Die Diamanten von Nizza
Als Sam und Elena später im Bett lagen, herrschte Eiszeit, wie Sam es zu nennen beliebte. Er war ziemlich aufgeregt gewesen, weil es ihm gelungen war, Hervé davon zu überzeugen, dass seine Theorie es verdiente, ernstgenommen und überprüft zu werden. Elena hatte sich seinen Bericht mit versteinerter Miene angehört, und als er die mögliche Beteiligung von Alex Dumas erwähnte, war sie wutentbrannt auf ihn losgegangen. „Hast du sonst noch irgendwelche Komplizen auf Lager? Francis? Mimi und Philippe? Die ganze Sache ist lächerlich. Lass die Finger davon. Hast du nichts anderes im Kopf?“
„Ich weiß, dass du Coco magst. Ich auch. Aber du musst zugeben, dass es ziemlich schlecht für sie aussieht. Wie dem auch sei, ich bin fast am Ziel. An diesem Wochenende geht es in die entscheidende Phase. Hab also noch ein wenig Geduld mit mir, okay?“
„Und was ist mit meinen Recherchen zu Jacques Pigeat und der Signora Castellaci? Zählen die gar nicht?“
„Doch, und wie! Du bist da Betrügern auf der Spur, die mit Wein und Drogen komische Sachen machen. Aber bisher ist noch kein echter Zusammenhang mit der Diamantensache zu erkennen, das gibst du selbst zu. Wenn du an einen solchen Zusammenhang glaubst, dann solltest du schleunigst deine Informationen an Hervé weitergeben, damit er mal grundsätzlich über den Sommelier und Doorman nachforscht. Aber das habe ich dir schon vor ein paar Tagen gesagt, als du mir von seinem Pseudoalibi erzählt hast.“
Elenas Antwort bestand darin, verächtlich zu schnaufen und ihm den Rücken zuzukehren. Beide schliefen schlecht in dieser Nacht. Aber Elena wurde bewusst, dass sie tatsächlich ihr Wissen nicht länger der Polizei vorenthalten durfte: Morgen würde sie Hervé anrufen.
Sam war am Tag darauf früh auf den Beinen und fuhr die autoroute nach Nizza, noch bevor die Sonne voll aufgegangen war. Das Treffen mit Laffitte war erst für elf Uhr anberaumt, so dass ihm genug Zeit blieb, irgendwo zu frühstücken und sich, wie er hoffte, per Telefon mit Elena zu versöhnen.
Das Frühstück auf der Terrasse eines ruhigen Cafés mit Meerblick war ein Vergnügen. Der Versöhnungsversuch nicht. Elenas Stimme am anderen Ende der Leitung klang von Anfang an unterkühlt. Sie war auf Abstand bedacht. Dieser Unsinn ist bei dir zur Obsession geworden, meinte sie. Er habe mit seinen haltlosen Verdächtigungen eine Frau aufs Korn genommen, die sie als ihre Freundin betrachte. Wie konnte er ihr so etwas antun? Doch bevor er die Chance hatte, sich zu verteidigen, bevor er ihr die Wahrheit an den Kopf warf, dass sie wohl ohnehin Schwierigkeiten habe, jemanden als Täter zu betrachten, der nicht durch und durch monströs und unsympathisch sei, erklärte sie: „Ich habe mir von Francis die Nummer von Hervé geben lassen, und ihm alles erzählt, was ich über den Sommelier und die Signora herausgefunden habe. Er wird dieser Spur sofort nachgehen.“
„Hat er sich nicht beschwert, dass du ihm nicht sofort Bescheid gegeben hast?“„Nein, die entscheidende Information, dass Pigeat offenbar Verbindungen ins Drogenviertel von Kallisté hat, habe ich ja auch erst vor einigen Abenden bekommen. Das musste ja auch erst einmal verdaut werden. Im Gegensatz zu dir überlege ich lieber erst zweimal, bevor ich Leuten, die es nicht leicht haben, das Leben zerstöre“, sagte sie frostig und legte auf.
Sam seufzte: „erst vor einigen Abenden“, hatte Elena doch glatt gesagt, das waren jedoch für Polizisten im Ermittlungsfall Ewigkeiten. Er bestellte einen zweiten Kaffee und grübelte über die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung nach. Aus früheren Erfahrungen wusste er, dass Elena seine detektivischen Aktivitäten im Prinzip guthieß. Vielleicht würde sie sich sogar bei ihm entschuldigen, wenn sich seine Vermutungen als richtig erwiesen. Im gegenteiligen Fall allerdings musste er sich auf eine Strafpredigt einstellen, die sich gewaschen hatte, gefolgt von einer Reihe gefühlskalter Tage und einsamer Nächte – ein weiterer Grund, warum er sich besser nicht irrte.
Das Büro von Capitaine Laffitte befand sich im Commissariat Central de Police, einem imposanten, bunkerähnlichen Gebäude an der Avenue Maréchal Foch. Laffitte war hochgewachsen, breitschultrig, hatte einen militärisch kurzen Haarschnitt und einen Händedruck wie ein Schraubstock. Sehr schnell merkte Sam, dass er perfekt Englisch sprach, allerdings mit einem schottischen Akzent.
„Setzen Sie sich, junger Mann, und schießen Sie los. Hervé hat mir schon einen groben Überblick vermittelt, aber der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Ich möchte die ganze Geschichte hören.“
In der nächsten halben Stunde erzählte Sam alles, was er wusste und was seiner Ansicht nach passieren würde. Laffitte hörte aufmerksam zu, machte sich Notizen und stellte gelegentlich eine Frage, um den Sachverhalt zu klären. Als Sam ge- endet hatte, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, die Stirn vor Konzentration gerunzelt.
„Sehr gut“, sagte er. „Ich habe nur noch eine klitzekleine Frage. Falls Ihre Theorie stimmt, wann schlägt die Dame Ihrer Meinung nach zu?“
„Morgen, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Die Fitzgeralds brechen morgen früh nach SaintTropez auf. Vater und Tochter Dumas begeben sich Sonntag nach Paris, womit sie aus der Schusslinie sind, wenn der Diebstahl entdeckt wird. Bleibt also nur der Samstag. Und zwar in der Nacht, denn tagsüber sind der Gärtner und das Hausmädchen auf dem Anwesen.“
„Was bedeutet, dass wir nicht mehr viel Zeit haben.“Laffitte griff zum Telefon. „Können Sie heute Nachmittag noch einmal herkommen? Ich brauche noch ein paar weitere Männer und hätte Sie gerne bei der Einsatzbesprechung dabei.“
Sam nutzte die Zeit, um sich im Hôtel Westminster an der Promenade des Anglais einzuquartieren und ein schnelles Mittagessen in einem kleinen Strandrestaurant einzunehmen. Langsam wurde er nervös. Laffitte war ein erfahrener Beamter, er schien zuversichtlich zu sein und Sams Theorie Glauben zu schenken, und nun gab es kein Zurück mehr. Coco musste einfach am Tatort aufkreuzen.
Laffitte hatte gute Gründe zu hoffen, dass Sam mit seinem Verdacht richtiglag und Coco vor der Luxusvilla auftauchte. Wenn er derjenige war, der gleich drei perfekte Verbrechen aufgeklärt und einen vierten Raubüberfall verhindert hatte, erwartete ihn eine glänzende Zukunft – vielleicht würde man ihn sogar zum Kommandanten befördern.
(Fortsetzung folgt)