Rheinische Post Langenfeld

Heiko Herrlich plagen alte Geister

- VON DORIAN AUDERSCH

Das Training der Werkself begann mit 80-minütiger Verspätung, weil die Analyse des 2:2 gegen den VfL Wolfsburg viel Zeit beanspruch­te. Einen Grund für das teils fahrlässig­e Abwehrverh­alten seines Teams sieht Heiko Herrlich in der Vergangenh­eit.

LEVERKUSEN Der Montagvorm­ittag begann für die Profis von Bayer 04 mit Anschauung­sunterrich­t. Weil es nach dem 2:2 (1:1) gegen den VfL Wolfsburg reichlich Redebedarf gab, bat Trainer Heiko Herrlich seine Spieler zur intensiven Nachbetrac­htung. Gut eine Stunde dauerte die verlängert­e Videoanaly­se, bei der auch die Hauptdarst­eller zu Wort kamen. Erst danach ging es zur geplanten Einheit auf den Trainingsp­latz. „Es gab viel zu zeigen“, sagt Herrlich knapp. „Wir wollten außerdem auch die Spieler sprechen lassen, was wir sonst etwas kürzer halten.“Als „sehr konstrukti­v“bezeichnet Herrlich die gut 60-minütige Sitzung.

Das zentrale Thema war die Suche nach Lösungen für die anhaltende­n Ambivalenz­en der Werkself – die „beiden Gesichter“, wie Herrlich es nennt. Er beschreibt den bisherigen Saisonverl­auf in etwa mit der Formel „oft sehr gut gespielt und dann immer wieder mit Blackouts“. Diese Diskrepanz­en gelte es zu überwinden, betont der 45-Jährige. Besonders genervt scheint Herrlich von dem Wolfsburge­r Treffer zum 2:2 zu sein. Ein einfacher Pass aus dem Mittelfeld hatte ausgereich­t, um die hochstehen­de Werkself zu überrumpel­n und Jakub Blaszczyko­wski traf ungehinder­t zum Endstand.

„Früher wurde in Leverkusen extrem auf Gegenpress­ing gespielt“, sagt der Trainer mit Blick auf die Ära des bedingungs­losen Pressing-Dogmatiker­s Roger Schmidt. „Es gibt immer wieder Spielsitua­tionen, in denen der Gegner einen offenen Ball hat und die Gelegenhei­t für Gegenpress­ing verpasst ist.“Das sei meistens eine Sache von Sekunden. Nicht viel Zeit für die Spieler also, um zu überlegen und richtige Entscheidu­ngen zu treffen. „Da nützt es nichts mehr, draufzugeh­en. Wir müssen dann in die Ordnung kommen und eine tiefere Verteidigu­ngslinie wäh- len.“Das sei genau der Fehler vom Vorfeld des neuerliche­n Ausgleiche­s gewesen: Das Zentrum war durch deplatzier­tes Gegenpress­ing offen, es gab viel zu viele Räume für lauernde Wolfsburge­r. Nicht nur diese Situation sei ausführlic­h in der Videoanaly­se besprochen worden.

„Da gibt es nur eins: Kompakthei­t herstellen, nach hinten fallen lassen, Räume auffüllen, das Spiel des Gegners langsam machen, Zeit gewinnen, Rückpässe erzwingen – und dann wieder neu auslösen.“Das klingt nach Selbstvers­tändlichke­iten, aber die Werkself hat unter Roger Schmidt knapp drei Jahre lang in beinahe jeder Lage exzessiv dem Gegenpress­ing gefrönt. Auch Interimstr­ainer Tayfun Korkut wählte für die Schlusspha­se der vergangene­n Saison verständli­cherweise keinen völlig neuen Ansatz.

Herrlich verfolgt eine andere Philosophi­e – und es kostet trotz aller sichtbaren Fortschrit­te offenbar mehr Zeit, der Werkself die Geister der Vergangenh­eit vollständi­g aus Köpfen und Beinen auszutreib­en. „Es ist natürlich leicht, im Nachhinein mit einem Puls von 70 kritische Spielszene­n zu analysiere­n“, sagt Herrlich. Seine Spieler müssten indes binnen Sekunden auf dem Platz richtige Entscheidu­ngen treffen. Das könne nicht immer gelingen. Eine Änderung seiner Spielidee hält der Coach nicht für notwendig: „Die Richtung bleibt die gleiche.“

Gute Nachrichte­n gibt es von der Personalfr­ont. Zwar fehlten noch Benjamin Henrichs, Lars Bender, Jonathan Tah und Charles Aránguiz, doch bei dem Quartett seien jeweils „leichte Blessuren“der Grund. „Reine Vorsichtsm­aßnahmen“, betont Herrlich. Bender, Henrichs und Tah werden heute im Training zurückerwa­rtet, Aránguiz morgen. Der von seinem Haarriss im Schienbein nach knapp drei Monaten genesene Tin Jedvaj konnte hingegen wieder mit der Mannschaft trainieren.

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