Unsere Wegwerfgesellschaft
BERLIN Gerade zwischen den Jahren fällt es besonders auf, wenn sich vor dem Fest die Kühlschränke gefüllt, aber trotz mehrerer fröhlicher Familienessen nach Weihnachten nicht geleert haben. Der Blick auf das Mindesthaltbarkeitsdatum führt dann oft zum Reflex: Mülleimer auf, weg damit. Auf knapp elf Millionen Tonnen schätzt Agrarminister Christian Schmidt (CSU) die Menge jener Lebensmittel, die Privathaushalte, Industrie, Handel und Großverbraucher auch in diesem Jahr wegwerfen. „Davon wären zwei Drittel vermeidbar“, mahnt der Politiker.
Die anhaltend großen Müllmengen sind im Grunde rätselhaft. Kaum ein Thema ist näher am Verbraucher und seiner sensibelsten Stelle, der Geldbörse: Rund 1000 Euro ist der Wert jener Lebensmittel, die eine vierköpfige Familie im Schnitt pro Jahr in die Tonne kloppt. Was sich dafür alles machen, erleben, kaufen ließe!
Minister Schmidt versucht es vor allem mit Aufklärung für verschiedene Phasen: Als Erstes sollten Verbraucher ihre Einkäufe besser planen und von vorneherein realistisch mit den Mengen umgehen, die sie in den nächsten Tagen unbedingt brauchen. Dann kommt es auf die richtige Lagerung an: Am wärmsten ist es im Kühlschrank in der Tür und im oberen Bereich. Da wird aus Unbedachtheit vieles falsch gemacht. Und dann ist da noch die irreführende Mindesthaltbarkeit.
„Gerade noch einmal Glück gehabt“, hieß es ironisch in einem Kommentar zu einer Packung mit 200 Millionen Jahre altem, aus dem Himalaya stammenden Salz, dessen Haltbarkeit angeblich Anfang 2018 ausläuft. Hersteller sind gewöhnlich verpflichtet, ihre Produkte mit der Information zu versehen, bis wann sich unter angemessenen Aufbewahrungsbedingungen die spezifischen Eigenschaften eines Lebensmittels nicht verändern. Bei praktisch nicht verderblichen Produkten wie Zucker, Essig, Schnaps oder eben Salz gilt diese Vorgabe nicht. Doch bei Mischungen, etwa jodiertem Speisesalz, kann der Zusatz auf Dauer Farbe, Geschmack oder Geruch verändern. Somit geht der Hersteller lieber auf die sichere Seite.
Das tun viele Produzenten verderblicher Lebensmittel auch. Deshalb werden Aktivisten gegen die Lebensmittelverschwendung nicht müde, den Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeit und Ungenießbarkeit klarzumachen. Fast alle „abgelaufenen“Lebensmittel sind noch vollkommen in Ordnung. Deshalb werben die Lebensmittelretter von „foodsharing“damit, sich auf die eigenen Sinne zu verlassen: „Erst anschauen und riechen, dann probieren – und genießen!“
Schmidts Ministerium hat eine eigene kostenfreie App dafür entwickeln lassen, die unter „Zu gut für die Tonne“leicht zu finden und zu installieren ist und dann Rezepte für „beste Reste“mit Tipps von Sterneköchen und anderen Nutzern bietet. Mit dem jüngsten Update sind wieder 43 neue hinzugekommen, von Bananen-Buttermilch über Gemüseüberraschung bis zur überbackenen Laugenstange. Der Minister hat inzwischen angekündigt, ein klügeres System einzuführen, um die Verbraucher näher an den Zeitpunkt heranzuführen, von dem an ein Verzehr riskant wird. So könnten in Joghurtbechern eingebaute Chips angeben, wie frisch oder brauchbar die Inhalte noch sind.
Beliebt sind zum Jahreswechsel die guten Vorsätze, und oft zählt dazu, weniger Ungesundes zu essen, weniger Dinge zu kaufen oder weniger wegzuwerfen. Das Ministerium schlägt vor, neben dem besseren Planen der Einkäufe, der richtigen Lagerung und der Überprüfung der Haltbarkeit die Portionen richtig einzuschätzen und die Reste einzufrieren oder weiter zu verwerten. Die Initiativen „foodsharing“und Umwelthilfe regen ebenfalls fünf Vorsätze an. Erstens: Klasse statt Masse
„Zwei Drittel aller jährlich weggeworfenen Lebensmittel wären
vermeidbar“
Christian Schmidt (CSU)
Landwirtschaftsminister