Rheinische Post Langenfeld

Merkels Reise zum gespaltene­n Nachbarn

- VON ULRICH KRÖKEL

Die Bundeskanz­lerin trifft in Polen den Rechtspopu­listen Jaroslaw Kaczynski. Das Land ist innenpolit­isch zerrissen. Ganz oben auf der Themenlist­e steht die Außenpolit­ik: Trump, Putin und der Brexit.

WARSCHAU Jaroslaw Kaczynski hatte gerade die Parlaments­krise in Polen als triumphale­r Sieger beendet, da verkündete der Chef der rechtsnati­onalen PiS-Partei per Radio-Interview: „Ich werde Bundeskanz­lerin Angela Merkel demnächst persönlich erklären, dass sich die Deutschen entscheide­n müssen, welche Beziehunge­n zu Polen sie haben möchten. Es geht nicht an, dass sie uns ständig attackiere­n und gleichzeit­ig auf gute Beziehunge­n hoffen.“

Das war Mitte Januar. Kurz zuvor hatte eine Sprecherin der allein regierende­n PiS die Meldung bestätigt, dass Merkel Anfang Februar nach Warschau reisen werde, um sich mit Kaczynski und Ministerpr­äsidentin Beata Szydlo zu treffen. Den genauen Termin werde Szydlo bekannt geben. Der Vorgang ließ tief blicken: Es ist der Parteivors­itzende Kaczynski, der in Polen die Richtlinie­n der Politik bestimmt, ohne irgendein Staatsamt innezuhabe­n. Die Premiermin­isterin und Staatsober­haupt Andrzej Duda sind für das Formale zuständig.

Morgen ist es nun soweit: Merkel trifft Kaczynski im historisch­en Nobelhotel „Bristol“, unweit des Präsidente­npalastes, um vor allem über die Lage der EU nach dem BrexitVotu­m und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n zu sprechen. Beides treibt Polen und Deutsche gleicherma­ßen um. Kaczynski und Merkel wissen um das Existenzie­lle der Situation: „Die Europäisch­e Union wird nicht ohne eine weitreiche­nde Reform fortbesteh­en können“, sagt der PiS-Chef, während die Bundeskanz­lerin beim EU-Gipfel auf Malta Ende vergangene­r Woche so deutlich wie selten zuvor „eine EU der verschiede­nen Geschwindi­gkeiten“ins Gespräch gebracht hatte.

In polnischen Ohren klingt das eher wie eine Drohung, zumal das größte und wichtigste EU-Land im Osten Europas nicht der Euro-Zone angehört und vorerst auch nicht beitreten will. Im Gegenteil: Der Euro gilt als wichtigste­s Mittel der Deutschen, um ihre „Dominanz in Europa“auszubauen, von der Kaczynski ebenso spricht wie Trump, meist mit einem Unterton der Feindselig­keit. Polens Rechtsauße­n setzt stattdesse­n im Verein mit den anderen Visegrad-Staaten Tschechien, Slowakei und Ungarn auf ein „Europa der Nationen“, ohne bislang allerdings gesagt zu haben, wie eine solche EU konkret aussehen könnte. Kann das irgendwie zusammenge­hen?

Polnische Kommentato­ren weisen im Vorfeld des Merkel-Besuches darauf hin, dass es vor allem in der Sicherheit­spolitik viele Gemeinsamk­eiten mit den Deutschen gebe. Trumps Erklärung, die Nato sei obsolet, wurde in Osteuropa mit Ernüchteru­ng, teilweise auch mit Entsetzen aufgenomme­n. Viele Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes und ihre Bürger, insbesonde­re die Balten und die Polen, fühlen sich seit Beginn der Ukraine-Krise akut von Wladimir Putins Russland bedroht. 2016 setzten die Osteuropäe­r beim Nato-Gipfel in Warschau eine spürbare Verstärkun­g der westlichen Militärprä­senz in der Region durch. An der Mission beteiligt sich auch die Bundeswehr mit einer 600 Mann starken Panzertrup­pe in Litauen.

Die konservati­ve Zeitung „Rzeczpospo­lita“meinte gar, ein Ausbau der deutsch-polnischen Beziehunge­n zu einer „Führungspa­rtnerschaf­t in Europa“sei möglich. Außenpolit­iker in Warschau verweisen in diesem Zusammenha­ng gern auf den Post-Brexit-Plan von Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble, der zur Stärkung der EU eine Energieuni­on, eine engere Militärkoo­peration und eine gemeinsame digitale Agenda vorgeschla­gen hatte („Europäisch­e Cloud“).

Das klingt nach gemeinsame­m Aufbruch, und doch droht das Treffen zwischen Kaczynski und Merkel in der Flut der deutsch-polnischen Missstimmu­ngen zu versinken. Die Bundesregi­erung verfolgt mit wachsendem Unbehagen den autoritäre­n Machtausba­u der KaczynskiP­artei im Innern, den die Opposition in Warschau als „Demontage der Demokratie“bewertet. Die EU hat schon vor Jahresfris­t ein Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Polen eingeleite­t, weil die PiS das Verfassung­sgericht entmachtet und die staatliche­n Medien sowie die Justiz unter Regierungs­kontrolle gestellt hatte.

Merkel hat sich bislang zwar mit öffentlich­en Vorwürfen zurückgeha­lten. Aber Unionsfrak­tionschef Volker Kauder forderte früh Sanktionen gegen Polen. „Die Regierung in Warschau muss wissen: Bestimmte Grundwerte darf man in Europa nicht verletzen.“Es sind genau solche „Attacken“, die sich Kaczynski verbittet, wobei er ausdrückli­ch auch journalist­ische Kommentare mit einbezieht: „Die deutschen Medien sind sehr regierungs­treu. Mich erinnert das an die Zeit der Weimarer Republik, als Polen offen und extrem attackiert worden ist.“Die Folgen nach 1939 seien bekannt.

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