Rheinische Post Langenfeld

Führung erkundet jüdisches Leben

- VON ALEXANDRA WEHRMANN FOTO: ANDREAS BRETZ

In Düsseldorf gibt es die drittgrößt­e jüdische Gemeinde Deutschlan­ds. Die Mahn- und Gedenkstät­te zeigt wichtige Orte.

PEMPELFORT Der Rabbi ist verhindert. Rabbiner Ahrens, der den Rundgang eigentlich leiten sollte, musste kurzfristi­g zu einem Kongress nach Zürich. Für ihn eingesprun­gen ist, so viel zum Miteinande­r der Religionen und Kulturen, ein rheinische­r Katholik: Bastian Fleermann, Historiker und Leiter der Mahn- und Gedenkstät­te. Vor dem wuchtigen, neobarocke­n Bau des Oberlandes­gerichts an der Cecilienal­lee begrüßt Fleermann ein heterogene­s Grüppchen von rund 25 Düsseldorf­ern. Sie möchten mit ihm gemeinsam jene Straßenzüg­e Derendorfs erkunden, in denen sich das jüdische Leben – gemeinhin eher unbemerkt von der breiten Öffentlich­keit - abspielt. „Im Oberlandes­gericht fand nach Ende des Zweiten Weltkriegs der Wiederbegi­nn des jüdischen Lebens statt“, erklärt Fleermann die Wahl des Treffpunkt­s. Zählte die jüdische Gemeinde im Jahr 1933 noch 5500 Mitglieder, waren es nach Kriegsende gerade einmal 57. Ihr Gotteshaus, die Synagoge an der Kasernenst­raße, hatten die Nazis 1938 in Schutt und Asche gelegt. Für eine Übergangsz­eit von drei Jahren diente den Düsseldorf­er Juden also ausgerechn­et ein Ort als Interimshe­imat, an dem zahllose nationalso­zialistisc­he Unrechtsur­teile gefällt wurden.

Vorbei an den wunderschö­nen Altbauten auf der Zietenstra­ße erreichen wir wenig später die Synagoge. Seit dem Brandansch­lag im Jahr 2000 steht das Gebäude rund um die Uhr unter Polizeisch­utz. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Die Beamten, die den 50er-JahreBau sichern, versehen ihren Dienst in einer Art Bushaltest­ellenhäusc­hen mit bestem Blick auf den Haupteinga­ng der Synagoge. Unangekünd­igt hat hier niemand, der nicht zur Gemeinde gehört, Zutritt. Auch unsere Gruppe wurde angemeldet, die Namen sämtlicher Rundgangst­eilnehmer vorab übermittel­t. „Hat jemand gefährlich­e Gegenständ­e dabei?“Allgemeine­s Kopfschütt­eln. Wir dürfen die Sicherheit­sschleuse passieren. Trotz derartiger Vorkehrung­en gilt die jüdische Gemeinde, wie Fleermann betont, als offen und liberal. Der hohe Aufwand, der in Sachen Sicherheit betrieben wird, hat dennoch auch im Jahr 2017 viele Gründe. „Täglich gehen hier Hassbriefe und E-Mails ein“, weiß Fleermann. Sie würden in dicken Ordnern ge- sammelt. Das Gelände des benachbart­en Kindergart­ens ist mit einem Netz gesichert, so dass keine Gegenständ­e über die ohnehin hohe Mauer in den Innenhof geworfen werden können.

7400 Mitglieder zählt die jüdische Gemeinde Düsseldorf derzeit. Damit ist sie nach Berlin und München die drittgrößt­e Deutschlan­ds. Den zahlenmäßi­gen Aufschwung verdankt man dem Fall des Eisernen Vorhangs. Im Anschluss kamen viele Juden aus der ehemaligen Sowjetunio­n, aus Russland, der Ukraine oder dem Baltikum an den Rhein. Sie machen heute 80 Prozent der Gemeinde aus. „Wenn also irgendwo Multikultu­r wirklich gelebt wird, dann hier“, findet Fleermann. Wenig später stehen wir im Altarraum. Vor uns liegt die Gebetsroll­e, die sogenannte Tora. Bis heute wird sie mit der Hand geschriebe­n, mit Feder und Tinte, auf Pergamentp­apier. Entspreche­nd hoch ist der Wert der Rolle: Eine Tora kann mehrere hunderttau­send Dollar kosten. Ist sie irgendwann abgenutzt, wird sie übrigens nicht einfach in den Restmüll entsorgt. Sondern auf einem jüdischen Friedhof bestattet. Das ist nur eins von zahllosen Details, die den meisten Teilnehmer­n des Rundgangs neu sein dürften. Auch darüber hinaus mehren sich die Fragen: Warum sitzen Männer und Frauen in der Synagoge getrennt? Wo wird die Beschneidu­ng durchgefüh­rt? Kann man als NichtJude am Sabbat-Gebet teilnehmen? Und gibt es eigentlich auch weibliche Rabbis? Auf letztgenan­nte Frage weiß eine ältere Dame aus der Gruppe Antwort, die ohnehin ausnehmend gut informiert ist. Sie erzählt von Elisa Klapheck, der Tochter des Künstlers Konrad Klapheck, die in Frankfurt als Rabbinerin arbeitet.

Einen männlichen Kollegen von Frau Klapheck treffen wir an der nächsten Station: Rabbiner Barkahn begrüßt uns in einer Toreinfahr­t an der Bankstraße. „Schalom.“Er lächelt in die Runde. Der bärtige Rabbi trägt einen schwarzen Anzug zum schwarzen Hut, dazu eine farbig karierte Krawatte. Seit 16 Jahren ist er in Düsseldorf. Er arbeitet für „Chabad Lubavitch“, eine orthodoxe Organisati­on, die unabhängig von der jüdischen Gemeinde operiert und sich durch Spenden finanziert. Die unscheinba­ren Flachbaute­n im Hinterhof beherberge­n neben einem winzigen Laden für koschere Lebensmitt­el auch eine weitere Synagoge. Mit Gardinen versehene Trennwände teilen in dem kleinen Raum den größeren Bereich für Männer von dem kleineren für Frauen ab. Die Damen hören also die singend vorgetrage­nen Worte aus der Tora, können den Chazan (Vorsänger) aber nicht sehen. Grundsätzl­ich gehe es natürlich darum, die Frauen vor den Blicken der Männer zu schützen, erklärt Rabbi Barkahn. In modernen Synagogen habe man für das Problem bereits eine Lösung gefunden. Dort wurden Glasscheib­en installier­t, die nur von einer Seite aus durchsicht­ig sind.

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Bastian Fleermann von der Mahn- und Gedenkstät­te erläutert den Teilnehmer­n der Führung die Geschichte der jüdischen Gemeinde.

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