Domian fesselt das Stadthallen-Publikum
Der Nachttalker ließ in Langenfeld tief blicken – in einen Querschnitt aus 20.000 Telefonaten und in menschliche Abgründe.
DANIELE FUNKE LANGENFELD Für Zyniker ist Jürgen Domian vermutlich ein „Gutmensch“. Aber ja, er ist ein Guter, denn er hat definitiv Gutes getan. Mehr als zwei Jahrzehnte hat er in seiner nächtlichen, einstündigen WDR-Sendung Menschen zugehört. Menschen auf dem Sterbebett, Menschen mit absurdesten sexuellen Vorlieben, Menschen in Sinnkrisen, Verbrechern, selbsternannten Außerirdischen, verliebten Greisen. „Eins kann ich ganz klar sagen“, fasst Domian gleich zu Beginn seines Auftritts in der ausverkauften Langenfelder Stadthalle zusammen: „Wir haben im Laufe der Jahre in Abgründe geguckt, die hätte ich mir früher niemals vorstellen können“.
„Domian redet“lautet der Titel des Abends. Kult, heißt es, sei der Anruf eines jungen Mannes gewesen, der sexuelle Erfüllung nur mit einem aus Hackfleisch geformten Körper fand. Moderator Olli Briesch kommentiert trocken, zu Domian gewandt: „Das war wohl die Erkenntnis deiner Sendung über all die Jahre für die meistens von uns: Wie langweilig doch das eigene Sexualleben ist“.
In der Stadthalle eingespielt werden aufgezeichnete Originalanrufe. Sie sind so erfrischend, dass die Zuschauer vor Freude toben. So wie der von Lydia (73), kölscher Dialekt: „Domian, ich war nur auf dem Friedhof am Grab meines Mannes, da kam ein alter Herr, der eigentlich nur mit mir spazieren gehen wollte“, erzählt die alte Dame mit kecker Stimme. „… eigentlich …“Was dann folgt, lässt den Saal kochen. Fröhlich berichtet die Kölnerin von dem Beginn einer leidenschaftlichen Affäre in allen Details.
Das Thema „Sexualität im Alter“sei immer wieder ein großes im Laufe der Jahre gewesen, die Liebe, jegliche Formen der Lust, aber eben auch: der Tod. „Wenn ich eins gelernt habe“, sagt Domian mit fester Stimme und nimmt vorab ein Schluck Wasser aus dem bereitstehenden Glas, „dann ist es Demut. Das Leben wertzuschätzen, die eigene Gesundheit. Wie viele Anrufer hatten wir, die jung und schwer krank waren und nur noch kurz zu leben hatten und trotzdem mit ihrem Schicksal nicht gehadert ha- ben.“So wie Celia, 17 Jahre. Wieder können die Zuhörer dem Originalgespräch lauschen, es ist totenstill im Saal. „Ich habe Mukoviszidose, ein zäher Schleim setzt sich zunehmend auf meinen Organen ab, ich werde bald sterben“, erzählt sie mit schwacher, belegter Stimme. Wie er, Domian, mit all dem selbst fertig ge- worden sei, will eine Frau aus dem Publikum wissen. „Wir hatten immer eine Psychologin im Studio, die so manchen Anrufer noch telefonisch nachbetreut hat. Und sie hat auch mir oft geholfen“. Häufig sei er aber erst morgens um halb acht eingeschlafen, weil ihn vieles so bewegt habe, Tageslicht habe er kaum noch gesehen. „Letztlich war das auch der einzige Grund, warum ich die Sendung aufgegeben habe. Nach zwei
„Wir hatten für die Anrufer immer eine Psychologin im Studio. Und sie hat auch mir
oft geholfen“
Jürgen Domian Hörstürzen habe ich endlich den ärztlichen Rat befolgt und eingesehen, dass mich die Nachtarbeit auf Dauer kaputt macht.“
Zwei Stunden lang nimmt Domian seine Zuhörer mit auf eine intensive verbale Reise voller Höhen und Tiefen. Am Ende gab es für den Kulttalker, der derzeit an einem Roman arbeitet, von vielen Zuschauern Standing Ovations. „Ich habe eine Hochachtung vor dem, was er geleistet hat, und wollte ich unbedingt mal live erleben, ich fand es gut“, sagt etwa die Langenfelderin Ulrike Bening.
Einige im Publikum sehen das Talk-Format aber auch kritisch. So äußert Benings Begleiter Ralf Menzel aus Stuttgart die „Sorge, dass sich einige der Anrufer in der Sendung zum Affen gemacht haben“. Der Gelsenkirchener Jürgen Krone sieht das ähnlich. „Wenn jemand anruft und glaubt, er sei ein Außerirdischer, dann geh ich davon aus, dass, wenn es kein Fake-Anruf war, dieser Mensch schwer psychisch krank ist. Und ich würde mich nicht, so wie Domian es getan hat, offensichtlich über ihn lustig machen. Das finde ich etwas respektlos.“