Tuchel tanzt
Dortmunds Trainer feiert das 1:0 gegen Leipzig wie sein Vorgänger Klopp.
DORTMUND Thomas Tuchel fuchtelte mit beiden Armen wild durch die Gegend. Er sprang auf den Rasen, zersägte unsichtbare Balken, brüllte unverständliche Ansagen Richtung Tribüne. Und er tanzte, wie es vor ihm im ehemaligen Westfalenstadion nur sein Vorgänger im Amt, der wilde Jürgen Klopp, gemacht hatte. Als er sich wieder einigermaßen im Griff hatte, schritt Borussia Dortmunds Trainer zur Selbstanalyse. „Wenn diese spezielle Energie da ist, wenn Druck drauf ist“, sagte er, „dann packt es mich eben auch.“
„Wir müssen hier nicht einen Ersatzspieler rauspicken und darüber reden“
Thomas Tuchel über Mario Götze
Druck war genügend drauf. Er entlud sich in Tuchels Tänzen und einem Urschrei im Stadion, als der 1:0-Sieg des BVB gegen den Tabellenzweiten RB Leipzig feststand. Es war der Stimmung natürlich nicht abträglich, dass das Schiedsrichtergespann den Leipzigern in der Nachspielzeit zu Recht einen Treffer aberkannt hatte. Die Abseitsstellung von Federico Palacios-Martinez war allerdings nur mit einer besonders starken Lupe zu erkennen.
Dass Dortmund als verdienter Sieger vom Platz ging, bezweifelte jedoch niemand. Am wenigsten Tuchel, der das 1:0 „ein verkleidetes 4:0“nannte. Marco Reus und PierreEmerick Aubameyang verschwendeten beste Kontergelegenheiten. Und es regte sich kein Widerspruch, als Reus feststellte: „Wenn ich nur eine meiner Chancen mache, dann diskutieren wir hier nicht mehr über Abseits in der letzten Minute.“
Die Dortmunder brauchten eine halbe Stunde, um das richtige Mittel zu finden. Zunächst hatten sie gro- ße Mühe, weil RB den wichtigsten Mann in der Dortmunder Spielentwicklung regelrecht isolierte. Vier Leipziger belegten Julian Weigl in der Mittelfeldzentrale mit einer Kontaktsperre, und dadurch fiel die Last des ersten Passes den Innenverteidigern zu. So gab es 30 Minuten vor allem unbrauchbare lange Bälle aus der hinteren Reihe. Dann entdeckte der BVB, dass der Weg an den nach vorn rennenden Leipzigern vorbei über gepflegten Fußball auf den Außenpositionen führt. Ousmane Dembélé machte es sich selbst einmal vor, als er die Kollegen auf der linken Abwehrseite des Gegners zu Statisten erklärte und auf Aubameyang flankte – ein wenig zu hoch. Er wiederholte den Spielzug ein Minütchen später mit höherer Präzision, und Aubameyang traf.
Nach diesem Schema brachte Dortmund in der Folge die ersatzgeschwächt angetretenen Gäste in große Verlegenheit. Und das lag nicht nur an taktischen Einsichten, sondern auch an einer ausgeprägt guten Einstellung der Stürmer zu ihrem Job. Reus bewegte sich mit der Leichtigkeit seiner ganz guten Tage. Dembélé hat inzwischen verstan- den, dass seine Dribblings noch wertvoller sind, wenn sie einen sachlichen Abschluss haben. Der eingewechselte Christian Pulisic beeindruckte mit Spielverständnis und Tempo. Und Aubameyang sprintete noch in der Nachspielzeit mit einer Hingabe über den Rasen, die er lange nicht an den Tag gelegt hatte. Noch in der Vorwoche war er von den Führungskräften der Dortmunder Fußballfirma tüchtig gerüffelt worden, weil er in Mainz eine eher matte Vorstellung abgeliefert und danach ein sehr engagiertes Interview gegeben hatte, in dem er mal wieder laut vom Wechsel zu Real Madrid träumte. Offenkundig haben ihn die BVB-Manager rechtzeitig auf seine vertraglichen Pflichten hingewiesen.
In dem ganzen Dortmunder Frohsinn war es nur noch eine Randnotiz, dass Tuchel die Weltmeister André Schürrle und Mario Götze 90 Minuten lang von der Bank zuschauen ließ. Fragen nach Götze bügelte der Trainer mit einem Satz ab: „Das ist kein Thema nach einem Spiel, dass wir einen Ersatzspieler rauspicken und darüber reden.“Ende der Durchsage.