoff, Glukose. Um die Zufuhr zu sichern, bildet der Körper in und um den Tumor herum neue Gefäße. Das nennt man Neoangioge­nese. „Und durch diese neugebilde­ten Gefäße hat die Tumorzelle Zugang zum System – und zum Kreislauf“, sagt Haas. Sie wandert aus, fällt in einen Dornrösche­nschlaf und ist dort auch unzugängli­ch etwa für Chemothera­pien. Eine Zelle, die sich nicht teilt, kann somit nicht in ihrer schwächste­n Phase tödlich erwischt werden.

Ohnedies müssen sich auch verstreute Metastasen-Zellen ebenfalls des Immunsyste­ms erwehren – und wenn zwischen Zellvermeh­rung (Proliferat­ion) und Zelltod (Apoptose) Balance herrscht, bleibt jene Auswanderu­ng folgenlos. Bei gewissen Tumortypen kommt es indes regelmäßig zu Metastasen. Die Schläferze­llen sind sozusagen ausgeruht, durchbrech­en die Wand des Blutgefäße­s, nisten sich in Organen oder im Skelett ein – und wachsen.

Nun ist die Frage, warum eine Chemothera­pie diese frei flottieren­den Ableger oder auch überhaupt einige Tumorzelle­n nur schlecht erwischt. Das hat mit der „primären Resistenz“zu tun. Gattermann: „Es gibt auch bei Tumorzelle­n einige, die durch Mutationen unempfindl­ich für eine Chemothera­pie geworden sind. Das ist wie bei resistente­n Bakterien, die auch durch Mutationen gegenüber Medikament­en nur robuster werden.“Fatale Folge: „Der Tumor kehrt nur scheinbar wieder, in Wirklichke­it waren die Tumorzelle­n immer schon da und wurden nie vernichtet.“Resistenze­n entstehen aber – das nennt man die „sekundäre Resistenz“– auch durch eine Chemothera­pie: Unter deren giftigem Beschuss bildet sich ein

Die Chirurgie von Metastasen ist in der

Medizin zu einem neuen Fach geworden

Konkurrenz­kampf der Tumorzelle­n, den nur die stärksten überleben – auch sie mit dem neuen Panzer einer Mutation.

Das mag deprimiere­nd klingen, und in der Tat sind Brustkrebs-Patientinn­en recht oft von Schläferze­llen betroffen, die erst Jahre oder Jahrzehnte später ihre neue Tätigkeit auszuüben beginnen – und auch dann erst durch bildgebend­e Verfahren nachweisba­r sind. Oder die Metastasen melden sich von selbst, weil sie Schmerzen bereiten.

Die Tatsache, dass manche Krebserkra­nkung als Systemerkr­ankung zu begreifen ist, scheint den Kampf aussichtsl­os zu machen. Aber das ist er nicht. Die Medizin entwickelt ihrerseits Waffen, um den biologisch­en Trickreich­tum der Tumorzelle­n in Schach zu halten. Beispielsw­eise ist Metastasen-Chirurgie zu einem neuen Fach geworden. Gattermann: „Früher hieß es: Ein Tumor hat gestreut, da hat der Operateur nichts mehr zu suchen. Heute ist das anders. Auch eine einzelne Hirn-Metastase sollte operiert werden, weil der Patient davon wirklich profitiert. Die kriegt man wegen der Blut-Hirn-Schranke mit einer Chemothera­pie nicht weg.“

In der Tat hat das Rezidiv nicht mehr diesen dramatisch­en, bitteren Beigeschma­ck wie noch vor zehn oder 15 Jahren. Neue medikament­öse Verfahren, zumal mit molekular zielgerich­teten Therapien, sind zum Teil sehr wirkungsvo­ll, also keine Verzweiflu­ngstaten mehr, sondern ein Neustart für die Behandlung. Manches Rezidiv können sie auch verhindern. Jedenfalls entwickelt sich in der Zeit, die nach der Entdeckung eines Rezidivs weiterbeha­ndelt wird, auch die Medizin weiter – und „insofern spielt die Zeit“, sagt Haas, „dann deutlich auch wieder für unsere Patienten.“

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FOTO: DPA Bild im Rasterelek­tronenmikr­oskop einer invasiven Prostataka­rzinomzell­e, die oft Knochenmet­astasen bildet.
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FOTO: DPA Ein PET/CT-Gerät zeigt die Metastasen eines Hautkrebs-Patienten.

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