INTERVIEW HANS- PETER SIEBENHAAR „Es ist ein Privileg, in Wien zu leben“
Der Buchautor, Journalist und Politikwissenschaftler ist zudem Präsident des Verbands der Auslandspresse in Wien.
LANGENFELD Im Rahmen des Länderprojekts „Servus Österreich“lädt die Volkshoch
schule Langenfeld für Donnerstag, 26. April, 19 Uhr zu einem Podiumsge- spräch in den Flügelsaal des Kulturzentrums ein. Wo das Land an der Nahtstelle zwischen Ost und West steht, und wohin die Reise geht – dazu befragt die Moderatorin Viola Gräfenstein den Österreich-Experten, Autor und Journa-
list Dr. Hans-Peter Siebenhaar. Mit seinem viel beachteten Buch „Österreich – die zerrissene Republik“(Orell Füssli Verlag) löste er eine breite Diskussi- on aus. Im Vorfeld gab der Österreich-Kenner Auskunft über sein Verhältnis zur Alpenrepublik. Herr Siebenhaar, Sie sind Handelsblatt-Korrespondent in Wien. Wie lebt es sich als Deutscher in Österreich? SIEBENHAAR In Österreich und insbesondere in Wien zu leben, empfinde ich als Privileg. Denn die Donaumetropole ist mehr als nur die Hauptstadt der Alpenrepublik. Sie ist eine Drehscheibe für Osteuropa, zudem Sitz von OSZE, OPEC und UNO. Das macht das Leben für einen Korrespondenten natürlich sehr spannend. Wie unterscheiden sich die beiden Länder voneinander? SIEBENHAAR Nur auf den ersten Blick ähnelt Österreich dem großen Nachbar Deutschland. Die Unter- schiede in der politischen und ökonomischen Kultur sind bei genauerem Blick doch ganz erheblich. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern ist einfach und kompliziert zugleich. Denn die Deutschen lieben Österreich, aber respektieren es nicht. Und Österreicher respektieren Deutschland, aber sie lieben es nicht. Was ist Ihr persönlicher Bezug zu Österreich? SIEBENHAAR Die Literatur, das Theater, die Musik und die Kulinarik haben mich seit meiner Schul- und Studienzeit fasziniert. Deshalb gab es stets eine Zuneigung für das Land von Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard, Alban Berg und Heinz Reitbauer. Was fasziniert Sie an der Alpenrepublik? SIEBENHAAR Im Positiven: die tiefe Naturliebe. Im Negativen: die historische Vergesslichkeit Haben Sie einen Lieblingsort? SIEBENHAAR Bildstein im Bregenzerwald. Was glauben Sie: Wohin wird die Reise für Österreich gehen? SIEBENHAAR Mit der Wahl der konservativ-rechtspopulistischen Regierung ist die Zerrissenheit in Österreich gewachsen. Das Land an der Nahtstelle zwischen West- und Osteuropa muss sich entscheiden zwischen einer toleranten, weltoffenen Gesellschaft nach westlichem Vorbild und einer ausgrenzenden, illiberalen Ordnung nach östlichen Modell. Österreich ist ein Testfall für Deutschland und Europa.
EVELYN ZERBE FÜHRTE DAS INTERVIEW