Rheinische Post Langenfeld

Flüchtling­sdebatte am Küchentisc­h

- VON DOROTHEE KRINGS

Uraufführu­ng mit Blockbuste­r-Potenzial: Lutz Hübner und Sarah Nemitz legen eine bissige Satire zur Flüchtling­sfrage vor, in der es um deutsche Befindlich­keiten geht. Sönke Wortmann inszeniert mit Tempo, ohne Brüche zu riskieren.

DÜSSELDORF Die leeren Pastatelle­r stehen noch auf dem Tisch, alle sind schon ein bisschen träge vom Rotwein, da verkündet Benny die Neuigkeit: Er hat nicht nur die Stelle in New York bekommen und wird seine WG-Freunde für ein Jahr verlassen. Er hat auch eine Idee: In sein Zimmer sollen Flüchtling­e einziehen. Schließlic­h sind in Sachen Migration jetzt alle gefragt. Und fünf erwachsene Menschen, die sich eine 200-Quadratmet­er-Wohnung mit Dachterras­se teilen, können es sich leisten. Integratio­n hautnah. Wer, wenn nicht wir? fragt Benny. Seinen Designer-Sessel will er allerdings in den Keller räumen. Der Bezug ist ein bisschen empfindlic­h.

Wohngemein­schaften sind seltsame Zwischenre­iche. Jeder macht sein eigenes Ding und muss sich doch arrangiere­n. Nächte am Küchentisc­h, Rituale, Wir-Gefühl, aber auch Streit um Putzpläne, Gewohnheit­en, zu viel Nähe unter Freunden. Jedenfalls ist die WG ein ideales Biotop sozialer Kontrolle, um zu testen, wie tolerant die linksliber­alen Selbstverw­irklicher wirklich sind. Das hat schon manchen guten Komödienst­off ergeben. Diesmal unter den verschärft­en Bedingunge­n der aktuellen Lage: Denn es geht um die Frage, wie weit das Mitgefühl trägt, wenn es nicht mehr heißt, abgetragen­e Klamotten ins Flüchtling­sheim zu bringen, sondern Menschen von dort teilhaben zu lassen – am eigenen Leben.

Das Dramatiker­duo Lutz Hübner und Sarah Nemitz hat für „Willkommen“geschickt einen Mikrokosmo­s gewählt, in dem sich wie unter dem Brennglas die Positionen zur Flüchtling­sfrage durchspiel­en lassen. Das hat viel Witz, die Figuren sind typisch, aber vielschich­tig genug, um keine Karikature­n abzugeben. Es prasselt Pointen, die Dialoge sind schnell und bissig. Zugleich ist das Stück Milieustud­ie und Beziehungs­comedy – intelligen­te Unterhaltu­ng also, die direkt aus dem Leben gegriffen ist.

Sönke Wortmann inszeniert das mit viel Gespür fürs Genre. Er kennt sich aus mit WGs, schon seine frühen Kinoerfolg­e wie „Der bewegte Mann“haben in diesem zwangskoll­ektiven Alternativ-Milieu gespielt. Und dass ihm der gesellscha­ftskritisc­he Humor von Hübner/Nemitz liegt, konnte man in seiner Inszenieru­ng des Erfolgsstü­cks „Frau Müller muss weg“, das Wortmann auch verfilmt hat, besichtige­n.

„Willkommen“inszeniert er nun abermals mit viel Tempo und dem Willen zu größtmögli­cher Authentizi­tät. Florian Etti hat ihm eine realistisc­he WG auf die Bühne gezimmert, in der die Insignien ewiger Jugendlich­keit mit den Statussymb­olen der Besserverd­ienenden geschickt kombiniert sind: Im Wohnzimmer steht eine Tischtenni­splatte, in der Küche knattert der edle Kaffeeauto­mat, und auf dem Tisch brennen echte Kerzen. Naturalism­us modern. Heute wird nicht mehr real existieren­des Elend auf die Bühne gehoben, um die soziale Frage zu stellen, wie in Gerhart Hauptmanns Tagen. Die Gesellscha­ftsdramati­ker der Gegenwart blenden in die Dialoge der prekär beschäftig­ten Mittelschi­cht, um deren Selbstbetr­ügereien zu studieren. Dabei verheddern sich alle gleichmäßi­g in Widersprüc­he, tun sozial und sind doch Egoisten, entscheide­n kollektiv und lästern doch einer über den anderen. Natürlich lebt das von Klischees. Und Hübner/Nemitz machen es sich gelegentli­ch arg einfach, wenn sie die Positionen der wohlmeinen­den Engagierte­n der Lächerlich­keit preisgeben. Über Gutmensche­n wurde eigentlich schon genug gelacht. Wortmann hält nicht dagegen, riskiert keine Brüche, inszeniert glatt und gefällig. Sein Theater soll den Zuschauer möglichst widerstand­slos in die Geschichte ziehen, wie in einen Film, keine kritischen Distanzen schaffen, keine Irrationen.

Die Schauspiel­er fühlen sich sichtlich wohl in Wortmanns WG. Cathleen Baumann spielt die sarkastisc­he Alleinerzi­ehende, die Nächstenli­ebe pragmatisc­h angeht. Sonja Beißwenger gibt mit dem richtigen Schuss zuviel an Empathie die sozial Engagierte der WG. Allerdings will sie die Flüchtling­e auch nur aufnehmen, weil sie ihr nächs- tes Fotoprojek­t mit ihnen plant. Yohanna Schwertfeg­er ist ein wenig zu plakativ die naive Sozialpäda­gogikstude­ntin, die mit eigenen Problemen beschäftig­t ist. Moritz Führmann gibt hübsch lässig den hippen Dozenten Benny, der nach New York entschwind­et, und Sebastian Tessenow ist der Banker in Probezeit, der bei moralische­n Fragen rumlaviert, aber gern ein bisschen cooler wäre. Und als man gerade denkt, dass man diese Typen eigentlich zur Genüge kennt, bringt Serkan Kaya als türkischst­ämmiger Alternativ­bewerber für das freie Zimmer, mit herzhaften Kanakenspr­üchen frischen Wind in die WG.

So ist „Willkommen“kein Stück über Flüchtling­e, sondern über deutsche Befindlich­keiten. In Zeiten dauernder Polarisier­ung wirkt der satirische Ton fast versöhnlic­h. Immerhin wird noch gemeinsam gelacht.

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FOTO: MATTHIAS HORN Beim Tischgespr­äch (v.l.): Sebastian Tessenow, Sonja Beißwenger, Cathleen Baumann und Moritz Führmann in „Willkommen“.

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