Rheinische Post Langenfeld

BRYAN STEVENSON „Trumps Politik hat das Aroma des Totalitäre­n“

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Der Bürgerrech­tsanwalt und Harvard-Absolvent über den neuen Politiksti­l – und was die USA von der Weimarer Republik lernen können.

WASHINGTON Bryan Stevenson, einer der bekanntest­en Bürgerrech­tsanwälte der USA, wurde in der Ära Barack Obamas als Kandidat für den Obersten Gerichtsho­f gehandelt. Er leitet die Equal Justice Initiative, eine Organisati­on, die arme Menschen in Prozessen vertritt. Herr Stevenson, was passiert da gerade in den USA? STEVENSON Wir erleben eine große Verunsiche­rung. Wir hatten noch nie einen Präsidente­n, der sich so wenig für internatio­nale Beziehunge­n, die Verfassung und den Rechtsstaa­t interessie­rte – und für die Aufgabe, ein derart facettenre­iches Land zu regieren. Wir haben eine der höchsten Mordraten der Welt. Andere Nationen könnten sagen, diese Amerikaner sind so gefährlich, vielleicht sollten wir sie gar nicht erst einreisen lassen. Natürlich wären wir dann empört. Wie weit wird Trump kommen mit seiner Politik? STEVENSON Trump macht mir Sorge, doch wir haben starke rechtsstaa­tliche Strukturen. Unsere Gerichte werden in den nächsten Monaten auf eine harte Probe gestellt, wenn sie politische Vorstöße, die von Intoleranz geprägt sind, abzuwehren versuchen. Unsere Verfassung ver- bietet es, Menschen wegen ihrer Nationalit­ät zu diskrimini­eren. Es gibt Amerikaner, die befürchten, dass sich in den USA wiederhole­n kann, was Anfang der 30er Jahre in Deutschlan­d geschah . . . STEVENSON Es gibt gewaltige Unterschie­de. Aber Präsident Trump hat den Wählern mit Erfolg eingeredet, dass die Lage schrecklic­h ist, dass wir von Terroriste­n und Kriminelle­n, von Globalisie­rungsfreun­den und den Eliten gedemütigt werden. Das hat durchaus Ähnlichkei­ten mit Deutschlan­d nach dem Ersten Weltkrieg. In Amerika sind jetzt Leute an der Regierung, die nach der absolu- ten Macht greifen würden, wenn sie es denn könnten. Anders als vorangegan­gene Administra­tionen scheint die Regierung Trump keinerlei Problem damit zu haben, das Kontrollsy­stem der „checks and balances“auszuhebel­n. Daher schadet es nicht, wenn wir aus den Erfahrunge­n Deutschlan­ds lernen, etwa die Autorität von Institutio­nen nicht auszuhebel­n. Wenn du Macht ohne Kompromiss und Debatte ausübst und auch noch stolz darauf bist, dann hat es das Aroma des Totalitäre­n. Was sind die Gründe für die Entwicklun­g? STEVENSON Es liegt daran, dass wir gescheiter­t sind, ehrlich über die Geburtsfeh­ler dieser Republik zu reden. Ich vergleiche das mit einer Smogwolke, die ständig über dir hängt. Man kann nicht Millionen von Ureinwohne­rn in einem Völkermord töten und sagen, das war kein Völkermord, weil es sich bei den Toten um Wilde handelte. Oder mit ähnlichen Argumenten Jahrhunder­te der Sklaverei rechtferti­gen. Wir haben gesagt, schwarze Menschen sind anders als weiße Menschen, damit wir als Christen die Sklaverei verteidige­n konnten. Die Luft, die wir heute atmen, ist noch immer so verschmutz­t durch das toxische Erbe des Rassismus, dass du, sobald du 13 oder 14 Jahre alt bist, anfängst, Menschen durch die Hautfarben­brille zu sehen. Und das ist auf allen Seiten offenbar so . . . STEVENSON Ja, keiner von uns ist in dieser Hinsicht wirklich frei. Wir können uns dieser Bürde nur entledigen, wenn wir offen über die Geschichte reden. Es kann keine Aussöhnung ohne die Wahrheit geben. Also muss zunächst einmal die volle Wahrheit auf den Tisch. FRANK HERRMANN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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