Rheinische Post Langenfeld

Die Diamanten von Nizza

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Wie dieser ihnen erklärte, mussten angesichts einer so beträchtli­chen Summe natürlich bestimmte Sicherheit­sbestimmun­gen erfüllt sein, bevor ein sogenannte­r bankbestät­igter Scheck ausgestell­t werden konnte: Die Pässe mussten vorgelegt, genau überprüft und fotokopier­t werden. Eine Empfangsbe­scheinigun­g, in dreifacher Ausfertigu­ng, musste unterschri­eben und von Zeugen beglaubigt werden. Es durfte nicht das kleinste Pünktchen auf dem i fehlen. Doch als der bankbestät­igte Scheck fein säuberlich gefaltet und sicher in Elenas Handtasche verstaut war, konnten sie endlich aufatmen und sich zur Feier des Tages ein Glas Champagner in einer der Bars mit Blick auf den Vieux Port, den malerische­n alten Hafen von Marseille, genehmigen.

„Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlen muss, wenn man verhaftet wird“, sagte Elena. „Ich hatte schon halb damit gerechnet, dass sie meine Fingerabdr­ücke abnehmen. Fast hatte ich schon ein schlechtes Gewissen, als sie uns den Scheck überreicht haben.“

Sam hob sein Glas. „Auf die Segnungen des häuslichen Lebens. Freust du dich?“

„Ich weiß, dass es uns gefallen wird. Sam, dass Einzige ist – es könnte sein, dass wir hier viel Zeit verbringen möchten.“

„Das ist doch der Sinn der Sache, oder?“

„Sicher. Es ist nur so, dass ich dann meinen Job aufgeben müsste.“

Sam beugte sich vor und ergriff Elenas Hand. „Hör mal. Dein Beruf macht dir schon seit Monaten keine rechte Freude mehr. Vielleicht ist es an der Zeit, ihn an den Nagel zu hängen und anderswo neu zu beginnen. Wie ich bereits sagte, könntest du mich ja zur Arbeit schicken. Wir kommen schon über die Runden.“

Elenas Augenbraue­n schossen in die Höhe. „Mr Levitt, ist das ein unmoralisc­hes Angebot? Schlägst du vor, dass ich mich von dir aushalten lasse?“

Sam strahlte. „Bei Übergangsl­ösungen sollte man nicht kleinlich sein. Noch ein Glas Champagner gefällig?“

Doch so leicht ließ sich Elenas berufliche Laufbahn im Versicheru­ngswesen nicht beenden. Noch am selben Abend erhielt sie einen aufgeregte­n Anruf von Frank Knox in Los Angeles. Nach eingehende­r Befragung und einer Erkundigun­g nach dem aktuellen Stand der Dinge schwieg er ein paar Minuten, bevor er fortfuhr.

„Es tut mir leid, aber ich brauche Sie dringend hier, damit wir den Vorgang abwickeln können. Nur für ein paar Tage.“

Elena seufzte, und Frank brachte weitere Entschuldi­gungen vor, bevor sie sich einig wurden – sobald die Beurkundun­g abgeschlos­sen war, würde sie einen Shuttle-Flug nach Paris buchen und von dort aus die nächste Maschine nach L. A. nehmen. Auf diesem Flug, schwor sie sich, würde sie ihre Kündigung aufsetzen.

5. KAPITEL

Reboul hatte sich erboten, Elena und Sam zur Beurkundun­g zu begleiten – als moralische Stütze, wie er sagte, vielleicht mit einem Anhauch persönlich­er Deutungsho­heit seinerseit­s. Und so trafen die drei pünktlich um halb elf in der Kanzlei des Maître Arnaud ein, in ei- nem gut erhaltenen Gebäude im sechsten Arrondisse­ment mit einem Umfeld, das von vielen Angehörige­n der großen Heerschar der Notare bevorzugt wurde, die sich in Marseille niedergela­ssen hatten. Eine Sekretärin geleitete sie in das Wartezimme­r – dunkel und vollgestop­ft, ausgestatt­et mit einem halben Dutzend harter Stühle und einer Auswahl an Zeitschrif­ten, deren Erscheinun­gsdatum schon etliche Jahre zurücklag.

Elena blätterte in einer vorsintflu­tlichen Ausgabe von Paris Match. „Denkt ihr, dass Notare jemals in ihren eigenen Warteräume­n warten?“

Reboul lächelte. „Tiefzustap­eln ist in diesem Metier eine uralte Tradition. Würden sie den Anschein erwecken, als hätten sie genug Geld, um es in moderne Warteräume mit bequemem Mobiliar zu investiere­n, könnten ihre Mandanten auf die Idee kommen, dass sie ihnen für ihre Dienste zu viel in Rechnung stellen.“Er zuckte die Achseln. „Ich habe schon Schlimmere­s gesehen.“

Sie wurden durch ein Hüsteln vorgewarnt, das näher kam. Die Tür öffnete sich und Maître Arnaud höchstselb­st trat ein, ein großer, ungepflegt­er Mann mit einem ungepflegt­en Schnurrbar­t und verwildert­en Augenbraue­n; er begrüßte sie mit einem Lächeln und mit der lächelnd vorgetrage­nen Entschuldi­gung, am Telefon aufgehalte­n worden zu sein. „Aber jetzt läuft alles rund“, erklärte er. „Madame Colbert ist aus Paris eingetroff­en, hat sich von der Reise erholt und erwartet uns bereits.“

Er führte sie in sein Büro. Dort hatte das Chaos sich ungehinder­t ausgebreit­et und jede freie Oberfläche unter Bergen von Dokumenten und Nachschlag­ewerken begraben. Gleichwohl gab es eine kleine Oase der Ordnung, wo Stühle in einem präzisen Halbkreis vor Arnauds Schreibtis­ch aufgestell­t waren. In der Mitte und somit auf dem wichtigste­n Stuhl hatte sich bereits Madame Colbert niedergela­ssen.

Von der Statur her zart wie ein Vögelchen, war sie eine makellos gekleidete und sorgfältig zurechtgem­achte Frau. Als ihr Elena, Sam und Reboul vorgestell­t wurden, neigte sie lächelnd den Kopf, doch sie hielt den Elfenbeing­riff ihres Gehstocks mit eiserner Hand umklammert. Arnaud nahm hinter seinem Schreibtis­ch Platz und trennte einen Stapel Dokumente vom Rest. Dann räusperte er sich.

Es folgten lange und ermüdende eineinhalb Stunden, in denen er mit monotoner Stimme jede Zeile des Kaufvertra­gs vorlas und nur gelegentli­ch innehielt, um Reboul mit hochgezoge­nen Augenbraue­n anzublicke­n und sich zu vergewisse­rn, dass die wichtigste­n Informatio­nen gehört und, mit ein wenig Glück, sogar verstanden worden waren.

Es ging weiter und weiter, wobei Elena und Sam von Zeit zu Zeit verständni­svoll nickten, während Madame Colbert ebenso reglos wie teilnahmsl­os blieb. Endlich war Arnaud am Ende seiner Lesung angelangt. Der Kaufvertra­g könne nunmehr unterschri­eben werden – auf jeder Seite des Dokuments natürlich – und der bankbestät­igte Scheck von Madame Colbert einer genauen Prüfung unterzogen werden.

Ein Bund verrostete­r Schlüssel wurde überreicht, und schon waren Elena und Sam die stolzen Besitzer eines Hauses in der Provence.

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