Rheinische Post Langenfeld

Tuchel tanzt

- VON ROBERT PETERS

Dortmunds Trainer feiert das 1:0 gegen Leipzig wie sein Vorgänger Klopp.

DORTMUND Thomas Tuchel fuchtelte mit beiden Armen wild durch die Gegend. Er sprang auf den Rasen, zersägte unsichtbar­e Balken, brüllte unverständ­liche Ansagen Richtung Tribüne. Und er tanzte, wie es vor ihm im ehemaligen Westfalens­tadion nur sein Vorgänger im Amt, der wilde Jürgen Klopp, gemacht hatte. Als er sich wieder einigermaß­en im Griff hatte, schritt Borussia Dortmunds Trainer zur Selbstanal­yse. „Wenn diese spezielle Energie da ist, wenn Druck drauf ist“, sagte er, „dann packt es mich eben auch.“

„Wir müssen hier nicht einen Ersatzspie­ler rauspicken und darüber reden“

Thomas Tuchel über Mario Götze

Druck war genügend drauf. Er entlud sich in Tuchels Tänzen und einem Urschrei im Stadion, als der 1:0-Sieg des BVB gegen den Tabellenzw­eiten RB Leipzig feststand. Es war der Stimmung natürlich nicht abträglich, dass das Schiedsric­htergespan­n den Leipzigern in der Nachspielz­eit zu Recht einen Treffer aberkannt hatte. Die Abseitsste­llung von Federico Palacios-Martinez war allerdings nur mit einer besonders starken Lupe zu erkennen.

Dass Dortmund als verdienter Sieger vom Platz ging, bezweifelt­e jedoch niemand. Am wenigsten Tuchel, der das 1:0 „ein verkleidet­es 4:0“nannte. Marco Reus und PierreEmer­ick Aubameyang verschwend­eten beste Kontergele­genheiten. Und es regte sich kein Widerspruc­h, als Reus feststellt­e: „Wenn ich nur eine meiner Chancen mache, dann diskutiere­n wir hier nicht mehr über Abseits in der letzten Minute.“

Die Dortmunder brauchten eine halbe Stunde, um das richtige Mittel zu finden. Zunächst hatten sie gro- ße Mühe, weil RB den wichtigste­n Mann in der Dortmunder Spielentwi­cklung regelrecht isolierte. Vier Leipziger belegten Julian Weigl in der Mittelfeld­zentrale mit einer Kontaktspe­rre, und dadurch fiel die Last des ersten Passes den Innenverte­idigern zu. So gab es 30 Minuten vor allem unbrauchba­re lange Bälle aus der hinteren Reihe. Dann entdeckte der BVB, dass der Weg an den nach vorn rennenden Leipzigern vorbei über gepflegten Fußball auf den Außenposit­ionen führt. Ousmane Dembélé machte es sich selbst einmal vor, als er die Kollegen auf der linken Abwehrseit­e des Gegners zu Statisten erklärte und auf Aubameyang flankte – ein wenig zu hoch. Er wiederholt­e den Spielzug ein Minütchen später mit höherer Präzision, und Aubameyang traf.

Nach diesem Schema brachte Dortmund in der Folge die ersatzgesc­hwächt angetreten­en Gäste in große Verlegenhe­it. Und das lag nicht nur an taktischen Einsichten, sondern auch an einer ausgeprägt guten Einstellun­g der Stürmer zu ihrem Job. Reus bewegte sich mit der Leichtigke­it seiner ganz guten Tage. Dembélé hat inzwischen verstan- den, dass seine Dribblings noch wertvoller sind, wenn sie einen sachlichen Abschluss haben. Der eingewechs­elte Christian Pulisic beeindruck­te mit Spielverst­ändnis und Tempo. Und Aubameyang sprintete noch in der Nachspielz­eit mit einer Hingabe über den Rasen, die er lange nicht an den Tag gelegt hatte. Noch in der Vorwoche war er von den Führungskr­äften der Dortmunder Fußballfir­ma tüchtig gerüffelt worden, weil er in Mainz eine eher matte Vorstellun­g abgeliefer­t und danach ein sehr engagierte­s Interview gegeben hatte, in dem er mal wieder laut vom Wechsel zu Real Madrid träumte. Offenkundi­g haben ihn die BVB-Manager rechtzeiti­g auf seine vertraglic­hen Pflichten hingewiese­n.

In dem ganzen Dortmunder Frohsinn war es nur noch eine Randnotiz, dass Tuchel die Weltmeiste­r André Schürrle und Mario Götze 90 Minuten lang von der Bank zuschauen ließ. Fragen nach Götze bügelte der Trainer mit einem Satz ab: „Das ist kein Thema nach einem Spiel, dass wir einen Ersatzspie­ler rauspicken und darüber reden.“Ende der Durchsage.

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FOTO: IMAGO Vorsänger im ehemaligen Westfalens­tadion: Dortmunds Trainer Thomas Tuchel in ungewohnte­r Rolle.

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