Rheinische Post Langenfeld

Da weint der Fujiyama

- VON WOLFRAM GOERTZ

Giacomo Puccinis Oper „Madama Butterfly“hatte Premiere im Duisburger Haus der Rheinoper.

DUISBURG Wir lieben die USA, aber immer wieder gibt es Leute, die uns diese Sympathie verhageln. In diesen Tagen ist es ein Mann mit rustikalen Manieren, ein pragmatisc­her Macher, der sich nimmt, was er will, die Gefühle anderer mit Füßen tritt, gewachsene Verträge und Bindungen missachtet und alles amerikanis­iert, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Die Rede ist natürlich von Benjamin Franklin Pinkerton, dem üblen Helden in Puccinis Oper „Madama Butterfly“. Der Marineleut­nant hat die japanische Geisha CioCio-San (Butterfly) geehelicht, ihr eine radikal westliche Weltsicht aufgezwung­en (O-Ton: „America forever!“), sich dann aus dem Staub gemacht und in den USA eine andere Frau geheiratet. Jahre später kehrt er kurz zu Butterfly zurück, um ihr den gemeinsame­n Sohn zu entreißen. Die Mutter bringt sich um.

An der Rheinoper hat dies Robert Carsen vor einigen Jahren als symbolstar­ken Thriller erzählt, in dessen Mittelpunk­t die würgende Konfrontat­ion zweier Kulturen stand. Nun kam dort im Duisburger Haus eine Neuinszeni­erung des Werks heraus, die Juan Anton Rechi ver- antwortet. Bei ihm fällt alles derb aus, die Bühne ist mit USA-Fanartikel­n zugemüllt (Fahnen, Flaggen, Wimpeln, T-Shirts, Baseball-Kappen), und als ob diese Optik nicht genug dröhnt, hören wir Ende des ersten Aktes einen (bei Puccini nicht vorgesehen­en) Bomber über Nagasaki fliegen, dem eine Detonation folgt; das US-Konsulat stürzt ein, und aus den Trümmern und der Fahne bauen sich Cio-Cio-San und ihre Dienerin Suzuki ein Zelt mit echt japanische­m Steingarte­n und Aussichtst­ürmchen. Cio-Cio-San wartet Tag um Tag, dass Pinkerton zurückkehr­t. Als er endlich kommt und den Jungen holt, gibt sie sich dort oben vor Schmerz den Dolch.

Rechi ist ein brauchbare­r Psychoanal­ytiker, der die Figuren gut führt und mit innerer Lebendigke­it ausstattet, aber seine Arrangemen­ts auf Alfons Flores’ Bühne (die man in keinem Akt gerne anschaut) wirken tölpelhaft. Der im ersten Akt durch die Szene hüpfende Heiratsver­mittler Goro ist eine lächerlich­e Schranze, die unablässig kreisende Drehbühne zentrifugi­ert leider jede Konzentrat­ion – und dass Pinkerton am Ende Butterfly nicht sieht und suchen muss, obwohl sie auf ihrem Holztürmch­en zwei Meter vor ihm steht, das glauben auch nur die Götter des Fujiyama. Neben entzückend­en Momenten (die Ankunft Butterflys mit hübsch beleuchtet­en Schirmchen) gibt es solche unfreiwill­iger Peinlichke­it: Zwar sind die Trümmer säuberlich zu Häufchen geordnet, aber ein alter Sessel liegt mitten auf einem Weg wie Gerümpel, das auf den Sondermüll wartet. Warum? Räumt da niemand auf? Wir erfahren es ebenso wenig wie den historisch­en Hintergrun­d jenes Bombenabwu­rfs. Verstrahlt sieht Frau Butterfly jedenfalls nicht aus.

Und singt auch nicht so, wie überhaupt die musikalisc­he Seite des Abends die Bühne übertrumpf­t. Liana Aleksanyan gibt eine in allen Lagen famose Butterfly, deren Sopran auch über dichtem Orchestern­ebel wunderbar trägt und nie an Delikatess­e verliert. Eduardo Aladrén als Pinkerton setzt seinen krisensich­eren und etwas bulligen Tenor angemessen in Szene. Großartig, wie Stefan Heidemann den Konsul aufwertet: Mit prächtig sitzendem Bariton macht er den Amtsträger zu einer differenzi­erten Persönlich­keit zwischen echtem Mitgefühl und echter Bestechlic­hkeit. Maria Kataeva erfreut als Suzuki, fein und höhenfrisc­h der Chor.

Der Star des Abends ist aber das Orchester, dem der enorm begabte Aziz Shokhakimo­v am Pult alle Farben dieser Welt entlockt. Manche Töne sind seidenzart wie Kimonos, manche stechen zu; es gibt irisierend­e Flächen mit exotischem Kolorit, anderswo röhren angemessen militant die Fetzen der US-amerikanis­chen Hymne. Wie Shokhakimo­v mit den Sängern atmet und Puccinis Musik tatsächlic­h zu einem organische­n Gewebe formt, das ist einen Besuch wert.

Großer Beifall.

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FOTO: MICHEL Warten auf Pinkerton: Liana Aleksanyan als Butterfly.

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