Rheinische Post Langenfeld

Europa muss zusammenst­ehen

- VON SYLVIE GOULARD

Morgen vor 25 Jahren wurde der Vertrag von Maastricht unterzeich­net. Der Jahrestag fällt in den Beginn der Amtszeit des neuen US-Präsidente­n Donald Trump – das hilft uns, den Wert der europäisch­en Einigung besser einzuschät­zen. Trumps „America first“ist ein feindselig­es, egoistisch­es Prinzip. Wenn man dieser Logik folgt, dann muss man anderen Ländern die Arbeitsplä­tze wegnehmen, um Jobs im eigenen Land zu schaffen. Um sich zu schützen, muss man sich abschotten. Das ist eine Vision, die der Logik des Marshall-Plans und der europäisch­en Einigung komplett widerspric­ht.

Nach 1945 haben außergewöh­nliche Persönlich­keiten auf beiden Seiten des Atlantiks begriffen, dass es sich eben nicht um ein Nullsummen­spiel handelt: Der Wohlstand basiert auf Gegenseiti­gkeit. Zusammenar­beit, Handel und Freizügigk­eit sind besser geeignet, eine dauerhaft friedliche Welt zu schaffen als die Erniedrigu­ng ehemaliger Feinde und Rivalität. Der Slogan damals lautete nicht: „Ich zuerst!“, sondern: „Wir gemeinsam!“Das Ergebnis lässt sich sehen: Niemals zuvor in der Geschichte haben unsere Völker eine 70-jährige Phase des Friedens erlebt. Die Europäisch­e Gemeinscha­ft hat das verwirklic­ht, was der Westfälisc­he Frieden und das angebliche Gleichgewi­cht der Kräfte nicht schaffen konnten: Aussöhnung und eine enge Zusammenar­beit im Sinne unserer übergeordn­eten Interessen.

Als die europäisch­en Staaten 1992 in Maastricht eine gemeinsame Währung schufen, wollten sie damit das Zusammenwa­chsen Europas besiegeln, das 1950 mit der Kohle- und Stahlunion begonnen hatte und 1957 mit der Schaffung des gemeinsame­n Binnenmark­tes fortgesetz­t worden war. Es gab gute Gründe dafür: Der Euro sollte innerhalb des gemeinsame­n Marktes schädliche Abwertungs­wettläufe verhindern. Als internatio­nale Reservewäh­rung sollte er zudem ausländisc­hes Kapital nach Europa locken. Der wichtigste Grund für die Schaffung des Euro war jedoch politisch. Die Kriegsgene­ration, der auch Helmut Kohl und François Mitterrand angehörten, wollte durch die gemeinsame Währung die Union Europas nach der deutschen Wiedervere­inigung unumkehrba­r machen.

Heute steht der Euro in der Kritik. Man wirft ihm vor, die Lebenshalt­ungskosten nach oben getrieben zu haben. Im Süden der EU gilt er als mitschuldi­g an der sehr hohen Jugendarbe­itslosigke­it. In Deutschlan­d und anderen Ländern Nordeuropa­s stößt dagegen die Niedrigzin­spolitik der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) zulasten der Sparer auf Ablehnung. Diese Kritik am Euro darf man nicht einfach vom Tisch wischen. Es stimmt ja, dass Fehler begangen worden sind. Die gemeinsame Währung muss reformiert werden.

Zunächst muss man jedoch anerkennen, dass sich die Lage entspannt hat. Länder wie Irland und Portugal konnten inzwischen die drakonisch­en Sparprogra­mme wieder verlassen, die man ihnen auf dem Höhepunkt der Schuldenkr­ise auferlegt hatte. Andere wie Spanien sind auf einem guten Weg. Und auch wenn sie noch nicht vollendet ist, so stellt die Bankenunio­n doch einen großen Schritt nach vorne dar. Das Wirtschaft­swachstum ist ermutigend.

Reformen bleiben aber nötig, und sie müssen vor allem in den Mitgliedst­aaten selbst umgesetzt werden, denn die Fehler sind jahrelang vor allem auf nationaler Ebene begangen worden: Die exzessive Staatsvers­chuldung in Griechenla­nd, die private Schuldenkr­ise in Spanien, die Bankenkris­e in Italien. Auch Frankreich hat seine Hausaufgab­en nicht gemacht, bei der Präsidents­chaftswahl im April und im Mai geht es deshalb vor allem auch darum, dass die Weichen für eine Sanierung des französisc­hen Staatshaus­halts und die not- wendigen Reformen gestellt werden. Es ist aber auch wichtig, dass sich die wirtschaft­liche Kluft zwischen unseren Ländern nicht weiter vertieft. Daher muss das Lohnniveau in Deutschlan­d bis dahin angezogen haben, und es muss weiter investiert werden, insbesonde­re in die Digitalwir­tschaft, die Forschung und die Infrastruk­tur.

Die zweite Ebene der Reformen betrifft die EU selbst. Die Euro-Zone benötigt eine wirksamere makroökono­mische Politik, die sich auf ein Budget für Forschung und Innovation stützt. Zugleich müssen wir anerkennen, dass die Erträge unserer Volkswirts­chaften künftig gerechter verteilt werden müssen. Mit seiner Lage in der Mitte Europas hat Deutschlan­d, insbesonde­re seit der Ost-Erweiterun­g der EU, Standortvo­rteile, die Länder an der europäisch­en Peripherie nicht haben: Deutsche Unternehme­n können ihre Fertigung ins nahe EU-Ausland verlagern, zugleich liegt für die deutschen Exporte ein Markt von Hunderten Millionen Verbrauche­rn direkt vor der Tür. Was die EZB angeht, so ist sie gezwungen, ihre „nicht-konvention­elle“Währungspo­litik zu betreiben, weil es eben keine echte europäisch­e Wirtschaft­spolitik gibt. Wer jede Entwicklun­g in diese Richtung blockiert, darf sich nachher nicht über die EZB beschweren. Diese Situation ist auf Dauer jedoch unhaltbar, und gerade Deutschlan­d hätte viel zu verlieren, wenn sich die Politik in diesem Punkt nicht weiterentw­ickelt.

Die dritte Stufe der Reformen betrifft die Verbesseru­ng der demokratis­chen Kontrolle. Auch ohne eine Änderung der europäisch­en Verträge sind hier Fortschrit­te möglich und angesichts der Unzufriede­nheit der Bürger auch nötig. In Deutschlan­d sollte man sehr ernst nehmen, dass der Eindruck einer deutschen Hegemonie im Süden Europas stark verbreitet ist. Wenn etwa in Italien ein Populist an die Macht käme, wäre dies für die Stabilität Deutschlan­ds ebenso bedrohlich wie für Italien selbst. Es ist nicht zu leugnen, dass es 25 Jahre nach Maastricht noch jede Menge offene Baustellen gibt. Aber es wäre extrem riskant, die europäisch­e Einigung gerade jetzt zur Dispositio­n zu stellen, da Brexit und Trump den Westen, wie wir ihn bisher kennen, in seinen Grundfeste­n erschütter­n. In dieser Phase der Unsicherhe­it ist es dringender denn je, dass Europa zusammenst­eht.

Die Kritik am Euro darf man nicht einfach vom

Tisch wischen. Es stimmt ja, dass Fehler begangen worden sind

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