„So eine Nacht vergisst man nicht“
Das schwerste Erdbeben am Niederrhein überraschte die Menschen im Schlaf: Eine Tote, mehrere Verletzte und ein Millionenschaden lautete die Bilanz. Genau 25 Jahre ist das nun her – und kann sich in der Region jederzeit wiederholen.
HEINSBERG/DÜSSELDORF Seltsamer Lärm reißt Helmut Coenen aus dem Schlaf. Es ist 3.20 Uhr. Die Leselampe neben seinem Bett wackelt. Im Halbschlaf nimmt er ein Rumoren vor dem Fenster wahr. „Zuerst dachte ich, dass da ein Bagger fährt“, erinnert sich Coenen. Er schläft wieder ein. Und erkennt erst am folgenden Morgen, dass sein Haus in Heinsberg, nahe der niederländischen Grenze, direkt im Zentrum des bis heute stärksten Erdbebens stand, das seit 1756 am Niederrhein registriert wurde. Mit einer Stärke von 5,9 auf der Richter-Skala lag es deutlich über dem Durchschnitt.
Es gibt Tage, die bleiben einem ein Leben lang in Erinnerung – der Tod von Prinzessin Diana am 31. August 1997 oder der Terrorangriff am 11. September 2001. Die Frage „Wo warst du am 13. April 1992?“könnten wohl viele Menschen in NRW ohne zu zögern beantworten, weil sich das Erdbeben in ihr Gedächtnis eingebrannt hat. Das liegt zum einen an der Schwere: eine Tote, 30 Verletzte und 130 Millionen Euro Schaden.
Heute, genau 25 Jahre später, erinnert sich auch Helmut Coenen (76): „Morgens bin ich mit dem Auto losgefahren, um die Schäden zu sehen“, sagt der Vorsitzende des Heimatvereins in Heinsberg. In der frisch restaurierten Kirche St. Gangolf war der Kirchenbogen zertrümmert. Risse durchzogen das Stadttor. „Roermond traf es am schlimmsten, der Boden war aufgespalten“, sagt Coenen. Auslöser all dessen waren zwei Erdschollen, die sich in 17 Kilometer Tiefe verschoben hatten. „So etwas vergisst man nicht“, sagt Coenen, der bereits 1947 ein Erdbeben in seiner Geburtsstadt Heinsberg miterlebte. Die Erinnerung lebt auch, weil das Beben für die Zukunft mahnt.
Neben dem Oberrheingraben und der Schwäbischen Alb zählt die Niederrheinische Bucht zu den aktivsten Erdbebengebieten in Deutschland. „Der Untergrund ist ständig in Bewegung“, sagt Klaus Lehmann vom Landeserdbebendienst des Geologischen Dienst NRW. Weil zwischen Afrika und Eurasien Platten nach Norden, der mittelatlantische Rücken aber nach Südosten drücke, breche Westeuropa langsam auseinander. „Unser Netz registriert in der Region zwei bis drei leichte Erdbeben pro Woche“, sagt Lehmann. Die größeren der vergangenen Jahre: Der 22. Juli 2002, als in Alsdorf auch Gebäude beschädigt wurden. In Goch bebte die Erde am 8. September 2011 – mit einer Magnitude von 4,4. Die Gefahr ist präsent – und unvorhersehbar.
15 Erdbebenmessstationen gibt es in der Niederrheinischen Bucht. Seit zwei Jahren auch ein Erdbebenalarmsystem. Doch Frühwarnung heißt nur, seismische Wellen zu registrieren, um Einsatzkräfte anzuleiten. „Erdbeben kann man nicht vorhersehen, und eine Frühwarnung ist nicht möglich“, sagt Lehmann, „weil wir hier direkt auf dem Herd sitzen.“Mittlere Beben kämen etwa alle 15 Jahre vor. Kein Grund zur Panik, so der Experte.
Helmut Coenen wollte sein Haus gegen Erdbeben versichern, „aber da macht keine Versicherung mit“.