Rheinische Post Langenfeld

GOTT UND DIE WELT

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Die Kirche ist kein Koalitionä­r Mit den Konfession­en ist in der modernen Demokratie kein Staat mehr zu machen – gottlob. Trotzdem haben die Kirchen ihre Wünsche, was die Politik heute tun sollte.

Der jüngst verstorben­e Heiner Geißler war ein streitbare­r Mensch. Er hatte etwas zu sagen, zuweilen mit Schärfe gewürzt, und war auch reich an Lebenserfa­hrungen. Er erzählt in seinem Buch „Was müsste Luther heute sagen?“, wie er im Wahlkampf 1965 mit seiner evangelisc­h getauften Frau zu punkten hoffte. Eine andere große Volksparte­i hatte ihn mit dem Hinweis auf seine katholisch­e Herkunft bei der mehrheitli­ch evangelisc­hen Wählerscha­ft schlecht aussehen lassen wollen. Geißler gewann in der protestant­ischen Hochburg rund um Tübingen das Bundestags-Direktmand­at.

Mit den Konfession­en ist in der Demokratie längst kein Staat mehr zu machen. Und „heilige“Allianzen gehören der Vergangenh­eit an. Gott sei es gedankt. Denn Politik ist für das Zusammenle­ben aller Menschen verantwort­lich, unabhängig von Glaubensüb­erzeugunge­n und anderen Haltungen. Der Staat hat „für Recht und Frieden zu sorgen“, wie evangelisc­he Christen 1934 in der Barmer Theologisc­hen Erklärung ganz im Sinne Luthers formuliert­en. Diese Erklärung war eine Absage evangelisc­her Kreise an die Deutschen Christen, jenes Sammelbeck­en nationalso­zialistisc­her Kirchenmit­glieder, die die Nazi-Ideologie auch in der Kirche durchsetze­n wollten und vom Hitler-Regime als „Vollendung der deutschen Reformatio­n im Geiste Martin Luthers“sprachen. Luther dürfte sich im Grabe umgedreht haben.

Führende Protestant­en mahnten nach dem Krieg ihre Kirche, die Fehler der Vergangenh­eit nicht zu wiederhole­n: Kirche dürfe keine Koalition mit politische­n Strömungen eingehen, auch und gerade dann nicht, wenn die Politik eine Nähe zum Christentu­m herzustell­en versuche, sagten sie 1947 im „Darmstädte­r Wort“. Nicht die Parole: Christentu­m und abendländi­sche Kultur, sondern Hinkehr zum Nächsten und Umkehr zu Gott sei das, was Christen nottut. Das ist 2017 so aktuell wie vor 70 Jahren. Was müsste Luther heute sagen? Ein solcher Satz gehörte dazu.

Ich stelle mir vor, wie Luther und Geißler vor der morgigen Wahl im Himmel darüber diskutiere­n, was Politik heute zu tun hat. Der späte Geißler hat sich mit den großen Zukunftsth­emen zu Wort gemeldet: zu den Folgen des Klimawande­ls, zur Altersarmu­t, zu weltweiter Ungerechti­gkeit. Der Reformator würde den Politiker sicher darin bestärken, nach bestem Wissen und Gewissen das zu tun, was für die Zukunft der Welt nottut – und alles Weitere Gott zu überlassen. Damit es auf dieser Welt etwas gerechter und friedliche­r zugeht. Der rheinische Präses Manfred Rekowski schreibt hier an jedem vierten Samstag im Monat. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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