Der Deich hat gehalten
DENHAAG 2016 war ein Krisenjahr für Europa: Islamischer Staat, Flüchtlingsstrom, Brexit, Donald Trump. Es sind für gewöhnlich jene Zeiten, in denen Schreihälse besondere Beachtung finden, weil sie die „Dinge benennen“, wie es dann heißt. Geert Wilders ist einer der größten Schreihälse. Beleidigend und verletzend führte er seinen Wahlkampf – meist vom heimischen Sofa aus, das Smartphone mit der Kurznachrichten-App Twitter immer griffbereit. Probleme benannte er viele, Lösungen bot er keine. Und so räumte er am Mittwochabend ein, das selbst gesteckte Ziel verfehlt zu haben. Es zeigt: Der Rechtspopulismus muss nicht siegen.
Friso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Universität Münster, sagt: „Der niederländische Deich hat doch ein bisschen gehalten.“Die Rechten Europas hatten gehofft, dass er bricht. In Koblenz hatten Marine Le Pen, Frauke Petry und Geert Wilders Ende Januar das Jahr ausgerufen, „in dem die Völker des kontinentalen Europa“erwachen. Die Niederländer sind erwacht, aber wohl anders als gedacht.
In Frankreich wird am 23. April und 7. Mai ein neuer Präsident gewählt. Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National wird es wahrscheinlich in die Stichwahl schaffen. Dort räumen ihr Wahlbeobachter nur geringe Chancen ein. Hierzulande wird die AfD am 24. September in den Bundestag einziehen. Doch die Partei von Frauke Petry hat zuletzt Stimmen verloren. Derzeit würde sie laut einer aktuellen Forsa-Umfrage neun Prozent erhalten. Ende Dezember hatte die Partei noch bei zwölf Prozent gelegen.
Wilders’ „Freiheitspartei“PVV kann nun 20 der 150 Sitze im Parlament belegen. Das ist viel. Und es ist mehr als 2012. Damals erreichte Wilders 15 Sitze. 2010 waren es 24. Doch hatten die Demoskopen der Partei zwischenzeitlich bis zu 40 Sitze zugetraut. In den vergangenen Monaten sackte die PVV immer weiter ab. An TV-Duellen nahm Wilders nicht teil – nur an einem, gegen seinen Konkurrenten, Premier Mark Rutte. Er verlor es.
Wilders begründet seine Abwesenheit in der Öffentlichkeit oft mit seinem hohen Sicherheitsstatus. Es hatte wohl mehr damit zu tun, dass er sich davor scheute, inhaltliche Fragen zu seinem plumpen Wahlprogramm zu beantworten. Wilders ist kein Ministerpräsident. Er braucht die Opposition, dort kann er poltern, aber gottlob auch wenigen schaden.
Und Mark Rutte? Der ist eigentlich kein echter Wahlsieger, sagen seine Kritiker. Rutte kommt auf 33 Sitze, acht weniger als 2012. Das ist ein Verlust, logisch. Doch sollte man sich auch hierbei noch einmal vor Augen führen, in welchen Zustimmungsbereichen die VVD noch vor einigen Monaten gehan- delt wurde: abgeschlagen auf 20 Sitze, an manchen Tagen darunter. Rutte hat Wählerstimmen zurückgeholt, die schon verloren geglaubt waren.
Wie hat er das gemacht? Indem er es Wilders gleichtat? In einem Brief an „alle Niederländer“mahnte Rutte Ausländer zur Anpassung, andernfalls sollten sie gehen. Die Wilderisierung Ruttes ist nur die halbe Wahrheit. Der niederländische Premier war schon immer ein rechtsliberaler Politiker. Als er und Wilders noch zusammen in der VVD saßen, vertraten beide ähnliche Ansichten. Wilders wurde nach seinem Parteiaustritt nur lauter.
Rutte hatte in vergangenen Jahren andere Sorgen als jene, die Wilders anprangerte: die größte Wirtschaftskrise